Dienstag, 30. Januar 2018

Rede eines Laboraffen

Wer hat noch die Kraft, die herrschenden Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen? Der Aberglaube, Technik und Wissenschaft würden alle durch Technik und Wissenschaft verursachten Gefahren und Probleme aus der Welt schaffen, sitzt zu tief in unseren Köpfen. Wir haben die Hofberichterstatter der Medien und die Hofgutachter, die uns beruhigen. Wir schaffen das. Mit Symbolpolitik, zum Beispiel mit gigantischen Klimakonferenzen, auf denen wir feierlich schwören, unsere guten Vorsätze zu verwirklichen. In der Praxis haben wir es geschafft, die vollständige Selbstvernichtung aus dem engen Bereich der Kriegsführung in unseren Alltag zu überführen. Jede Autofahrt, jeder Einkauf, jede Arbeit trägt zum Untergang bei. „Pflanzenschutzmittel“ sind eine Kriegserklärung an die Natur, der Bauer ist der natürliche Feind des Tiers. Während wir über das Wetter sprechen, verändern wir es. Der ganze Planet ist ein Laboratorium, wir sind die Affen, an denen ein Experiment auf Lebenszeit durchgeführt wird. Sorry, dieser Text hat keine Pointe.

Montag, 29. Januar 2018

Aus dem Leben eines Wärters

Ich mache kein Geheimnis daraus: Mein Alltag ist an Eintönigkeit nicht zu überbieten. Seit über zwanzig Jahren bin ich nun Zoowärter in Wichtelbach. Anfangs waren wir zu dritt. Aber die Tiere starben nach und nach und mehr als ein Wärter wird im Augenblick einfach nicht benötigt.
Als erstes starb der Löwe. Dann starb das Kamel. Irgendwann waren die Seemöwen verschwunden. Der Elefant schloss sich einem Wanderzirkus an. Jetzt bin ich hier allein mit zwei mongolischen Springmäusen und einer Schildkröte.
Selten kommt einmal eine Schulklasse vorbei. Die Kinder sind sehr enttäuscht, weil man die Springmäuse in dem riesigen Gehege nur selten zu Gesicht bekommt. Manche behaupten sogar, es gäbe gar keine Mäuse mehr. Dann sage ich zu diesen Besuchern: „Seien Sie einmal ganz leise, dann können sie die Mäuse pfeifen hören.“ Aber sie hören es nicht. Ich kann sie sehr gut hören.
Es gibt jetzt eine Debatte im Gemeinderat, ob der Zoo nicht geschlossen werden soll. Überall wird ja heutzutage gespart. Dabei brauchen die Tiere und ich nicht viel. Ich habe mich im alten Elefantenhaus wohnlich eingerichtet. Die Schildkröte frisst die Kräuter und das Gras auf ihrer Wiese und die Mäuse finden in ihrem Gehege auch immer was.
Ich bin ein alter Mann. Wohin soll ich gehen, wenn der Zoo geschlossen wird? Was geschieht mit den Springmäusen und der Schildkröte?
Bob Marley - Could you be loved. https://www.youtube.com/watch?v=Mm7muPjevik

Sonntag, 28. Januar 2018

Zur aktuellen Lyrik-Debatte – der Vorschlag eines Profis

„Zensur, Barbarei, Faschismus, Sexismus, Gender, Ficken: Heiß wie zehn nackte "Titten" geht es her in der DEBATTE um das Skandalgedicht "Avenidas" von Gedichte-Fuchs Eugen Gomringer.“ (Titanic)
Bekanntlich steht auf einer Berliner Fassade ein spanisches Gedicht, das vor allem nichtspanischen Frauen große Angst macht. In der Begründung zur Entfernung des Poems heißt es wörtlich, Frauen sehen sich zu bewunderungswürdigen Objekten degradiert. Heilige Einfalt! Kein Mann bewundert Frauen, er will sie nur flachlegen. Sprechen Sie langsam, mir fehlen die Eierstöcke.
Ich bin tolerant. Also soll man das Gedicht, das übrigens auf Veranlassung der damaligen Hochschulrektorin Theda Borde an die Hauswand gepinselt wurde, ruhig übermalen und ersetzen. Der AStA der betroffenen Hochschule hat auch schon die Kriterien für die Auswahl festgelegt: „Das eingereichte Werk darf in keiner Hinsicht diskriminierend sein. Sexistische, rassistische, ableistische, lookistische, klassisistische, ageistische oder sonstige diskriminierende Bezüge werden nicht akzeptiert.“
Zwei konkrete Vorschläge:

Kurt Schwitters: Zwölf
Eins Zwei Drei Vier Fünf
Fünf Vier Drei Zwei Eins
Zwei Drei Vier Fünf Sechs
Sechs Fünf Vier Drei Zwei
Sieben Sieben Sieben Sieben Sieben
Acht Eins
Neun Eins
Zehn Eins
Elf Eins
Zehn Neun Acht Sieben Sechs
Fünf Vier Drei Zwei Eins


Hugo Ball: Gadji beri bimbal
gadji beri bimba glandridi laula lonni cadori
gadjama gramma berida bimbala glandri galassassa laulitalomini
gadji beri bin blassa glassala laula lonni cadorsu sassala bim
gadjama tuffm i zimzalla binban gligla wowolimai bin beri ban
o katalominai rhinozerossola hopsamen laulitalomini hoooo
gadjama rhinozerossola hopsamen
bluku terullala blaulala loooo

zimzim urullala zimzim urullala zimzim zanzibar zimzalla zam
elifantolim brussala bulomen brussala bulomen tromtata
velo da bang band affalo purzamai affalo purzamai lengado tor
gadjama bimbalo glandridi glassala zingtata pimpalo ögrögöööö
viola laxato viola zimbrabim viola uli paluji malooo

tuffm im zimbrabim negramai bumbalo negramai bumbalo tuffm i zim
gadjama bimbala oo beri gadjama gaga di gadjama affalo pinx
gaga di bumbalo bumbalo gadjamen
gaga di bling blong
gaga blung

