Samstag, 25. Juli 2009

Berliner S-Bahn


Es ist herrliches Spätsommerwetter und gegen Mittag beschließe ich, ans Kleist-Grab zu fahren und ein wenig am Wannsee spazieren zu gehen. Am Bahnhof Zoo steige ich in die S-Bahn, zwei Stationen weiter steigt ein abgerissener übelriechender älterer Mann mit schorfigen Wunden am fast kahlen Schädel ein und setzt sich mir gegenüber. Er spricht mich fortlaufend an, fragt nach der Uhrzeit und ob er mit diesem Zug zum Ostkreuz käme. Höflich und freundlich, wie ich mich den Gescheiterten gegenüber immer verhalte (denn sie geben mir das Gefühl, noch nicht völlig auf der untersten sozialen Stufe angekommen zu sein), antworte ich ihm in kurzen Sätzen und erkläre ihm, daß er sich auf dem Weg nach Potsdam befände. Mit heiterem Gemüt konstatiert er, alle Wege würden schließlich ans Ziel führen, und macht keine Anstalten, den Zug zu wechseln. Dann sagt er, er sei betrunken und holt zum Beleg ein kleines Cognacfläschchen aus der mitgeführten Plastiktüte. Er bietet mir einen Schluck an, ich lehne dankend ab, er stärkt sich ein wenig. Sehr zur Erheiterung der älteren Damen, die auf den Bänken neben uns sitzen, sagt er anschließend: "Brauchst keine Angst zu haben. Der Onkel Norbert ist ein guter Mensch." Dann bricht er in ein Wimmern und Heulen aus, sein Gesicht ist eine verzerrte Maske des Jammers. Ich antworte dem zwei Köpfe kleineren Mann, ich hätte keine Angst. Und wieder: "Brauchst keine Angst zu haben" usw. Plötzlich zieht er ein Messer. Es ist keines von der Sorte, die man zum Schmieren von Marmeladebrötchen benutzt, sondern ein scharf geschliffenes, spitzes Jagdmesser. Er richtet es auf mich, die Klinge ist einen halben Meter von meinem Bauch entfernt. Und wieder: "Brauchst keine Angst zu haben. Der Onkel Norbert ist ein guter Mensch." Ich bleibe nach außen ruhig und freundlich, während in meinem Kopf fieberhaft die Gedanken durcheinander fliegen. Es denkt in mir auf Hochtouren: den Mann und die Waffe im Auge behalten, cool bleiben und weiter reden, keine hektischen Bewegungen, notfalls den Gegner überwältigen. Ich erkläre ihm, er müsse erst aus- und dann umsteigen, um das Ostkreuz zu erreichen. Er sagt nur immer wieder: "Brauchst keine Angst zu haben. Der Onkel Norbert ist ein guter Mensch." Als würde eine Schallplatte hängen, dazu dieses gruselige Jaulen und die verzerrte Fratze. Schließlich steckt die Elendsgestalt das Messer wieder ein, wünscht mir noch einen guten Tag und steigt aus. Bei meinem Spaziergang geht mir durch den Kopf, wie schnell doch alles vorbei sein kann. Lange bleibe ich bei Kleist stehen. Dir wurde das Leben geschenkt, du hast nicht danach gefragt. Also frag auch nicht nach dem Tod, genieße das Leben wie Geld, das du auf der Straße gefunden hast.

