Samstag, 26. Dezember 2015

Berliner Asche, Kapitel 2, Szene 4

Donnerwetter, dachte Kommissar Leber, als er sich aus dem Smart geschält hatte. Der Hausvogteiplatz ist ja nicht wiederzuerkennen. Richtig schick und weltstädtisch, allerdings in seinen Augen auch ein bisschen fremd. Hier stand eine filigrane „Tanzende Berolina“, ein eher abstrakt wirkendes Edelstahlgeflecht, das die Stadtgöttin darstellen sollte. Vor dem Krieg stand die Berolina als gusseiserne Walküre auf dem Alexanderplatz, bevor sie von den Nazis zu Kriegszwecken eingeschmolzen wurde. Als Berliner war Leber solche schicken Ecken gar nicht gewohnt, der Platz hätte auch in London oder Paris liegen können. Hier hatte die Maximum AG ihre Geschäftsräume, alle Achtung. Und auch das Luxushotel „Park Plaza Wallstreet“ machte einen durchaus geschäftstüchtigen Eindruck – zumindest auf einen Laien wie Leber. Seine Frau, die sich um ihre Finanzen kümmerte und sich für Immobilien interessierte, hatte ihm gesagt, hier würden die Wohnungen ab sechstausend Euro den Quadratmeter aufwärts kosten. Und es gab keine kleinen Wohnungen in dieser Gegend. Das Messingschild am Gebäude Ecke Niederwallstraße wirkte sehr edel, der ganze Gebäudekomplex sah so neu aus, als hätte man ihn direkt aus einem Prospekt nach Berlin-Mitte gebeamt.
Am Empfang im dritten Stock begrüßte sie eine junge Dame mit hellblonden, streng zurück gekämmten Haaren, die jeden Miss-Empfangsdame-Wettbewerb in dieser Stadt locker gewonnen hätte.
„Mein Name ist Leber. Das ist Herr Laschka, mein Assistent. Wir möchten im Fall Altmann ihre Vorgesetzte sprechen.“
„Ja, ein schreckliches Unglück“. Für einen Augenblick fürchtete Leber, ihr kostbarer Kosmetikschmuck bekäme Risse oder Flecken, aber der zarte Panzer blieb glücklicherweise heil. „Frau Sutter erwartet Sie bereits. Die zweite Tür rechts, bitte.“
Als Leber an die Tür klopfte, überraschte ihn die dunkle Stimme von der anderen Seite. „Herein.“
Der Kommissar öffnete die Tür zum Büro. Vor ihm stand ein Mann von etwa sechzig Jahren. Seine schütteren Haare waren so grau wie die abgenagten Knochen eines Hähnchens. Hinter ihm saß eine großgewachsene Frau im dunkelblauen Businesskostüm und einer kastanienbraunen Pagenfrisur im Prinz-Eisenherz-Stil. Leber dachte unwillkürlich an seine alten Comichefte, die er als Kind gelesen hatte.
„Kommissar Leber. Das ist Herr Laschka, mein Assistent.“
„Sehr erfreut, Herr Kommissar. Mein Name ist Marion Sutter. Das ist Herr Busch, ein langjähriger Mitarbeiter unserer Firma und die rechte Hand von Herrn Altmann, wenn Sie so wollen. Der zweite Mitarbeiter, Lars Buchholz, nimmt gerade einen Außentermin mit einem Kunden wahr. Aber setzen Sie sich doch. Darf ich Ihnen etwas anbieten?“
Sie setzten sich zu viert auf die schwarzen Konferenzstühle in der Besprechungsecke des Büros. „Vielen Dank, Frau Sutter. Wir brauchen nichts, nur ein paar Antworten.“ Wie immer zündete auch diesmal Lebers Standardpointe nicht und blieb der dürftige Versuch, dem Gespräch etwas Ungezwungenes und Leichtes zu geben. Wenn die Polizei vor einem saß, war es eben nie leicht. Aber das wollte Leber seiner Frau, einer erfahrenen Krimileserin, nicht glauben.
Leber zog die Lesebrille aus der Jackentasche und setzte sie auf seine Nase. Mit 45 hatte es angefangen, schlagartig hatte sein Augenlicht nachgelassen und zum ersten Mal im Leben hatte er sein Altern gefühlt. Inzwischen hatte er den Schreck überwunden und hypochondrierte sich derzeit wegen des neuen Dienstwagens in ein unheilbares Rückenleiden hinein.
„Es geht um ihren Vorgesetzten, Herrn Altmann. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass er in der vergangenen Nacht tot aufgefunden wurde.“
„Das ist ja schrecklich“, sagte Frau Sutter etwas tonlos, während sie Herrn Walter scharf anblickte, der gerade etwas sagen wollte. „Wissen Sie schon etwas über die näheren Umstände?“