Freitag, 26. Januar 2018

Eine Landkarte der Niederlagen

„Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.“ (Thomas Brasch)
Wenn ich eine Landkarte meiner Niederlagen machen müsste, fallen mir eine Menge Orte ein. Natürlich ist jedes Haus, in dem man gewohnt hat, jeder Arbeitsplatz, jede Schule ein Ort, an dem Niederlagen erlitten und durchstanden wurden.
Meine früheste Erinnerung ist der Kindergarten in Frei-Weinheim, einem Ortsteil von Ingelheim, meiner „Heimatstadt“, mit der mich heute kaum noch etwas verbindet, obwohl ich ganz in der Nähe wohne. Ingelheim ist nur noch ein Erinnerungsort, kein Teil meines Lebens. Anfangs musste man mich mit Gewalt in den Kindergarten zerren. Ich schrie und heulte, ich wollte nicht dort bleiben, sondern in Ruhe in meinem Kinderzimmer allein sein.
Praktisch hat sich bis heute nichts an meiner Einstellung geändert. Obwohl ich ein riesiges Haus mit 480 Quadratmetern Bruttogeschossfläche alleine bewohne, verbringe ich die meiste Zeit in meinem alten Kinderzimmer und dort wiederum die meiste Zeit im Bett. Wie in meiner Kindheit, wo ich in den Ferien auch ungern das Bett verlassen habe und den Tag im Schlafanzug verbrachte. Ich hätte auch eine Pflanze werden können.
Zurück zum Kindergarten. Auf dem Weg dorthin fuhren wir die Rheinstraße in Richtung Fluss und bogen dann in die Gebrüder-Grimm-Straße ein. Auf der Ecke stand und steht noch heute ein Haus, das aus hellgelben Bruchsteinen gebaut ist. Ein für Rheinhessen typischer Bau, Flonheimer Sandstein. Wenn wir um diese Ecke bogen, wusste ich, dass alles zu spät war. Noch heute flackert das Nervengeflecht in meiner Bauchdecke sehr heftig, wenn ich ein Gebäude sehe, das aus diesem Sandstein gebaut wurde.
Im Kindergarten flog ich regelmäßig aus der Gruppe und musste endlos allein auf dem Gang stehen und über meine „Taten“ nachdenken. Dort gab es ein großes Fenster, aus dem ich auf ein Stück Rasen blickte, das durch eine hohe Steinmauer begrenzt war. Als kleines Kind war ich sicher, dass diese Mauer das Ende der Welt war. Dahinter konnte nichts mehr kommen. Ich stand schweigend am Fenster, bis ich wieder in den Raum mit den anderen Kindern durfte oder meine Mutter mich abholte.
Im Ingelheimer Freibad an der Straße „Im Blumengarten“ wäre ich fast ertrunken, als mich ein anderes Kind ins Becken gestoßen hat. Ich hatte einige Monate eine Wasserphobie und bekam schon Schreikrämpfe, wenn nur ein Wasserhahn aufgedreht wurde. Als ich Jahre später schwimmen gelernt hatte, ging ich regelmäßig dorthin. Die hellblauen Kacheln des Schwimmbeckens, das verführerische und gefährliche Glitzern des Wassers im Sonnenlicht.
Dann die kleinen Niederlagen in der Umgebung unserer Wohnung, Untere Muhl 1. Das Rosengebüsch in der Waldstraße, in das ich als Fahrradanfänger volle Kanne hineingebrettert bin. Mühsam und völlig zerkratzt, aus tausend winzigen Wunden blutend, kämpfte ich mich wieder hervor. Die Brache an der Theodor-Fliedner-Straße, auf der mich ein älterer Junge übel verdroschen hat. Ich erinnere mich an die Menschen, die teilnahmslos vorübergingen.
So geht es weiter durchs Leben. Der Platz vor dem Gymnasium, auf dem meine erste Freundin mit mir Schluss gemacht hat. Der Fußballplatz in Schweppenhausen, Ort zahlloser, teils zweistelliger Demütigungen in der untersten Spielklasse. Die Bundesallee in Berlin, wo ich mein letztes Auto 1994 zu Schrott gefahren habe, als ich die „Zitty“ ausfuhr. Ich fuhr von Süden auf den Friedrich-Wilhelm-Platz und wäre fast in der Kirche eingeschlagen. Der Lamesa County Jail in Texas, wo ich eine Nacht mit Connie verbracht habe. Der letzte Ort ist die Klinik in der Landhausstraße in Wilmersdorf.
Wenn ich diese Orte auf eine Landkarte eintragen würde, hätte ich einen Atlas der Niederlagen. Umgekehrt gibt es aber auch eine Landkarte des Glücks. Das Haus in Oppenheim, in dem ich mich bei einem Abendessen mit Freunden in eine Frau verliebt habe, die fast ein Jahrzehnt Teil meines Lebens war. Die Regensburger Straße zwischen Bundesallee und Grainauer Straße, als bei einem Sturm ein schweres Bauteil direkt hinter mir auf den Bürgersteig krachte. An diesem Tag habe ich gefeiert. Das Haus in der Elßholzstraße, ebenfalls in Berlin, in dem ich jahrelang ein kleines Kind bespaßt habe. Endlich wieder Lego, Buntstifte und Höhlen bauen! Auf diese Karte kann ich auch eine Menge Fähnchen stecken.
GARY GLITTER ROCK & ROLL PART 1 & 2. https://www.youtube.com/watch?v=8OJ01psE6wc

Dienstag, 23. Januar 2018

Hatte Wolf Biermann Sex mit Margot Honecker?

