Samstag, 22. August 2015

Seien wir ehrlich

„Plaudite cives, plaudite amici, finita est comoedia.”
„Applaudiert Bürger, applaudiert Freunde, die Komödie ist zu Ende!“
Machen wir uns nichts vor: Wir haben die Bilder geschaffen, die Menschen aus aller Welt in dieses Land locken. Wir haben die Medien erfunden, die diese Bilder und Verlockungen in alle Welt ausstrahlen. Wir haben die Transportmittel erfunden, mit denen die Menschen in dieses Land kommen können. Wir haben mit unseren Kriegen und unserer Raffgier die Heimat dieser Menschen zerstört.
Seien wir für einen Augenblick ehrlich: Wir haben die gleißende Vision erschaffen, hier sei ein Ort des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands. Wir haben auf dem Jahrmarkt dieser Welt einen der schönsten Stände aufgebaut, ein goldenes Zelt mit strahlenden Lichterketten. Und es ruft dem Besucher zu: Tritt näher, komm herein!
Und Millionen verfallen den Sirenenklängen. Sie sehen die Bilder, sie hören unsere selbstverliebte Werbung: Deutschland ist schön! Wer möchte nicht in diesem herrlichen Land leben? Bei den reichen Bayern und Schwaben, bei den hippen Kölnern und Berlinern? Geld? In Frankfurt schießt es in hohen Fontänen aus den Fördertürmen des Kapitalismus. Unsere Supermärkte platzen vor Köstlichkeiten, unsere Shopping Malls quellen über vor Klamotten und Elektronik. Was brauchst du? Einfach ein kleines Bild im Internet anklicken und es kommt an deine Haustür.
Wir haben ein Schlaraffenland geschaffen. Und jetzt kommen die Menschen in dieses gelobte Land. Wären wir tatsächlich ehrlich gewesen, hätten wir die Menschen in aller Welt rechtzeitig gewarnt. Wohlstand gibt es nicht für jeden. Wer in dieses Land kommt, darf für das Herrenvolk putzen und kochen. Und für seine Arbeit wird man nur mit dem Lebensnotwendigsten entlohnt.
Wir hätten zugeben müssen, dass unsere Demokratie nur Fassade ist, ein Trugbild, hinter dem sich die alten Herrschaftsverhältnisse verbergen. Wir hätten sie vor den Rassisten und Mördern warnen müssen, die überall auf sie warten. Wenn wir ehrlich gewesen wären, hätten wir sie vor dem Neid warnen müssen, dem Hass, der Selbstgerechtigkeit, dem Egoismus, der Missgunst, dem Hedonismus, der Leere, der Angst, der Verzweiflung, die in dieser grellbunten Zirkusbude lauern.
Seien wir ehrlich. Sie sind betrogen worden. Wir sind betrogen worden. Sie wollen so wie wir leben. Wir wollen nicht so wie sie leben. Jetzt treffen wir uns. Ihnen ist ihre Armut peinlich. Uns ist unser Reichtum peinlich. Eine unangenehme Situation. Hoffentlich gibt es in den Medien bald ein neues Thema. Denn Ehrlichkeit ist nicht gerade unsere Stärke.
Joy Division – Atmosphere. https://www.youtube.com/watch?v=1EdUjlawLJM

1 Kommentar:

  1. Jaja, blühende Landschaften im Osten, wir brauchen Immigration. Für doofe Sprüche war sich unsere Politik nie zu schade.

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