Scheitern


Über das Scheitern ist nicht genug geschrieben worden. Aber wer kann vom Scheitern schon berichten? Viele Gefallene sind verstummt. Und die wenigen aufrechten Gescheiterten müssen sich im Triumphgeheul moderner Oberflächlichkeit eine Stimme verschaffen. Reden und schreiben ist das eine, zuhören und lesen das andere. Was kann man aus den Erzählungen der Gescheiterten lernen? Wie man es nicht macht? Wenn man auf einer Party nach seinem Namen gefragt wird, antwortet man schließlich auch nicht: Ich heiße nicht Fred. Über den Umweg des Gescheiterten und seine Erzählung wird man kein Gewinner. Und das scheint ja offensichtlich für die überwiegende Mehrheit der Menschen der Hauptzweck des Daseins zu sein. Der geheime Genuß des Scheiterns muß ihnen verborgen bleiben. Wer gescheitert ist, hat das Spiel hinter sich. Er ist erleichtert und kann fortan alles gelassen sehen. Wer in der Bundesliga auf dem letzten Tabellenplatz steht, kann aufatmen. Tiefer kann man nicht mehr sinken, es kann nur noch aufwärts gehen. Und erzähle mir keiner was von Abstieg. Ich glaube nicht an Wiedergeburt. Das Leben ist wie eine Saison und Platz 18 ist der behagliche Ruhepol des glücklichen Faulpelzes. Wer gescheitert ist, sollte nicht den Fehler begehen, es noch einmal versuchen zu wollen. In Deutschland wird es einem ohnehin nicht gedankt. Hinter dem Scheitern liegt das Reich der Freiheit. Und es ist angenehm ausgestattet. Was brauche ich? Essen, trinken, das "Dach über dem Kopf". Hat man alles immer. Musik, Fernsehen, Bücher? Kein Problem. Gelegentlich eine neue Unterhose und Blumen für Mutti? Geht auch irgendwie. Was soll’s also? Laut einer Versicherungsstatistik ist "Gehen auf ebener Erde" die sicherste Fortbewegungsart. Das kann ich bestätigen. Nicht fallen, rennen, taumeln, torkeln, kriechen, kugeln, robben, rollen, stürzen, straucheln, hinken, hasten und was es der Fortbewegungsarten mehr gibt. Das einfache Gehen, zumal auf ebener Erde, ist die wundervollste Art, sich auf dieser schönen Welt fortzubewegen. Bei allen fernen Zielen sollten wir uns fragen, ob sie es wert sind, zu Fuß erreicht zu werden. Sind sie es nicht, sollten wir zu Hause bleiben.

