Sonntag, 18. Juli 2010

Sonntagnachmittag

Alles Langsame und Wiederkehrende übt eine beruhigende Wirkung auf uns aus. Das Neue und das Schnelle verursachen Stress, den wir gerade an heißen Sommertagen vermeiden möchten. Besonders entspannend sind daher langsame, wiederkehrende Ereignisse an Sonntagnachmittagen, beispielsweise in der „Witwe Bolte“ (bei Insidern auch als „Wild Bottle“ unbekannt) in der Uhlandstraße. Hier bedient der vermutlich langsamste Kellner der Milchstraße, ein uralter Schwarzafrikaner, der mit einem unerschütterlichen Stoizismus und der Weisheit der Schnecke ausgestattet ist. Wenn dieser tapfere Greis ein einziges, sanft leuchtendes Weihenstephan an meinen Tisch bringt, denke ich an den Film „Die Zeitmaschine“: Während des langen Weges vom Tresen und zur Gasthaustür hinaus bis zu meinem Tisch könnte die Sonne unter- und wieder aufgehen, Jahreszeiten könnten vergehen, Weltreiche entstehen und verfallen. Es erfüllt mich jedes Mal mit großer Dankbarkeit, wenn er meinen Tisch erreicht und mir mit unsicherer Hand das Glas entgegen streckt. Hier möchte ich nicht mehr weg, nichts beunruhigt mich, der gleichförmige Fluss der Dinge webt mich in die Straßenszene ein. Am Nachbartisch sitzt eine Familie bei gebratenem Huhn, Brot und Krautsalat, auf der anderen Seite hat sich ein älterer Herr mit seiner Promenadenmischung niedergelassen. Der Kellner nimmt immer nur eine Bestellung auf einmal auf, er hat keinen Notizblock. Dann schlurft er wieder gemächlich ins Innere, gelegentlich unterwegs Kinderköpfe streichelnd und lächelnd. Seine Arbeit hypnotisiert mich wie eine Lavalampe, ein Sonntagnachmittag, der nie zu Ende gehen wird. Denn alles um mich herum wird immer langsamer, bis es endlich zum Stillstand gekommen ist.

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