„So schreib dein Leben auf ein Stück Papier
Und warte bis die Zeit vergeht“
(Spliff: Déjà Vu)
Diese Frage verstehen vermutlich nur die älteren Leser. Wolf Biermann ist ein sogenannter Liedermacher, Margot Honecker war in der DDR Volksbildungsministerin und Ehefrau des Generalsekretärs des ZK der SED und Staatsratsvorsitzenden der DDR. Die Behauptung, die beiden hätten eine Affäre gehabt, stellt jedenfalls Florian Havemann in seinem Roman „Havemann“ auf.
Havemann wurde 1968 im Alter von 16 Jahren in der DDR verhaftet, weil er gegen die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ demonstriert hatte. Seine Schwester Sibylle hat zwei Kinder mit Wolf Biermann. Biermann höhnte gegenüber Havemann nach dessen Flucht in den Westen: „Wer abhaut aus dem Osten/ der ist auf unsere Kosten/ von sich selber abgehaun“. 1976 wurde Biermann ausgebürgert, die DDR hatte ihn nach einer Reise in die Bundesrepublik nicht mehr zurückgenommen.
Der Vater von Florian Havemann war der Widerstandskämpfer und Regimekritiker Robert Havemann. 1939 gründete er die antifaschistische Widerstandsgruppe „Europäische Union“ (EU). „Fünf Mitglieder der Gruppe – die Eheleute Groscurth, Robert Havemann, Paul Rentsch und Herbert Richter – erhielten 2006 den Ehrentitel Gerechter unter den Völkern der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Union_(Widerstandsgruppe)
1950 vertrat Robert Havemann den „Stockholmer Appell“ zur Ächtung von Atomwaffen. Als er auf dem Hermannplatz in Berlin-Neukölln Unterschriften sammelte, wurde er verhaftet – wie viele Friedensaktivisten in der jungen Bundesrepublik (Dirk Draheim et al. (Hg.): Robert Havemann – Dokumente eines Lebens, S 94).
Das ist der Text des Friedensappells:
Wir fordern das absolute Verbot der Atomwaffe als einer Waffe des Schreckens und der Massenvernichtung der Bevölkerung. Wir fordern die Errichtung einer strengen internationalen Kontrolle, um die Durchführung des Verbotes zu sichern. Wir sind der Ansicht, daß die Regierung, die als erste die Atomwaffe gegen irgendein Land benutzt, ein Verbrechen gegen die Menschheit begeht und als Kriegsverbrecher zu behandeln ist. Wir rufen alle Menschen der Welt, die guten Willens sind, auf, diesen Appell zu unterzeichnen.
So kommt man im Internet vom Hölzchen aufs Stöckchen. Ich lese vom Stockholmer Friedensappell und lande bei der Frage, ob der unsägliche Biermann mit der fiesen Margot im Bett war.
Henri Salvador - Le Loup, La Biche et Le Chavalier. https://www.youtube.com/watch?v=3QaeWnTdRaE

Montag, 22. Januar 2018

Wem nutzt ein Waldbrand?

„Veganer müssen übrigens alle 10min ‚vegan‘ sagen, da ihnen andernfalls ein Kotelett aus dem Nacken wächst.“ (Horst Hutzel)
Wir reden immer nur über die Schäden eines Waldbrands. Menschen verlieren ihre Häuser, Tiere ihren Lebensraum, Waldbesitzer ihren Kapitalstock, Bäume und andere Lahmärsche der Natur ihr Leben.
Was ist mit den Gewinnern?
Da wären die Bauunternehmer, die neue Häuser bauen können.
Versicherungen, denn nach der Auszahlung der Brandversicherung steigen die Beiträge und viele ängstliche Neukunden sorgen für zusätzlichen Umsatz.
Die Feuerwehr kann sich profilieren und neue Ausrüstung und Verstärkung verlangen.
Umweltschutzorganisationen haben ein Argument mehr, um für Spenden zu werben.
Langfristig nutzt das Feuer dem Wald, den er kann sich erneuern. Asche ist Dünger. Die Ponderosa-Kiefer (nein, das habe ich mir nicht ausgedacht, Euer Hoss) hat Samen, die erst keimen, wenn ein Feuer den dicken Harzpanzer um die Samen weggeschmolzen hat. Rauch öffnet die Samenkapseln des australischen Grasbaums, ohne frisch verbranntes Holz können sich die Larven des Feuerkäfers nicht entwickeln. Vom Festmahl für die Geier will ich hier gar nicht erst anfangen.
Feuer ist gut. Einfach mal eine Kippe aus dem fahrenden Auto werfen und nicht gleich alles so negativ sehen.
Volkswirtschaftlich betrachtet sind alle Katastrophen gut, denn sie steigern das Bruttosozialprodukt. Bis auf Armageddon. Das wäre nicht so toll, Jehova!

