Dienstag, 6. Januar 2009

Der Kiezschreiber ist da!

Kurt Tucholsky hat einmal geschrieben: „Berlin vereint die Nachteile einer amerikanischen Großstadt mit denen einer deutschen Provinzstadt. Die Vorteile stehen im Baedecker.“ So einfach möchte ich es mir in diesem Weblog nicht machen. Denn jetzt hat das Brunnenviertel einen Kiezschreiber, der das Leben zwischen Brunnenstraße und Gleimtunnel, zwischen Swinemünder Brücke und Vinetaplatz einfängt, seine Bewohner porträtiert und ihre Geschichten aufschreibt, der regelmäßig Reportagen und Erzählungen aus dem Kiez veröffentlichen wird.
Ich darf mich kurz vorstellen: Mein Name ist Matthias Eberling, ich bin 42 Jahre alt und lebe seit 1991 in Berlin. Eigentlich stamme ich, wie so viele in dieser Stadt, aus der Provinz. Geboren und aufgewachsen bin ich in Ingelheim am Rhein, in der Nähe von Mainz. Doch schon meine erste Klassenfahrt 1981 führte mich nach Berlin, genauer gesagt in den Wedding, wo in der Koloniestraße noch immer die damalige Jugendherberge existiert. Danach bin ich immer wieder gekommen und habe mir als Flaneur ganz allmählich ein Bild von der Stadt und ihren Menschen machen können.
Das Flanieren erfordert Aufmerksamkeit und Langsamkeit, man braucht Offenheit und Muße, um einen Ort betrachten und begreifen zu können. Man hört kleine Gesprächsfetzen und Musik, Verkehrslärm und Geschrei, man riecht das Mittagessen, das gerade gekocht wird, und die Abgase, Parfüm und Hundekot, den Zigarrengeruch alter Männer, man sieht, wie das Räderwerk der Stadt im Kleinen funktioniert: die Lieferwagen vor den Geschäften und die Kinder auf dem Schulweg. Diese Kleinigkeiten entgehen dem eiligen Autofahrer völlig. Ziellos laufend lässt sich die Stadt jedoch sehr einfach begreifen.
Berlin macht es einem anfangs nicht leicht, vor allem im trüben Winter nicht. Hier wird niemand mit offenen Armen empfangen, die Stadt ist Neuankömmlingen gegenüber schon immer gleichgültig gewesen. An die Geschäftigkeit, Spottlust und eilige Oberflächlichkeit ihrer Bewohner musste ich mich erst gewöhnen. Es dauert eine Weile, bis man die dicke Haut Berlins durchstoßen hat und zum Kern, „ans Einjemachte“ sozusagen, vordringt, zur proletarischen Behaglichkeit und zur tiefen Lebenslust der Menschen, zu ihrem derben Humor und ihrer zähen Beharrlichkeit. Wenn man sich aber in Berlin eingelebt hat, wenn man sich die Elefantenhaut der Metropole zu eigen gemacht hat und sich in ihr wohlfühlt, kann man diese Stadt nie wieder verlassen.
Nach Abschluss meiner Studien und der Promotion 1996 an der Freien Universität Berlin habe ich mich als Wissenschaftler am Deutschen Institut für Urbanistik und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung in zahlreichen Forschungsprojekten mit Berlin befasst: Rhythmus der Stadt, Folgen der globalisierten Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Vereinbarkeit von Beruf und Familie waren meine Themen. 2005 habe ich mich als Schriftsteller selbständig gemacht, mein letztes Buch war eine Gandhi-Biographie, die bei Suhrkamp erschienen ist (als Hörbuch bei Hoffmann & Campe). Mein nächstes Buch ist ein Berlin-Krimi, der Ende März 2009 bei Emons erscheinen wird: „Ich träume deinen Tod.“ Der nächste Kriminalroman soll im Brunnenviertel spielen, schließlich bietet der Kiez genügend Material für einen Krimiautor: eine facettenreiche historische Basis (Arbeitermilieu, Auf- und Niedergang der Industrie, Berliner Mauer, Kahlschlagsanierung), gute Locations (Swinemünder Brücke, Gleimtunnel, Flakbunker), beste Zentrumslage (inkl. eigenem ICE-Bahnhof) und viele interessante Menschen.
„Ich freue mich, daß es diesem Unglücksnest endlich gelingt, Weltstadt zu werden,“ hatte einst Friedrich Engels über Berlin geschrieben. Das gilt auch für die Gegenwart – und das Brunnenviertel wird mitten drin sein.

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