Sonntag, 2. August 2015

Heimatlos

Kennen Sie das Gefühl, in eine dieser Kneipen zu kommen, die gar nicht ihre Stammkneipe ist, sondern die Stammkneipe anderer Leute? Du kommst herein und schlagartig verstummen alle Gespräche. Die Leute am Tresen starren dich an. Bewegungslos. Manche halten ihr Bier- oder Schoppenglas noch auf halber Höhe, sind aber scheinbar unfähig, es wieder abzustellen oder den geplanten Bewegungsablauf zu beenden. Hinter dir hörst du das leise Quietschen der Saloontür. Du weißt in diesem Augenblick, dass du einen gewaltigen Fehler gemacht hast. Aber nun ist es zu spät. Du kannst nicht mehr zurück. Also setzt du dich hin.
Wir sind zu zweit. In unserem Dorf gibt es keine Kneipe mehr, seit im Februar der Wirt der „Bierpumpe“ beerdigt wurde. Man hängt halt doch symbiotisch am Wirtstier, seitdem heißt es hier im Dorf: Parasiten suchen Anschluss. Unbehaust, aber durstig wie immer. Also haben wir einen Tages den Entschluss gefasst, es zwei Dörfer weiter zu versuchen. Wir setzen uns an einen großen Tisch, der Wirt kommt und wir bestellen zwei Weizenbiere. Zögernd und leise beginnen die Gespräche der Stammgäste wieder. Nach dem ersten Bier wird das unangenehme Gefühl, am falschen Ort zu sein, langsam schwächer. Wir unterhalten uns über Fußball. Bloß nichts falsch machen.
Dann kommt eine Gruppe junger Leute herein und setzt sich zu uns an den großen Tisch. Es scheint ihr Stammtisch zu sein. Sie grüßen höflich und bestellen Bier und Schnaps. Stammgäste. Das ist ihr Dorf, das ist ihre Kneipe. Einer von ihnen fragt schamlos, woher wir eigentlich kommen würden. Als wir „Schweppenhausen“ sagen, lachen alle. „Ah, Hunsrücker“. Sie hätten auch „Ah, Chinesen“ rufen können. Heimatlos, würdelos, trostlos würgen wir das zweite Bier hinunter. Dann zahlen wir und gehen. Mit dem Bus sind wir gekommen (Schande!), mit dem Taxi fahren wir zurück (Wucher!). Nie mehr, schwören wir uns. Nie mehr!
Manfred Mann's Earth Band - Black And Blue. https://www.youtube.com/watch?v=XPV2tvWzYvU

2 Kommentare:

  1. Vielleicht wäre das Bestellen eines Nahe-Weines "sozialverträglicher" gewesen? ;)

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