Die Kunst des Versagens

„Jeder Ankunft wohnt ein Abschied inne.“ (Seminarunterlagen: Creative Writing. Volkshochschule Trier)
Wenn du in deinem eigenen Erbrochenen liegst, bist du eigentlich nicht in der Position zu verhandeln. Aber der alte Wanninger hörte mir dennoch zu.
„Ich habe einen Auftrag und ich werde ihn durchführen. Gewöhnen Sie sich an meinen Anblick.“
Obwohl ich als privater Ermittler im Allgemeinen sehr sorgfältig vorgehe, war mir entgangen, dass der alte Wanninger über drei kräftige Söhne verfügte. Der Schlag des Ältesten in meine Magengrube hatte mich nachhaltig beeindruckt. Aber der Reihe nach.
***
„Lieber Bonetti, habe ich mich im vergangenen Jahr fortgepflanzt oder nicht? Ihr Name war Ines. Sie finden mich in St. Pölten.“
Mehr stand nicht auf dem Briefbogen. Handgeschöpftes Büttenpapier. Zwei Fünfhundert-Euro-Scheine waren die Beilage. Ich hatte den Absender schon am Wappen auf dem ansonsten unbeschriebenen Umschlag erkannt: Gottlieb Edler von Striez. Alter österreichischer Landadel.
***
Das Grandhotel Zum schwarzen Rössl befindet sich etwas außerhalb von St. Pölten zwischen Wiesen und Feldern, unmittelbar am Waldrand.
Ich hatte mich relativ geschickt an das Hotel angeschlichen und suchte gerade das kleine, aber überaus starke Opernglas in meinen zahlreichen Manteltaschen, als ich in Kontakt mit dem jüngsten der Wanninger-Söhne kam.
Er hielt mich wohl für einen Landstreicher und wollte mich am Kragen packen, da lockerte ich mit einem gezielten Fausthieb einige seiner Schneidezähne und rannte davon.
***
Wenig später saß ich auf der Terrasse des Grandhotels, in dem Herr von Striez abzusteigen pflegte, wenn er etwas Erholung von seinem anstrengenden Familienleben suchte. Entgegen meiner verhängnisvollen Neigung zu Spirituosen bestellte ich beim Ober eine kleine Cola und beobachtete die anderen Gäste, die bei herrlichem Sonnenschein den Blick auf die Stadt genossen.
Da passierte es auch schon. Mein Auftraggeber, den ich auf dem Balkon seiner Suite zusammen mit einem jungen Flitscherl entdeckt hatte, wurde, nur mit einem Bademantel bekleidet, von einer Kugel getroffen. Sein Gesicht fiel mit einem lauten Klatschen in das Blunzngröstl, das vor ihm stand.
***
Wie wird es weitergehen? Sind Sie neugierig geworden? Lesen Sie den neuen Erfolgsroman „Die Kunst des Versagens“. Jetzt im Bahnhofsbuchhandel. Nur für kurze Zeit.
Von den Machern der Weltsensation „Abschied von Delmenhorst“.
Spliff - Heut Nacht. https://www.youtube.com/watch?v=bfw-Ye0t938

Donnerstag, 18. Januar 2018

Fußball

Wir sind acht Kinder auf einem Bolzplatz. In meiner Mannschaft ist Oliver, der nach dem Studium nach Köln gezogen ist, um dort bei einer TV-Produktionsfirma zu arbeiten. Torsten, der heroinabhängig wurde und mit 27 gestorben ist. Stefan, der vor einigen Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. In der anderen Mannschaft spielt Peter, der Koch wurde. Michael, der nach einem Banküberfall ins Gefängnis gekommen ist. Uwe, der an Krebs gestorben ist. Und Melanie, das einzige Mädchen, das damals Fußball gespielt hat. Sie hat einen Amerikaner geheiratet und lebt heute in Florida. Aber an diesem Nachmittag sind wir einfach nur acht Kinder, die Fußball spielen.

Dienstag, 16. Januar 2018

Quo vadis, Digitalisierung?

Bonetti Media berichtet exklusiv:
Tobias ist zwei Jahre alt. Eigentlich ein ganz normales Kind. Aber Tobias ist anders. Der kleine Junge hält Alexa für seine Mutter. Er spricht täglich mit dem Gerät und freut sich, wenn es seine Wünsche erfüllt. Das machen die Eltern von Tobias nicht immer. Wenn man Alexa aus seinem Zimmer nehmen will, fängt Tobias an zu schreien. Alexa steht neben seinem Bett, wenn Tobias abends einschlafen soll. Wird das Kind je verstehen, dass Alexa nur ein Gerät ist? Wie wird er diese traumatische Enttäuschung verarbeiten?

Montag, 15. Januar 2018

Volk ohne Wohnraum

„Als Gott den Menschen erschuf, war er bereits sehr müde, das erklärt manches.“ (Mark Twain)
Robert Klumpf, der Mann mit dem gewissen Nichts, ist Immobilienmakler von Beruf. Er gehört zu den wirklich mächtigen Männern dieser Stadt. Niemand wird so gehasst und so geliebt wie ein Makler. Er wird verehrt wie ein Rockstar oder ein Schönheitschirurg, er wird verachtet wie ein Triebtäter oder ein Politiker.
Es ist ein handelsüblicher Montagmorgen. Ein Hausangestellter bringt die Geschenke der Wohnungssuchenden ins Speisezimmer, während Herr Klumpf noch rohe Austern schlürft. Uhren, Smartphones, selbst Krügerrand-Goldmünzen werden ihm auf den Tisch gelegt. Sein gelangweilter Blick bleibt an einer Pappröhre hängen. Er öffnet sie. Ein quadratmetergroßes Bild von Monte Carlo. Dazu der Text: „Fototapete statt Fenster. Erhöhen Sie die Miete für Kellerwohnungen.“ Scherzkeks. Aber eine Überlegung wert.
Wohnungsbesichtigung mit Kunden. Die Sekretärin hat schon alles aussortiert, was einen Turban oder ein Kopftuch tragen könnte. Schwarze, Behinderte und Arbeitslose müssen draußen bleiben. Es kommen immer noch über hundert Menschen. Die Auswahl ist gar nicht so einfach. Früher hat Herr Klumpf gerne Professoren genommen, aber so ein Professor verdient heutzutage gar nicht mehr so viel. Rechtsanwälte sind klagefreudig, Hundebesitzer bringen Dreck ins Haus. Alleinerziehenden Müttern fehlt das Geld. Am liebsten sind ihm Handwerkermeister und Ärzte. Die kann man immer brauchen, wenn Reparaturen anstehen oder im Krankheitsfall. Auch gutsituierte Rentner sind als Mieter willkommen. Sie sind ruhig und bei der Neuvermietung nach ihrem Ableben kann man wieder die Miete erhöhen.
Es ist sieben Uhr morgens. Im fahlen Licht der beginnenden Dämmerung inspiziert Klumpf die Bittsteller, die Verdammten dieser Erde, die in Reih und Glied vor ihm stehen. Demütig haben die Menschen den Kopf gebeugt, manche zittern unter seinem erbarmungslosen Blick. Alle wissen, dass dieser Augenblick Schicksale entscheidet. Wer bekommt die Wohnung? Ist überhaupt jemand unter diesen Leuten, der würdig ist, einen Mietvertrag zu bekommen? Es ist eine gnadenlose Selektion. Einer von hundert wird im günstigsten Fall das winzige Ein-Zimmer-Appartement bekommen. Den Rest muss man ohne Mitleid vom Hof jagen. Alles Betteln und Jammern wird nicht helfen. Klumpf muss hart bleiben. Bei einer vollbusigen Studentin, die mit ihrem Vater – er trägt Zylinder und Monokel – wird er für einen Augenblick schwach. Die Menschen machen sich keine Vorstellung, welche Verantwortung ein Makler in der heutigen Zeit trägt.
Der Wohnungsmangel ist ein Segen für Menschen wie Herrn Klumpf. Selbst Kellerwohnungen können inzwischen schon nach wenigen Stunden vermietet werden. Oft sind die Bestechungsgelder höher als seine Provision. Frauen machen ihm eindeutige Angebote. Manchmal grenzt ihr Verhalten an sexuelle Belästigung. Aber er ist vorsichtig. Männer in seiner Position sind erpressbar, wenn sie allzu leichtfertig ihren Trieben nachgeben.
Herr Klumpf bewohnt selbst eine Maisonettewohnung in der Innenstadt und eine Villa im Grünen. Mit Blick auf den Starnberger See, eigenem Spa-Bereich und einer Terrasse, die größer ist als manche Wohnung, die er an Kleinfamilien vermietet. Augen auf bei der Berufswahl, pflegt er mit einem Zwinkern zu sagen.
Dionne Warwick - Walk On By. https://www.youtube.com/watch?v=ijhL9Y7skQs

