Mittwoch, 20. Juli 2011

Warum sollen die Schwaben sterben?

In den letzten Wochen haben Graffiti wie „Tötet Schwaben“ und „Yuppies abschlachten“ für Bestürzung gesorgt. Was ist los im Prenzlauer Berg? Schlägt der Zorn bald in Gewalt um? Es gibt m.E. zwei Gründe für die Wut, mit der die Gentrifizierung der ehemaligen Ost-Berliner Innenstadt (Ur-Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain) begleitet wird. Zum einen ist es die Konkurrenz zwischen „Alt-Zugereisten“ und „Neu-Zugereisten“: Der typische „Alt-Zugereiste“ kommt aus den westdeutschen Bundesländern, er hat bewusst die Provinz mit der Großstadt vertauscht und hat bestimmte Erwartungen an das Metropolenleben. Der „Neu-Zugereiste“ aus der (wiederum überwiegend westdeutschen) Provinz bedroht die vom „Alt-Zugereisten“ mühsam erworbene Distinktion zwischen altem Landleben und neuem Stadtleben. Der „Neu-Zugereiste“ schleppt quasi den Dreck aus der Provinz in den edlen Salon der selbsternannten Bohème. Die Provinz, der man entflohen ist, rückt mit jedem neuen Möbelwagen, der seinen Ikea-Plunder auf den Bürgersteig ergießt, wieder näher. Niemand personifiziert diese Angst vor dem Rollback des Provinzlebens mehr als der Schwabe, weil er mit seinen angeblichen Eigenschaften als Prototyp des deutschen Spießers gilt: geizig und ehrgeizig, ordnungsliebend und gesetzestreu. Hier kommen wir zum zweiten Punkt für die antischwäbischen Ressentiments: Viele der „Alt-Zugereisten“ sind Linksalternative, Linksautonome oder Linksradikale. Ein echter Linker braucht aber ein repressives Milieu, einen Gegner, an dem er sich als Opfer von Ausbeutung, Unterdrückung, sozialer Ungerechtigkeit etc. abarbeiten kann. Ein solches repressives Milieu lässt sich leicht schaffen, in dem man nicht nur den Staat und die Wirtschaft zum Feindbild erklärt, sondern auch eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, die sich durch ihren schrecklichen Dialekt und ihre merkwürdigen Essgewohnheiten sehr leicht identifizieren und isolieren lässt. „Der Schwabe“ wird zum Feind um die Ecke, wenn der große Satan mit seinen Wasserwerfern und Luxuslimousinen sich mal wieder nicht im Kiez blicken lässt. Darüber hinaus ist die Debatte für mich ein Zeichen, dass die Dynamik, mit der die Innenstadtbevölkerung ausgetauscht wird, für viele Bewohner die Schmerzgrenze erreicht hat. Knapp 150.000 Menschen sind im vergangenen Jahr nach Berlin gezogen, etwas weniger haben die Stadt wieder verlassen. Dazu die zentrifugalen Verdrängungsprozesse innerhalb der Stadt, in deren Folge die Unterschicht aus dem Zentrum in die Peripherie abgeschoben wird. Der Zorn der Graffiti-Sprayer und ihrer Sympathisanten ist ein Symptom dieser Entwicklung, deren Tempo viele Berliner schlicht überfordert.

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