Donnerstag, 14. Januar 2016

My two cents

“American jazz, Hollywood movies, American slang, American machines and patented products, are in fact the only things that every community in the world, from Zanzibar to Hamburg, recognizes in common.” (Henry Luce: The American Century, 1941)
Mir ist es an Weihnachten aufgefallen. Ihnen natürlich nicht, deswegen erzähle ich es ja. Nach dem gemeinsamen Essen rund um das Raclette-Gerät ---
Seit wann genau stehen eigentlich Küchengeräte beim Essen auf dem Tisch? Und wieso wird aus einem Festessen mit der Familie eine profane, um nicht zu sagen hundsgemeine Do-it-yourself-Angelegenheit, wo alle ständig in irgendwelchen Schüsseln rumgrabbeln, Pfännchen beobachten, sich kreuz und quer Teller voller Käse und Schinken reichen, als wäre ich bei den Scheiß-Waltons gelandet, und noch nicht einmal ein banale Plauderei zustande kommt, weil man ja permanent abgelenkt wird? Bin ich bei OBI oder IKEA? Und da sind wir ja schon genau beim Thema, aber ich wollte anders anfangen ---
Nach dem Essen an Heiligabend führt uns die Tochter des Hauses ihr schwarzes Ballkleid vor. Sie macht dieser Tage ihr Abitur und danach soll es im März eine rauschende Ballnacht geben. Das ist – wie ich als kinder- und ahnungsloser Waldschrat erfahre – inzwischen so Sitte in Deutschland. Wir kopieren den High School-Abschlussball der Amerikaner, „Prom“ genannt. Grandpa Simpson erzählt der jungen Dame, wie das Abitur 1985 lief: Vormittags eine kurze Veranstaltung in der Schule (die auch deswegen so kurz war, weil Grandpa Simspon die versprochene Abi-Rede seines Jahrgangs nicht gehalten hat), man bekommt das Abschlusszeugnis in die Hand gedrückt, geht mit seinen Kumpels zur nächsten Tankstelle, requiriert ein paar Sixpacks, besäuft sich auf einer Parkbank, macht abends mit den anderen Abiturienten eine Grillparty auf einer Wiese, besäuft sich weiter, kotzt in den Kartoffelsalat und ist anschließend erwachsen.
Es sind ja nicht nur die amerikanischen Worte, mit denen unsere Sprache inzwischen durchsetzt ist, sondern auch die Sitten und Gebräuche, die unser Verhalten prägen. Besagte junge Dame sagt zum Beispiel ständig „O my god“ in diesem theatralischen Tonfall, den ich gar nicht nachmachen kann. Wir haben das schöne Wort „Scheiße“ für solche Fälle – nicht mehr gut genug, oder was? Oder der inflationäre Gebrauch von Begriffen wie Freundschaft und Liebe, obwohl wir Deutschen doch bekanntlich etwas kühler und zurückhaltender mit unseren Gunstbezeugungen sind, die aber – wenn sich denn kommen – auch ehrlich gemeint sind. Wir haben bei Facebook oder generell im Internet keine Freunde, wir haben Bekannte. Und wie brüchig diese Bekanntschaft ist, zeigt sich sehr schnell, wenn man nur ein einziges Mal unterschiedlicher Meinung ist. Man kennt oft weder Namen noch Adressen seiner virtuellen Freunde, man hat ihnen noch nie die Hand gegeben. Und Liebe ist offensichtlich etwas, was der amerikanisierte Mensch schon einem lauwarmen und klebrigen Stück Nahrungsmittelsurrogat entgegenbringt. „Ich liebe es“ – so lautet der Werbespruch der Fressbudenmafia aus Amerika. „Ich liiiebe Schokopudding“ plärrt es aus der jungen Dame.
Selbst diejenigen, die gerne die amerikanische Politik kritisieren, untergraben fleißig die eigene Kultur. Man kann ja durchaus alles beschissen finden, was aus Deutschland kommt. Geht mir auch oft so. Aber warum nehmen wir uns nicht wenigstens ein paar neue Vorbilder? Von den Spaniern die Siesta, von den Franzosen das ausgiebige Kochen mit frischen Zutaten, von den Griechen das Feiern mit Freunden und Familie? Was hat uns Indonesien zu bieten? Was können wir von den Peruanern lernen? Warum feiern wir statt Halloween nicht am 24. Juni Inti Raymi, das alte Sonnenwendfest der Inkas, bei dem wir aus den Eingeweiden eines weißen und eines schwarzen Lamas die Zukunft lesen? Ich bin dabei.
Stevie Nicks - Stand Back. https://www.youtube.com/watch?v=7VU-42MGKb0

11 Kommentare:

  1. Wer bringt die Lamas mit?

    Bleib ist waswegmuss

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  2. Diese Sprachverhunzung schafft es überall hin. Mich nervt das, auch dieses zum Teil penetrante Übernehmen von Phrasen, die (zumindest für mich) schon in der Schriftkommunikation arg lächerlich wirken. Sowas wie das "O my God" wie oben erwähnt oder bei einer mir bekannten Künstlerin (WEIT über 18, Anfang 40) andauernd "WTF" und "OMG". Im ganz normalen Sprachgebrauch. "Never Ever" ist auch so ein Ding, vor allem bei Frauen. Was mich derzeit auf die Palme bringt, im Krankenhaus wo meine Mutter ist ist NIE von "Einwilligung", "Zustimmung" oder "Einverständnis" die Rede, aber immer von "Clearance". Hallo?!