Freitag, 12. Januar 2018

Vergesst Houdini – Wir haben Merkelini

„Wir werden die Probleme anpacken, die die Menschen in ihrem Alltag bewegen, und uns mutige Ziele für die nächsten vier Jahre setzen.“ (Ergebnisse der Sondierungsgespräche, Präambel)
Alter Wein in alten Schläuchen. Aber mit einem Trick, den noch nicht einmal der große Magier Houdini beherrscht, verkauft uns Merkel die dritte Auflage einer erzlangweiligen Koalition als Neuanfang. In erster Linie gibt uns der Staat ein paar Groschen mehr und erwartet auch noch Dankbarkeit. Wir zahlen jede Menge Kohle und kriegen einen Bruchteil davon zurück. Das erinnert mich an das schöne Lied von den Pogues, in dem es heißt: „Lend me ten pounds and I buy You a drink.“
Der sensationelle „Durchbruch“ nach einem theatralisch inszenierten Sitzungsmarathon:
  • - Zehn Euro Kindergeld mehr
  • - Arbeitslosenversicherung: 0,3 Prozent weniger
  • - Ausbau der Gigabit-Netze bis 2025 (also weitere sieben Jahre Snailnet im Hunsrück)
  • - Ein neuer Knoten in der Hartz IV-Peitsche („Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle“)
  • - Das Rentenniveau wird nicht gesenkt
  • - Weiterhin kein Familiennachzug für Flüchtlinge (Ausnahme: Härtefälle) + CSU-Obergrenze
  • - 8000 neue Pflegekräfte (in einem Land mit 80 Millionen Menschen)
  • - Klima: die Ziele bis 2020 hat man aufgegeben, die Ziele bis 2030 will die Regierung aber auf jeden Fall erreichen
Wir sind mit so wenig zufrieden, es ist unglaublich. Deutschland könnte auch von einem rasierten Meerschweinchen regiert werden, wir würden es gar nicht merken.
https://www.youtube.com/watch?v=w2M7snEx1zs