Donnerstag, 23. Juli 2009

Creative Losing


Take 1

Peter, Paul und Mario sitzen um einen Tisch voller leerer Bierflaschen.
Mario, ein abgehalfterter Ex-Bundeswehroffizier, dessen Getränkehandel mehr als schlecht läuft, und der sein Haar so kurz trägt, dass ein US-Soldat gegen ihn wie ein Hippie wirkt, fragt: "Und Paul, was hast du vor? Willst du es dieses Jahr schaffen, von der Stütze weg zu kommen?" Er ist stolz, wenigstens einer Arbeit nachzugehen, aber in Wirklichkeit lebt er vom Übergangsgeld, das ihm nach zwölf Jahren Brüllen und Scheiße-Fressen zusteht. Erst vor kurzem ist er aus seinem großen Dorf in die kleine Stadt gezogen.
Paul, ein arbeitsloser Akademiker, der nach ein paar Jahren als Doktorand an der Uni weder die Promotion noch den Absprung in einen seriösen Beruf geschafft hat und der immer noch die selben Jeansjacken und Sweat-Shirts wie in der 8. Klasse trägt, antwortet: "Ich habe da eine Idee. Ich will einen Krimi schreiben. Krimis werden immer gelesen und ein alter Freund von mir möchte einen kleinen Verlag aufziehen."
Peter, der eine illegale Autowerkstatt in einem Hinterhof am Rande ihrer kleinen Stadt betreibt und der Metall nicht nur in Werkzeugform, sondern auch als Piercing an seinem gesamten Körper nutzt, fragt: "Und wie kommt man da auf eine Idee? Du hast doch keine Ahnung von Verbrechen."
Paul: "Creative Writing."
Mario: "Was soll das denn sein?"
Paul: "Das ist aus Amerika. Ich habe ein Buch darüber gelesen. Du verwandelst die Realität, deinen Alltag in eine Geschichte. Du machst einen Plot daraus und für den Ablauf der Handlung gibt es bestimmte Schemata, nach denen du diesen Plot entwickelst." Paul benutzt gerne Worte wie "Schemata", die Mario und Peter nicht mögen. Sie hätten "Schemas" gesagt.
Peter kratzt sich nachdenklich an seinem Augenbrauenpiercing: "Dann zeig uns doch mal, wie das geht!"
Paul: "Nichts leichter als das. Nehmen wir mal die Protagonisten ..."
Mario: "Red deutsch, du elender Sohn einer neunbrüstigen Hyäne und eines defekten Tankrüssels."
Paul: "Die Hauptdarsteller, du viertklassiger mongoloider Tierversuchs-Ersatz!"
Peter: "Jetzt kommt endlich auf den Punkt, ihr Jauche saufenden Schweine." Die drei lieben es, sich die übelsten Beschimpfungen um die Ohren zu hauen.
Paul: "O du eiternde Geissel der Karpaten, du leichtfertig ausgeschissene Schmach des Rheinlands, du philippinischer Hartgeld-Stricher! Pass auf, nehmen wir mal drei Personen. Sagen wir, der eine ist ein abgehalfterter Bundeswehroffizier, dessen Frau ihn betrügt ..."
Mario: "Du hast sie ja wohl nicht alle, du schleimgeborener Sohn päderastischer Molusken, der du aus dem verfaulten Leib einer armenischen Zigeneunernutte gekrochen bist, die beim Anblick deiner räudigen Zombiefresse vor Schreck verreckt ist!"
Paul: "He, es ist doch nur eine Geschichte. Sie hat nicht wirklich mit euch zu tun, verstehst du? Was ich hier sehe, ist nur der Rohstoff, und ich mache daraus Literatur. Ihr seid wie Hopfen und Malz, ich bin der Braumeister. Also: Die zweite Person ist ein zugepiercter Mechaniker, der schwarz alle möglichen Autos repariert, und über dessen Werkstatt der einzige Swinger-Club einer Kleinstadt ist."
Peter: "Möge der kotzefressende Beelzebub, der den üblen Samen auf einen von Schmeissfliegen umschwirrten Misthaufen fallen ließ, aus dem du hervor gekrochen bist, dir auf ewig Chilipulver unter die Vorhaut und die Augenlider reiben, bis das du bereuest deinen Frevel gegen mich."
Paul: "Halt endlich dein vor Dummheit aufgeschwollenes Maul, damit ich weitermachen kann, du asoziales Stück Rattenscheiße aus der übelsten Gosse einer hinterindischen Leprastation! Die dritte Person ist ein arbeitsloser Akademiker. Die drei sitzen in einer Wohnung und überlegen, wie sie zu Geld kommen können. Da tritt einer von den drei Pro ... von den Hauptdarstellern ans Fenster. Mario, würdest du mal ans Fenster gehen!"
Mario: "Was soll die Scheiße?"
Paul: "Bitte, mach es einfach."
Mario steht auf und geht ans Fenster. "Ungeziefer wie dich, das im Rinnstein darauf wartet, von seinem erbärmlichen Dasein als Kotzbrocken erlöst zu werden, sollte man eigentlich mit Schimpansenauswurf bepinseln und den Wespen überlassen."
Paul: "Jetzt sag mir einfach mal, was du da siehst, du menschliche Variante eines gebrauchten Tampons."
Mario: "Ich sehe die Straße und dahinter die Wiese am Kanal."
Paul: Weiter!"
Mario: "Dann kommen ein paar Bäume und dahinter die Mauer vom Grundstück der alten Gomolke." Die alte Gomolke ist eine reiche Industriellenwitwe. Niemand in der Stadt hat soviel Geld wie sie, über die Höhe des Vermögens wird gerne in den umliegenden Spelunken spekuliert.
Paul wendet sich an Peter: "Willst du die Geschichte weiter erzählen?"
Peter grinst: "Die drei Jungs planen eine Entführung."
Paul: "Genau. Der erste hat eine solide Armeeausbildung und kann mit Waffen, Sprengstoff usw. umgehen. Der zweite kennt sich mit Autos aus und hat ein gutes Versteck. Und der dritte hat Erfahrung in Projektplanung und kann reden, also über das Lösegeld verhandeln. Kapiert?"
Mario und Peter nicken schweigend.
Paul: "Und was haltet ihr von dem Plan?"
Mario: "Das ist besser als meine Idee, den Swinger-Club zu beobachten und irgendwelche verheirateten Hausfrauen zu erpressen."

