Samstag, 12. September 2015

Hans Fallada

Jablonskistraße 55, Prenzlauer Berg. Eine kleine Wohnung: Wohnküche, Schlafzimmer. Toilette auf halber Treppe. Ein Arbeiterehepaar. Und dann kommt ein Brief, der ihr Leben verändert. Ihr Sohn, ihr einziges Kind, ist im Krieg ums Leben gekommen. Sie beschließen, selbst Karten und Briefe zu schreiben. Gegen den Krieg, gegen die Diktatur. Sie legen ihre Botschaften in belebten Treppenhäusern aus. Polizei und Geheimdienst sind schon bald hinter ihnen her. Sie ahnen es schon: Die Geschichte geht nicht gut aus. Weder im wahren Leben, noch im Roman von Hans Fallada.
Denn diese grausame Geschichte aus der Zeit der Finsternis ist wirklich passiert. Sie ist aus Unterlagen der Gestapo rekonstruiert. Die realen Vorbilder waren die Widerstandskämpfer Otto und Elise Hampel aus dem Wedding (eine Gedenktafel in der Amsterdamer Straße 10 erinnert noch heute an sie). Die Erzählung Falladas, die im Prenzlauer Berg beginnt und - bis auf wenige Szenen im Umland - ausschließlich in Berlin spielt, endet in Plötzensee. „Die Einzelzelle des Totenhauses ist nun seine letzte Heimat auf dieser Erde. (…) Die zum Tode Verurteilten haben nur noch den Tod zum Gefährten, so will es das Gesetz.“
Als der Krieg endlich vorbei ist, schreibt Rudolf Ditzen, so der bürgerliche Name Falladas, den umfangreichen Roman (866 Schreibmaschinenseiten) in nur dreieinhalb Wochen. Zu diesem Zeitpunkt ist er aufgrund seiner Drogen- und Alkoholsucht in der Nervenklinik der Berliner Charité. Es ist sein letztes großes Werk. Drei Monate später ist er tot. „Jeder stirbt für sich allein“ ist ein Buch, das die Innenwelt des Nationalsozialismus beschreibt: Gewalt, Angst, Verrat, Fanatismus, Tod. Die Hoffnungslosigkeit einer kaputten Welt. Im Dritten Reich zeigen sich die widerlichsten Charaktereigenschaften des Menschen. Und ich erschrecke beim Lesen immer wieder, denn einige Szenen spielen in meinem alten Kiez zwischen Prager Platz und Nollendorfplatz.
Im nächsten Jahr kommt die Verfilmung ins Kino („Alone in Berlin“), im Frühling haben die Dreharbeiten begonnen. Das Buch war vor einigen Jahren in den USA, in Großbritannien, Frankreich und Israel ein Bestseller. In Deutschland wurde die Neuausgabe über dreihunderttausendmal verkauft. Der Freund, der es mir geliehen hat, sagte noch, dagegen sei Kafkas Prozessroman ein heiterer Sommerspaziergang. Harter Stoff. Deprimierend. Brutal. Bis zur Hinrichtung, die mit schmerzhafter Präzision geschildert wird. Eigentlich ist es nicht zu ertragen. Aber es lohnt sich.
The Cure - Charlotte Sometimes. https://www.youtube.com/watch?v=Wih15YiH9UY

1 Kommentar:

  1. Ich fand den "Roman eines Schickalslosen" von Imre Kértesz schon sehr schrecklich. Das Gefühl schleicht sich bei bei allen Büchern ein, bei denen der Leser so neben der Handlung steht. "Der Fremde" von Albert Camus liegt auch in der Klasse.

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