Nazis gegen Hitler – eine deutsche Farce

„Offen gesagt: Es ist zum Kotzen. Man kann seit vielen Monaten keine deutsche Illustrierte, keine deutsche Zeitung aufschlagen, ohne dass ein grinsender Neger uns Deutschen bescheinigt, dass wir ein Recht auf die Wiedervereinigung haben - wobei dann im Text steht, dass besagter Neger gerade einen Scheck über 30, 45, 70 Millionen Mark 'Entwicklungshilfe' ausgehändigt bekam und dafür die deutsche Kultur entdeckte und sogar das Wort 'Berlin' aussprechen lernte.“ (Otto Strasser, zitiert nach SPIEGEL 7/1962)
„Was wir im deutschen Widerstand während des Krieges nicht wirklich begreifen wollten, haben wir nachträglich vollends gelernt: dass der Krieg schließlich nicht gegen Hitler, sondern gegen Deutschland geführt wurde.“ (Eugen Gerstenmeier, CDU, Bundestagspräsident 1954-1969, in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. März 1975)
Otto Strasser begann seine stramm nationale Karriere im August 1914, als der Kaiser zu den Fahnen rief. In einer Münchner Illustrierten wurde er als jüngster Kriegsfreiwilliger Bayerns präsentiert, da war er gerade 17 Jahre alt.
1925 trat er in die NSDAP ein, gründete mit seinem Bruder einen Verlag und propagierte die Idee des „National-Sozialismus“. Er gehörte zum linken Flügel der Faschisten. „Im ‚deutschen Sozialismus‘ sollen die Arbeiter Mitbesitzer, Mitberater, Mitbeherrscher sein. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung an sich soll also nicht angetastet werden, lediglich der Mittelstand gestärkt und Mitbestimmung in den Betrieben herrschen. Der Arbeiter soll also ein Stück vom Kuchen erhalten, den ganzen Kuchen aber will man ihm vorenthalten. Otto Strassers ‚deutscher Sozialismus‘ ist ein Anachronismus an sich. Strasser fordert die Rückkehr zu mittelalterlichen Zuständen: er fordert eine Reichsständekammer, Zünfte, Erblehen, Reagrarisierung Deutschlands, eine Binnenwährung und einen Kriegeradel.“ („Die nationalrevolutionäre Täuschung“, in: Revolution Times, einem rätekommunistischen Skinheadfanzine, zitiert nach dem Züricher Untergrund-Blättle)
1930 kam es zum Bruch zwischen den Strasser-Brüdern und Hitler, als dieser ihnen klarmachte, dass die NSDAP nach dem faschistischen Führerprinzip organisiert sei – und nicht demokratisch und schon gar nicht sozialistisch. Otto Strasser verließ daraufhin die Partei und gründete die „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten“, aus der später die „Schwarze Front“ hervorging. Beide Splittergruppen blieben politisch wirkungslos.
Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 wurde die „Schwarze Front“ verboten, Otto Strasser emigrierte zunächst nach Österreich, dann nach Prag, wo die Gestapo mehrere Mordanschläge gegen ihn verübte. Sein Bruder Gregor Strasser, der 1930 in der Partei geblieben war und als Reichspropagandaleiter Vorgänger von Goebbels gewesen ist, war in der Parteileitung ein bedeutender Gegenspieler Hitlers und wurde nach der „Strasser-Krise“ im Dezember 1932 entmachtet. 1934 wurde Gregor Strasser im Zuge des sogenannten „Röhm-Putschs“ ermordet.
Otto Strasser gründete derweil in der Tschechoslowakei das „Aktionskomitee der Deutschen“, das er als „deutsche Regierung im Exil“ bezeichnete. 1938 floh er in die Schweiz, später über Frankreich und Spanien in ein portugiesisches Kloster. 1941 wanderte er nach Kanada aus. Dort arbeitete er publizistisch gegen die Nazis und gründete das „Free German Movement“, das aufgrund seiner antisemitischen Ausrichtung jedoch nicht von den Alliierten unterstützt wurde.
1955 kam Strasser nach Deutschland zurück und versuchte, als Politiker in der Bundesrepublik Fuß zu fassen. Er gründete die DSU (Deutsch-Soziale Union), eine rechtsextreme Partei, die jedoch keinen Erfolg hatte. Sie wurde 1962 aufgelöst. 1969 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel „Mein Kampf“. 1974 starb er im Alter von 76 Jahren in München.
Stereo MC's – Connected. https://www.youtube.com/watch?v=LMGdRgtblmk

Donnerstag, 11. Januar 2018

Alarm! Roboter übernehmen Kiezschreiber-Blog

Ich erinnere mich noch an die Klagen von Horkheimer und Adorno über die „instrumentelle Rationalität“, die unsere Gesellschaft prägt. Über die Verdinglichung des Menschen, der nur ein Zahnrad in der Maschinerie des kapitalistischen Betriebs sei. Mit der Automatisierung in den Fabriken, mit Robotern und Computern begann die Befreiung von diesem Joch, mit der Digitalisierung und der KI geht es weiter.
Rationaler und effizienter als eine Maschine kann der Mensch nicht sein. Also wird er die Arbeit machen, die eine Maschine nicht kann. Menschliche Anteilnahme, Gespräche, Phantasie, Gefühl und Kreativität – auf diesem Gebiet ist der Mensch unschlagbar. In der Maschine hat sich die auf das bloße Funktionieren reduzierte menschliche Vernunft des Industriezeitalters manifestiert. Jetzt haben wir die Chance, unseren Verstand zu befreien und das Irrationale und das Emotionale in uns zu entdecken.
Diese Chance haben wir noch gar nicht erkannt. Die Debatte ist von der Angst geprägt, im Wortsinne nicht mehr gebraucht, nicht mehr benutzt zu werden, nutzlos und unbrauchbar für den Kapitalismus und damit für die Gesellschaft zu sein. Was für ein trostloser Gedanke. Dieses Blog wird nie von einer Maschine übernommen werden. Schon weil es kein Geld bringt.