Take 2

In den folgenden Tagen verbringen sie viel Zeit mit einem Feldstecher am Fenster von Peters Wohnung. Der Haupteingang zum Grundstück der alten Gomolke liegt auf der anderen Seite, schräg gegenüber einem Weingut, das auch eine Straußwirtschaft betreibt. Während die Schoppengläser in der Sonne funkeln, machen sie sich Notizen. Offenbar lebt auf dem Grundstück noch ein Hausverwalter, der für den Garten zuständig ist, und dessen Frau die Villa in Ordnung hält. Bei unauffälligen Spaziergängen durch die umliegenden Straßen und am Kanal können sie sich einen Überblick zum Thema Sicherheitstechnik verschaffen.
Währenddessen im Swinger-Club:
"Na, Susi. Wann kommst du endlich mit der Kohle rüber?" Susi hat sich Geld geliehen, aber irgendwie war alles in den Parfümerien und Modegeschäften der nahen Großstadt geblieben.
"Du kriegst es bald, versprochen."
"Oder dein Mann bekommt dieses nette kleine Videoband zusammen mit unserem Leergut."
"Jetzt bleib mal ganz locker. Mario und ich werden bald eine ganze Menge Kohle haben, verlasst euch drauf!"
"Ach nee, erzähl doch mal."
Susi schweigt. Aber um eine lange und schmutzige Geschichte kurz zu machen: Schließlich erzählt sie den beiden Bulgaren doch alles, wobei einige Tropfen in ihrem Gin-Tonic eine nicht unwesentliche Rolle spielen.
 
Take 3

Am Samstagabend ist es dann soweit. Peter hat einen alten Wartburg an der Hafenmole angezündet, Polizei und Feuerwehr sind also beschäftigt. Der Hausverwalter und seine Frau sitzen, wie jeden Samstagabend, in einem Gasthaus bei Jägerschnitzel und Faßbier.
Mario schleicht sich an die Stelle der Grundstücksmauer, wo ein Sicherungskasten angebracht ist. Das Haus wird über eine Nebenleitung mit Strom versorgt und an dieser Leitung hängt auch die Alarmanlage. Er benutzt eine Ladung Thermit, das zwar brennt, aber nicht explodiert. Kurz darauf ist alles dunkel auf dem Grundstück. Er stellt eine Leiter an die Mauer, klettert hinauf und nimmt die Leiter mit auf die andere Seite. Dann rennt er in seinem schwarzen Kampfanzug und der Sturmhaube hinüber zum Haus und schneidet ein Loch in die große Glasfront der Terrasse, um an den Türgriff zu kommen. Die alte Gomolke denkt wohl, es handele sich um einen normalen Stromausfall, denn er findet sie – nachdem er ninjamäßig durch das Haus geschlichen ist - in der Küche, wo sie gerade eine Kerze anzündet. Sie sieht ihn nur verständnislos an, ihm fällt auf, dass sie Ringe unter den Augen hat wie ein alter Bluthund. Aber sie ist starr vor Schreck. Sie schreit nicht einmal, als er sie mit Chloroform betäubt.
Mit der Gomolke auf dem Rücken geht es keuchend zurück über die Mauer, wo Peter mit dem Fluchtwagen, einem Opel Rekord, wartet. Paul hilft, die reiche Witwe im Kofferraum zu verstauen. Der Geruch von Tosca provoziert seine Nasenschleimhäute.
Dann fahren sie zu Peters Werkstatt am Rand der kleinen Stadt. Als er das Tor öffnet, werden sie von Taschenlampen geblendet. Und damit endet ihre Entführung. Oder besser: Die Entführte wird erneut entführt.

