Sonntag, 27. Dezember 2015

Berliner Asche, Kapitel 3, Szene 2

Zur gleichen Zeit saßen Fröbel, Führer der Freien Kameradschaft Lichtenberg, und seine unterbelichtete Gefolgschaft, in einem auberginefarbenen Opel Corsa und stritten über den rechten Weg.
„Menschenskind, Zoschke, du wirst doch wohl wissen, wie es nach Weißensee geht. Wir sind doch keine Wessis.“ Fröbel war nervös und pumpte die rechte Faust auf und zu.
„Ich hab nun mal kein Navi. Und Stadtplan brauch ich doch auch nie.“
„Ja und jetzt? Soll ich wie ne Schwuchtel jemand nach dem Weg fragen oder was?“ Fröbel ließ die Faust gegen die Beifahrertür donnern.
„Jetzt reg dich mal nicht auf, Chef“, beschwichtigte Krautzberger von der Rückbank aus. „Wir werden den Scheißladen schon finden, keine Sorge.“
An einer roten Ampel kurbelte Sandro Zoschke die Scheibe runter und fragte eine Frau auf dem Bürgersteig, wie es zum Solonplatz ginge.
„Sorry, I don’t understand“, sagte sie lachend und ging weiter.
Scheiß-Touristen, dachte Zoschke, während seine Kameraden lachten und feixten.
Nachdem sie eine Weile auf der Greifswalder Straße unterwegs waren, änderte sich der Straßenname in Berliner Allee. Irgendwo rechts von ihnen lag der Jüdische Friedhof Weißensee, zweiundvierzig Hektar unangenehmer Erinnerung in Berlin. Keiner von ihnen würde je den größten jüdischen Friedhof Europas erwähnen, mit dem sozialistischen Heldenfriedhof in Lichtenberg ging es den Herren Rechtsradikalen ähnlich.
„Na, bitte! Berliner Allee. Dann muss es irgendwo da vorne nach links gehen.“ Fröbel grinste siegessicher.
Und tatsächlich standen sie wenige Minuten und Wutanfälle später am Solonplatz.
„Zoschke, du bleibst im Wagen, bis wir wieder da sind.“
„Soll ich den Motor laufen lassen?“
„Quatsch, das ist doch viel zu auffällig. Du wartest einfach hier, verstanden, Zoschke?“
„Alles klar, Chef.“
Fröbel und Krautzberger stiegen aus dem Wagen, blickten sich auffällig um und klingelten an der Tür des Etablissements „Chez Boris“.
Nach einer Weile wurde ein Sehschlitz geöffnet, danach die eisenbeschlagene Tür.
Im Inneren mussten sich die beiden erst einmal an die Dunkelheit gewöhnen, während draußen langsam die Sonne unterging.
An der Bar saßen drei leicht bis sehr leicht bekleidete Damen und blickten sie erwartungsvoll an. Sie waren schlank und vollbusig, mit himmelblauen Augen und hellblonden Haaren.
Arischer geht es nicht mehr, dachte Fröbel.
„Na, Jungs. Wollt Ihr Euch nicht zu uns setzen? Wir beißen nicht.“
Die Frau hatte das R so hart gerollt, dass es Krautzberger gleich aufgefallen war. Niemand sieht deutscher aus als eine ukrainische Nutte.
„Na, gerne“, antwortete Fröbel selbstbewusst. Und zu dem Typen hinter der Bar, der ihnen auch die Tür geöffnet hatte, sagte er: „Mach mal eine Runde Schampus für alle.“
Die Frauen und der Barkeeper lächelten zufrieden.
Als Fröbel mit Krautzberger anstieß und den Mädels zuprostete, hatte er am liebsten laut gelacht. Er hatte die Lage im Griff, die geborene Cheftype eben.
„Was kostet es denn mit allem drum und dran?“ fragte er weltmännisch.
„Eine Stunde mit allem macht zwohundert.“
Fröbel staunte. „Pro Mädel?“
„Ja“, sagte die eine und lächelte.
Fröbel sah Krautzberger an. „Gut, wir nehmen euch alle drei mit auf’s Zimmer.“
Dann grinste er breit und nahm noch einen tiefen Schluck aus dem Champagnerkelch.
„Das macht mit den Getränken dann siebenhundert“, sagte der Barkeeper.
Fröbel kramte in seinen Hosentaschen, dann in seinen Jackentaschen. Seelenruhig legte er eine Gaspistole auf den Tisch, dann ein Kampfmesser.
„Sag mal, Keule. Hast du Kleingeld einstecken?“
Krautzberger lächelte und begann ebenfalls, in seinen Taschen nach Geld zu suchen. Er legte einen Totschläger und ein altes Bajonett vom Flohmarkt auf den Tisch. „Nee, du. Ich habe auch nichts dabei.“
Dann sahen beide den Barkeeper und die Prostituierten an. Ihr Lächeln war verschwunden.
„Das geht natürlich auf’s Haus. Ihr seid eingeladen.“
„Sehr schön. Dann gehen wir mal eben nach oben und reden dann über Geschäfte“, sagte Fröbel und stand auf.
„Ihr habt einen Koffer, der uns gehört“, ergänzte Krautzberger.
Dabei war er aufgesprungen und hatte vor lauter Aufregung den kleinen Tisch mit den leeren Gläsern umgerissen.
Fröbel hatte nie erfahren, wo die Frauen, die ja schließlich fast nackt gewesen waren, so schnell das Pfefferspray hergeholt hatten. Es brannte in seinen Augen, dazu die Tritte und Faustschläge. In wenigen Augenblicken standen sie wieder auf der Straße.
Zoschke sah die beiden auf den Bürgersteig taumeln und stieg aus dem Wagen.
„Menschenskind, was haben die denn mit euch gemacht?“
„Halt die Schnauze. Ich sehe gar nichts mehr. Wo ist denn das Auto?“ Fröbel liefen die Tränen aus den rot geschwollenen Augen.
Zoschke half seinen Kameraden in den Wagen und fuhr mit quietschenden Reifen los. Zehn Meter weiter bremste er abrupt, weil er an eine Vorfahrtsstraße kam.
„Zurück ins Hauptquartier, Chef?“
„Aber zackig. Marsch, Marsch!“
Und so fuhren sie ohne eine Viertelmillion Euro zurück ins braune Haus in den Weitlingkiez.

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