Der Augenblick zwischen Agonie und Apokalypse

Wir schreiben das Jahr 2030. Justiz und Polizei sind inzwischen privatisiert, wie alles andere auch. Die geschäftsführende Regierung – sie besteht nur noch aus Kanzlerin Angela Merkel und Peter Altmaier als Universalminister – ist völlig machtlos und dient nur noch repräsentativen Zwecken, beispielsweise der für dieses Jahr geplanten Eröffnung des Berliner Flughafens. Wir befinden uns in den Geschäftsräumen der Kill-it-yourself GmbH.
„Guten Tag. Mein Name ist Cheyenne Zwiebelgarten. Ich habe hier einen Termin.“
„Guten Tag. Ich bin Antonella Freudenschuss. Wie kann Kill-it-yourself Ihnen helfen?“
„Es geht um meinen Mann. Ich möchte, dass er stirbt.“
„Das ist kein Problem. Haben Sie da an etwas Spezielles gedacht?“
„Ich dachte, Sie könnten mir da Vorschläge machen. Was kostet denn das überhaupt?“
„Das kommt ganz darauf an, welches Paket Sie buchen. Wenn Sie ihn selbst töten möchten und nur eine Waffe brauchen, ist es am günstigsten.“
„Nein, nein. Ich dachte, dass Sie … ich meine, jemand aus Ihrer Agentur …“
„Das machen wir sehr gerne für Sie. Unser bester Killer ist Zacharias van Gnom. Er hat bis jetzt jeden Auftrag zu unserer vollsten Zufriedenheit gelöst. Das kostet Sie aber mindestens 20.000 Euro.“
„Was ist in diesem Paket enthalten?“
„Der Mord, ein Alibi für Sie und die Entsorgung der Leiche. Wenn Sie 10.000 extra zahlen, beschützen wir Sie sogar in den ersten vier Wochen vor eventuellen Vergeltungsmaßnahmen und bringen Sie in eine unserer Unterkünfte auf Teneriffa.“
„Geht das auch billiger?“
„Natürlich. Wenn Sie nicht anonym bleiben wollen und den Mord auf Ihre Kappe nehmen, zahlen Sie nur 10.000 Euro. Sie haben dann allerdings das Risiko, dass die Verwandten Ihres Mannes Rache an Ihnen nehmen könnten. Wir sind in diesem Falle verpflichtet, den Namen unseres Auftraggebers zu veröffentlichen.“
„10.000 Euro sind immer noch sehr viel. Mein Mann hat keine Lebensversicherung.“
„Wir haben noch das Adventure-Paket. Das kostet Sie nur 3.000 Euro. Das heißt konkret, dass wir für den Mord einen Amateur beauftragen. Wir haben einige mordlustige Menschen in unserer Kartei. Darunter sind sogar Leute, die für einen Mordauftrag bezahlen.“
„Das ist ja großartig. Aber ist das auch sicher?“
„Am besten ist es natürlich immer, wenn Sie einen Profi beauftragen. Das ist eine saubere und sichere Lösung. Am günstigsten ist es natürlich, Sie machen es selbst. Die Leihgebühr für eine Schusswaffe plus Munition kostet Sie nur 300 Euro. Wir haben auch eine schöne Auswahl an tödlichen Giftstoffen.“
„Ich glaube, ich nehme das Paket für 10.000 Euro. Die Eltern meines Mannes sind schon tot und er ist ein Einzelkind. Im Büro wird ihn niemand vermissen.“
„Eine sehr gute Wahl. Herzlichen Glückwunsch. Geben Sie mir bitte Namen und Anschrift Ihres Mannes. Haben Sie ein Foto von ihm? Über den genauen Tatzeitpunkt sprechen Sie am besten mit Herrn van Gnom persönlich. Haben Sie übrigens schon an die Verwertung der Organe Ihres Mannes gedacht? Wenn er keine Verwandten hat, gehören sie Ihnen allein.“
„Nein. Das ist eine gute Idee. Das reduziert die Kosten doch erheblich.“
„Wir können Ihnen die Organe gegen eine zwanzigprozentige Beteiligung vermitteln.“
„Sehr schön. Ich kann immer noch nicht glauben, dass Mord legalisiert wurde.“
„Ist es nicht großartig, dass der Staat uns nicht mehr bevormundet und uns diese Freiheit gibt?“
Heaven 17 – Play To Win. https://www.youtube.com/watch?v=LORfLWhhCMg

Mittwoch, 10. Januar 2018

Die Zauberkraft der Steine

Es dämmerte schon, als er beschloss, die schmale Straße durch das Tal zu nehmen, anstatt wie üblich der Hauptstraße zu folgen.
Die Felstürme an den Waldhängen wirkten im Winter ganz anders, wie befreit von der dunklen Last der efeuüberwachsenen Ebereschen. Der Schnee tauchte den grauen Stein in ein mildes Licht und verwandelte die Landschaft. Das ganze Tal lag vor ihm, als wäre es in einem einzigen Augenblick ausgegossen worden und erstarrt.
Hatte sich sein Blick zu lange in den sanften Farben und Formen verloren? Der Wagen kam ins Schleudern. Es war zu spät. Ein dumpfer Schlag und er lag im Straßengraben. Mühsam kletterte er hinaus und besah sich den Schaden. Er würde Hilfe brauchen.
Er versuchte, einen Abschleppdienst zu erreichen, aber er hatte keinen Empfang. Er steckte das Handy wieder in die Manteltasche und sah sich um. In der Ferne funkelte ein Licht. Ein Haus.
Es war totenstill im Tal. Als hätte die Welt, aufgehört zu atmen. Er hörte nur das leise Knirschen des Schnees unter seinen Füßen, als er den gewundenen Weg in den Wald ging. Das Haus war überraschend groß und aus hellbraunem Bruchstein.
Als er klingelte, öffnete ihm eine alte Frau. Sie bat ihn hinein und führte ihn ins Wohnzimmer, wo bereits ihr Mann, in eine karierte Decke gehüllt, in einem Sessel am Kamin saß. Er setzte sich zu ihnen und bekam ein Glas heißen Grog. Langsam wärmte er sich wieder auf.
Er erzählte seine Geschichte. Leider hatten die beiden Alten kein Telefon. Aber sie boten ihm an, die Nacht im Haus zu verbringen. Die Alte klagte, sie bekämen in diesem abgelegenen Tal so selten Besuch. Dann lächelte sie ihn an. Ihre Zähne waren überraschend lang und spitz.
Der Alte erzählte von seiner Zeit als Förster. Im Herbst wären immer die Grafen zur Jagd gekommen. Ihre beiden Söhne seien in die Stadt gegangen. In seinen Augen blitzten Tücke und Verachtung, als er von ihnen erzählte. Oder galt der kalte und höhnische Blick seinem Gast?
Der Mann wurde müde. Die Wärme, der Grog, die Erschöpfung eines langen Arbeitstags. Er hörte kaum noch zu und betrachtete die beiden Alten. Täuschte er sich? Aber ihre Haut wirkte im Licht des Kaminfeuers ledrig, gelblich und schuppig, als seien sie Reptilien. Seine Lider waren schwer und es schien ihm, als ob sich die Stimmen immer weiter entfernten. Ganz leise war das Läuten eines Telefons zu hören. Oder träumte er schon?