Take 4

Peter, Paul und Mario sitzen um einen Tisch voller leerer Bierflaschen.
Paul: "Verdammte Scheiße. Ich kann es immer noch nicht glauben."
Mario: "Alles geplant bis ins die kleinste Kleinigkeit. Ich würde gerne wissen, wer uns verraten hat, aber wir werden es wohl nie rauskriegen."
Peter: "Dafür sitzen wir wenigstens nicht im Knast wie dieser bescheuerte Dimitri und sein Kumpel. Die haben sich bei der Lösegeldübergabe aber auch wirklich blöd angestellt. Habt ihr die Aufnahmen vom Swinger-Club in der Landesschau gesehen? Zum Glück hat niemand nach meiner Werkstatt gefragt."
Paul sieht die ganze Sache gelassen. Er hat nichts zu verlieren. Weder Frau und Kind, noch Haus oder Vermögen. Kein Gerichtsvollzieher kann ihm etwas nehmen. Er hat nur seinen Körper und dessen Bedürfnisse. Mit der Methode des Creative Writing können sie sich jeden Tag einen neuen Plot ausdenken.
Mario: "Wir bringen die Schweine um. Ich kenne einen abgelegenen Bootsanleger am Fluß, an der DLRG-Station. Wir schaffen diese Hurensöhne mit einem Boot raus aufs Wasser und versenken sie mit Gewichten. Die findet niemand mehr. Irgendwann wird man sie als vermisst melden und einige Zeit später wird man leere Särge beerdigen. Die Leute vom Friedhof werden noch nicht einmal wissen, welches Datum sie auf die Grabsteine schreiben sollen." Er nörgelt immer herum wie ein altes Waschweib.
Peter steht am Fenster und schaut hinaus, aber er sieht nichts.

Mittwoch, 1. Juli 2009

Es war einmal im Brunnenviertel


Inmitten des Gleimtunnels, dort wo er am dunkelsten und unheimlichsten ist, gibt es ein rundes Loch in der Wand, durch das eine ausgewachsene Katze nicht hindurchpassen würde. Hinter dem Loch liegt ein langer, langer Gang, der in die Tiefe führt. Dort unten in der Finsternis liegt eine Höhle, und in dieser Höhle, die so tief in der Erde verborgen ist, dass man sie als Dachstuhl des Teufels bezeichnet, lebt ein Kobold, der sich selbst den Namen Gleimi gegeben hat. Er ist so groß wie eine Männerhand, trägt eine dunkelblaue Hose, eine ebensolche Jacke, schwarze Stiefelchen und einen spitzen roten Hut. In seiner Höhle hütet Gleimi einen Schatz, den ein Nazi hier vor vielen Jahren vergraben hat. Anstatt sich nun aber auf seinem Schatz auszuruhen, nimmt er jede Nacht Spitzhacke und Schaufel, um unter der Oberfläche nach neuen Schätzen zu suchen. Tagsüber manifestiert sich Gleimi im Streichelzoo hoch über dem Tunnel als Meerschweinchen, das nicht auf den Namen Manfred hört. Die Leute von den "Berliner Unterwelten" kennen den Kobold schon seit langem und grüßen artig, wenn sie ihn in dunklen Ecken rumoren hören. Meist sieht man aber nur sein Werk, kleine Höhlen und Gänge, die sich neben den Höhlen und Gängen der Menschen zwar gering ausnehmen mögen, aber wie ein feines Netz die Erde unter dem Gleimtunnel, dem Park und den angrenzenden Häusern durchziehen. So lebt der kleine Racker alle Tage, und wenn er gar zu übermütig wird, reitet er singend auf seinem dressierten Maulwurf durch die dunklen Weiten unter dem Brunnenviertel. In letzter Zeit wird der Kobold aber gestört, Maschinenlärm dröhnt am alten Bahndamm und lässt die Erde erzittern. Es hört sich an, als schlüge ein Riese mit Eisenketten auf eine Felswand. Die Maschinen vertreiben ihm die Würmer, aus denen er sich ein Süppchen zu kochen pflegt, und machen es ihm unmöglich, das Gold in der Erde wachsen zu hören. Was soll Gleimi nun machen? Soll er sich an das zuständige Bezirksamt wenden? Leserbriefe schreiben? Nein, denn er ist ein Kobold und Kobolde halten nichts von Politik und Medien. Und so füllt er eines Nachts ein Säckchen mit feinstem märkischen Sand und schleicht sich an die Tankklappe – das klingt übrigens wie Tarnkappe und die kommen in Märchen ja häufig vor – eines Baggers an.

- Fortsetzung folgt -