„Ja“, antwortete der Kommissar. „Er wurde in seinem Fahrzeug in Kreuzberg gefunden. Wir gehen augenblicklich von einem Gewaltverbrechen aus.“
„Wer könnte den so etwas getan haben?“ fragte Frau Sutter, während Herr Walter sich auf seinem Stuhl aufgerichtet hatte. „Das möchte ich gerne von Ihnen wissen. Können Sie uns etwas über die Geschäfte Ihres Unternehmens sagen? Haben Sie Feinde? Gab es Drohanrufe oder ähnliches?“
„Wieso sollte die Maximum AG Feinde haben? Wir sind Immobilienentwickler, Herr Leber. Wir bauen für die Menschen in dieser Stadt den so dringend benötigten Wohnraum. Wer sollte etwas dagegen haben?“ Frau Sutter wirkte nun ehrlich betroffen.
„Es gibt in Berlin eine linke Szene, die mit der Immobilienbranche nicht viel anfangen kann. Zum Beispiel die Hausbesetzer. Haben Sie zufällig ein besetztes Haus räumen lassen oder gekauft? Häufig reagieren diese Menschen militant auf eine Räumungsklage.“
„Nicht, das ich wüsste. Sie, Herr Walter?“
Herr Walter schüttelte nur den Kopf.
„Es gab also keinen Kontakt zwischen der Maximum AG und der linken Szene. Sie haben keine Immobilie im Bestand, die umstritten wäre, es gab keine Drohbriefe oder sonstige ungewöhnliche Ereignisse?“ Der Kommissar fasste Frau Sutter scharf ins Auge.
Sie hielt dem Blick stand und antwortete: „Nein. Unsere Immobilien sind auch nicht in den Vierteln, in denen früher Häuser besetzt waren. Uns ist durchaus bewusst, dass es in Kreuzberg, Friedrichshain oder im Prenzlauer Berg einmal eine solche Szene gegeben haben muss, aber wir haben uns auf die hochwertigen Lagen an den Stadträndern spezialisiert.“
Leber schwieg eine Weile und betrachtete nachdenklich seinen Assistenten, der auf seinem iPad eifrig mitschrieb. Laschka hatte das Gerät auf eigene Kosten angeschafft, um das lästige Abtippen handschriftlicher Notizen zu vermeiden. Offiziell würde die Berliner Polizei vermutlich in zehn Jahren mit dieser modernen Technik ausgestattet werden.
Der Kommissar atmete noch einmal tief durch, dann sagte er: „Was haben Sie gestern mit einer Million Euro gemacht?“
Frau Sutter sog hörbar die Luft ein, Herrn Walter sank der Unterkiefer auf den mausgrauen Schlips. „Wie bitte?“
„Es ist zwecklos, die Tatsache abzustreiten. Ich habe die Information überprüft.“
Das LKA 1 hatte am Morgen einen Anruf von einer Bank bekommen. Ein Angestellter, der von der Tat im Internet gelesen hatte, konnte dem Kommissar einen wertvollen Hinweis geben. Diesen Trumpf spielte er jetzt aus, ohne zu lächeln.
Das Schweigen stand wie eine Mauer zwischen Leber und der Managerin. Der Kommissar kannte die Situation und wartete einfach ab. Irgendwann musste jemand sprechen, niemand hielt das Schweigen lange durch.
„Das geht Sie nichts an“, sagte Frau Sutter schließlich.
„Also noch mal, Frau Sutter. Was haben Sie mit der Million gemacht, die Sie gestern bei der Privatbank Falkenstein in bar abgehoben haben?“
„Nochmal, Herr Leber. Das ist unser Geschäftsgeheimnis.“
„Wir ermitteln in einem Mordfall. Betriebliche Interna hin oder her.“
„Eine ganz normale geschäftliche Transaktion …“
„Herr Altmann war gefesselt, als er verbrannt ist.“ Er sah sie herausfordernd an.
Wieder hielt sie schweigend seinem Blick stand.
„Sie sind erpresst worden. Geben Sie es doch zu, es führt doch zu nichts, wenn Sie es weiter leugnen.“
„Dazu möchte ich mich nicht äußern.“
„Sie streiten es aber auch nicht ab.“
„Verstehen Sie bitte, dass ich ohne Rücksprache mit der Geschäftsleitung in Meran keine Befugnis habe, weitere Auskünfte zu geben.“
„Und Sie verstehen hoffentlich, dass ich hier in einem Mordfall ermittle. Wenn Sie mir wichtige Informationen vorenthalten sollten …“
„Keine Sorge, wir werden Sie über alles informieren. Schließlich haben wir ebenfalls ein großes Interesse an der Aufklärung dieser schrecklichen Tat.“

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