    Das mit "Freundschaft" und "Liebe" ist auch ein gutes Beispiel. Ganz toll auch "Ich hasse..." Ich bin mir sicher, dass besonders diejenigen, die das inflationär benutzen das Gefühl in seiner Reinform, also der Art, dass man es wirklich als Hass und nicht Verachtung oder Abscheu etc. bezeichnen kann, gar nicht kennen. Zumal es sich bei den Sprechern fast immer auf Dinge bezieht. Ich persönlich bin mir nie ganz im Klaren ob ich Dinge, die ich überhaupt nicht mag wirklich verachten könnte. Wenn das nicht geht kann ich sie auch nicht hassen. Aber ich bin ja eh seltsam.

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    1. "Clearance"? War das nicht der schielende Löwe aus Daktari?

      Es sind auch Kleinigkeiten wie "in 2016" statt "im Jahr 2016". Und für wellness, trendy oder cool will mir auf Anhieb gar kein deutscher Begriff mehr einfallen.

      Mit meiner BahnCard kaufe ich mir am Service-Point ein Ticket für den InterCity. Warum stellen wir nicht gleich komplett auf Englisch um, anstatt diesen Kauderwelsch zu reden?
      Aber wenn's Scheiße läuft, war's kein Delay, sondern eine Verspätung oder die Schaffner streiken ;o)))

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    2. Wohlbefinden, zeit[geist]ig und locker.
      Rabattkarte, Schalter, Billet, Fernzug.

      Bei zwei Worten weigere ich mich: Yummy und Nomnom.

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    3. Für Billet müssen wir leiden einen Punkt abziehen. Fahrkarte.

      Denn vor den Anglizismen hatten wir eine Welle von Gallizismen: Bureau (später zu Büro geworden, bei Kafka noch in der alten Form zu finden), Charme, Atelier, Bagatelle, Chef, Cousin, Engagement, Feuilleton usw. Und vorher kamen die Lehnwörter aus dem Lateinischen (es gab mal eine Bewegung, die wollte "fremde" Begriffe wie z.B. Nase eindeutschen und in diesem Falle zum Gesichtserker machen)

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  3. "Daktari" bzw. dessen Wiederholungen und Videomitschnitte waren eins der Dinge, die mein Vater neben Culture Club toll fand. "Daktari" sogar offiziell, daher weiß ich, dass das Viech Clarence hieß (was auch die korrekte Schreibweise des Namens wäre).

    Ich kaufe keine Tickets. Wenn ich so was kaufe, dann kaufe ich Fahrkarten. Und nicht im/am Servicepoint sondern im Mischmaschwort "Kundencenter".

    Ganz toll fand ich ich ja früher auch "Sunlicht" (Spülmittel?), "Suhnlicht" gesprochen oder "Sunkist", was natürlich auch deutsch gesprochen wurde...


    Gesichtserker??? Nicht im Ernst, oder? Ich plädiere für "Knolle" und die sitzt dann natürlich mitten in der "Rübe". Aug"äpfel" gibt es ja schon und "Blumenkohlohren" sind auch bekannt.

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  4. merhaba
    merhaba
    sen esek
    ben araba

    araba hat nix mit arabisch oder so zu tun :-)

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  5. Superb, lieber Bonetti. Sehr sophisticated. Aber wahrscheinlich sind wir halt nur alt und die jungen Leute machen, was sie wollen, ohne uns vorher zu fragen. Obwohl das Reihern in den Kartoffelsalat in den Achtzigern Pflege alter Tradition war.

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  6. Danke, Paul. Zur Ehrenrettung der Gallizismen muss ich sagen, dass auf Französisch alles einfach besser klingt. Büro ist eben nicht so schlimm wie Arbeitszimmer und aus der ordinären deutschen Hausmannskost namens Kohlrouladen wird das elegante Gericht Chou farci.

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  7. Neulich standen wir (Sonntag)vor einen Elektro- Fachgeschäft in der Provinz. Dort gab es im Schaufenster einen Gegenstand, dessen Funktion wir nicht erraten konnten, bezeichnet war er mit einem englischen Wort! Es war kein Föhn, kein Rasierer...
    Und dann noch überall technische Bezeichnungen in englisch, als wir ein Radio kaufen wollten. Wollen die Firmen nicht hier verkaufen, braucht man ein Technikwörterbuch? Wenn ich PC- Hilfe brauche, schreie ich manchmal laut, aber deutsch!

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