Samstag, 1. August 2015

Die Antwort

„Der Rauch meiner Zigarette bildete das japanische Schriftzeichen für ‚Metapher‘. Schauer der Bedeutungslosigkeit liefen mir über den Rücken.“ (Johnny Malta: Buffalo Bill Bonetti bei den Mulatten in den Sushi-Minen von Hanoi)
Es war einer dieser heißen Julitage, als ein Mann mit langen schwarzen Haaren unter den Yorckbrücken den Bürgersteig entlang spazierte. Er hatte gerade im „+39“ am Viktoriapark Tagliatelle mit Calamaretti gegessen und dazu eiskalten Prosecco getrunken. Nun ging er gut gelaunt zur Bushaltestelle hinüber.
Bremsen quietschten.
„Können Sie nicht aufpassen? Das ist ein Radweg“, brüllte ein Anzugträger mit Fahrradhelm.
„Mach dich mal locker, mein kleiner Machiavelli“, antwortete der Mann und grinste.
„Wie haben Sie mich genannt? Das ist eine Unverschämtheit. Ich werde Sie anzeigen!“
„Da kommt mein Bus. Schick mir'n Beschwerdebrief, du Fahrradnazi.“
„Sie bleiben hier, bis ich die Polizei geholt habe. Als Bürger habe ich das Recht, Sie festzuhalten.“
„Hab ich dir heute eigentlich schon gesagt, dass du die Fresse halten sollst? Nein? Dann sag ich’s dir jetzt: Halt die Fresse!“
„Nicht in diesem Ton, junger Mann! Was glauben Sie eigentlich, mit wem Sie es hier zu tun haben?“
Da nahm der Mann zwei Schritte Anlauf und trat den Anzugträger vom Rad.
Er flog direkt vor den anrollenden Bus, der nicht mehr bremsen konnte.
Das Geräusch war sehr hässlich.
Etwa so, als ob man auf eine Nacktschnecke treten würde.
Der Mann drehte sich um und lief die Treppe zur U7 hinunter. Den nächsten Zug würde er nehmen, egal in welche Richtung. Er ging den Bahnsteig entlang und hielt den Kopf gesenkt, um den Überwachungskameras kein Bild zu liefern. Zum Glück hatte er kein Handy dabei, die Polizei würde ihn also auch nicht über eine Funkzellenauswertung kriegen.
Die U7 Richtung Rudow fuhr ein. Nach zwei Stationen stieg er am Mehringdamm in die U6 in Richtung Wedding um. Am Leopoldplatz, viele Kilometer vom Tatort entfernt, verließ er die U-Bahn und schlenderte die Müllerstraße entlang.
Kurze Zeit später betrat er einen Klamottenladen, kaufte ein weißes T-Shirt und zog es in der Umkleidekabine an. Sein schwarzes T-Shirt packte er in eine Tüte, die er wenig später in einen Abfalleimer warf. Danach ging er in einen Friseursalon und ließ sich seine langen schwarzen Haare schneiden. Mit einem weißblonden Kurzhaarschnitt betrat er eine halbe Stunde später den Laden eines Optikers, um eine schicke Brille für schwach Kurzsichtige zu erstehen.
Anschließend fuhr er mit der S-Bahn auf dem Ring vom Wedding bis zum Bundesplatz. Er stieg aus und ging in aller Ruhe ein Bierchen trinken. Gegen Abend lief er zu Fuß nach Hause und sah sich in der Abendschau des RBB den Bericht vom tragischen Tod eines Wirtschaftsprüfers in Schöneberg an, nach dessen Verursacher die Polizei gerade suchte.
P.S.: Jetzt in einem Kiosk ganz in Ihrer Nähe: „Buffalo Bill Bonetti bei den Mulatten in den Sushi-Minen von Hanoi“. Kaufen, bevor es zu spät ist!
Queen - Bicycle Race. https://www.youtube.com/watch?v=GugsCdLHm-Q

2 Kommentare:

  1. Antworten
    1. Der Anfang der Geschichte hat sich vor einigen Wochen tatsächlich so zugetragen. Ich war mit einer Kreuzberger Freundin im +39 essen und wäre an der Bushaltestelle unter den Yorckbrücken beinahe mit dem behelmten Anzugträger zusammengeprallt (der mich auch gleich angeschnauzt hat), wenn ein junger Afro-Berliner mich nicht zur Seite gezogen hätte. Ich bedankte mich, wir kamen kurz ins Gespräch und im Bus habe ich mir dann diese Geschichte zusammenphantasiert ...

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