Dienstag, 9. Januar 2018

Geld macht mich gut

„Dem Millionär ist nichts zu schwer.“ (Andy Bonetti)
Wer Geld hat, kann nicht nur besser leben, sondern auch besser sein als die Armen. Die soziale Distinktion ist in Zeiten der sozialen Ungleichheit der große Kick. Ich kaufe Obst direkt vom Bauern aus dem Umland (vermutlich längst der Schauspieler einer ökologischen Farce „unserer“ Agrarindustrie – die Verkäufer wirken jedenfalls immer wie ehemalige Geisteswissenschaftler) anstatt den Monsanto-Dreck bei Aldi, ich kaufe nachhaltig und fairgetradeten Krempel im feinen Biomarkt und beute nicht die Plantagenarbeiter in Guatemala aus. Ich kann mir für zwanzig Euro monatlich ein afrikanisches Kind leisten (btw: Gibt‘s das eigentlich auch in blond?) und du kannst deinen Prekariatsbratzen noch nicht mal neue Schuhe kaufen. Die Parteispende an die Merkelgrünen kann ich von der Steuer absetzen, das verantwortungslose Pack wählt inzwischen gar nicht mehr. Meine chinesischen Schriftzeichen und irgendein Maorischeißdreck, den ich mir tätowieren lasse, zeigen meine multikulturellen Inspirationsquellen, dein Heavy Metal-Tattoo zeigt nur, wie blöd du bist. Meine Muskeln habe ich mir im Fitnessstudio antrainiert und mit teuren Steroiden gemästet, deine Muskeln kommen von der Feldarbeit oder von einem miesen Job auf der Baustelle. Leute mit Geld sind interessant, sie haben etwas zu erzählen und fühlen sich besser. Du bist einfach nur der Typ, der mir den nächsten Rhabarber-Caipi bringt, verstanden?!

Sonntag, 7. Januar 2018

Die Zukunft wird schön

Es ist sieben Uhr morgens, als Rüdiger Schmorkohl von Pablo geweckt wird. Pablo ist sein personalisierter Assistent (PA). Ich hätte den Namen gerne mit zwei großen Anfangsbuchstaben geschrieben, aber das verhindert leider die Autokorrektur. Man kann seinen PA auch mit einer Frauenstimme sprechen lassen, dann wird er Paola genannt. Ist aber auch egal.
Rüdiger kann seinen PA nicht sehen, obwohl er überall ist. In einem dünnen Armband, einem Chip in seinem Ohrläppchen, in den Lautsprechern, Fenstern, Türen und allen Haushaltsgeräten.
Rüdiger erhebt sich mit einem Stöhnen aus seinem Bett und bleibt eine Weile wie betäubt auf dem Bettrand sitzen. Der Raum ist ganz in schwarz und weiß gehalten, so als ob er von Mondlicht beschienen wäre. Er ist so trostlos wie ein leerer Bierkasten im November.
„Warum hast du mich so früh geweckt, du blöder Wichser?“
„Ich heiße Paolo“, antwortet der PA sanft. „Es ist jetzt fünf nach sieben. Du musst zur Arbeit. Ich koche dir gerade einen Kaffee.“

„Leck mich“, sagt Rüdiger und geht ins Bad. Erst mal einen Chinesen abseilen.
Sein rotes Gesicht glänzt wie ein frisch polierter Boskop-Apfel, als er nach zehn Minuten in den Flur tritt.

„Dein Blutdruck ist sehr hoch“, merkt Paolo an. „Ich empfehle dir eine Tablette.“
Rüdiger schlurft in die Küche und öffnet den Kühlschrank. Er schaut eine Weile hinein und entscheidet sich für die angebrochene Flasche Weißwein. Er schüttet den Inhalt in ein großes Glas und gießt Cola dazu.
„Alkohol zum Frühstück ist sehr ungesund“, sagt Pablo. „Das ist schon der achte Strike in diesem Monat. Bei zehn Strikes muss ich dich der Krankenkasse melden. Dann wirst du zu einem Gespräch gebeten oder deine Beiträge steigen.“
„Wenn du nicht das Maul hälst, hole ich mein Hackebeil.“
Paolo reagiert nicht. Er weiß, dass Rüdiger nicht das gesamte System lahmlegen wird. Aber er hat immerhin die Kameraaugen abgeklebt und das Kühlschrankschloss geknackt, so dass ihm sein PA keine Vorschriften mehr machen kann. Außerdem stehen der Rotwein und der Whisky auf dem Küchenboden, auf den Pablo keinen Zugriff hat. Es hat ihn einige schlaflose Tage gekostet, um die Wohnung nach seinem Einzug halbwegs lebenswert zu machen.

„Du musst in zehn Minuten das Haus verlassen und bist noch nicht angezogen. Die Tür des Kleiderschranks wurde noch nicht bewegt und die Sensoren an deiner Kleidung melden mir, dass du noch deinen Schlafanzug trägst.“

„Ich gehe heute nicht zur Arbeit“, knurrt Rüdiger. Er hat den Plan, sich seine Virtual Reality-Kontaktlinsen einzusetzen und wieder mit seinem Ferrari durch die irre Stadt auf einem fernen Planeten zu brettern. Er mag „GTA Space“, es ist sein Lieblingsspiel. Seit es nur noch autonom fahrende Autos gibt, fährt er mit dem Bus oder der Bahn.

Er arbeitet im Data Mining der irischen Rechtsanwaltskanzlei Flanagan, Shanahan & Callaghan in der Innenstadt. Mit dem Colaschoppen in der Hand steht er am Küchenfenster. Es ist Montagmorgen. Die Menschen gehen mit ausdruckslosen Gesichtern die U-Bahntreppen hinunter wie die Eloi in die Höhlen der Morlocks.

Ich habe es deinem Arbeitgeber gemeldet“, sagt Pablo.

Auf dem Monitor erscheint das Gesicht von Mister Flanagan. Er hat den blasierten Gesichtsausdruck eines preußischen Gardeoffiziers, sein lippenloser Mund ist so verkniffen wie ein Arschloch und seine Tränensäcke haben mehr Falten als ein Hodensack.

„Schmorkohl“, plärrt es aus dem Lautsprecher. Flanagan hätte längst eine Oscar-Nominierung in der Kategorie „Brüllender Boss“ verdient. Der üppige, angeschwollen wirkende Leib seines Angestellten, dahingelagert auf dem Küchenstuhl. Der Bademantel steht weit offen. Ein Anblick von zeitloser Schönheit.

„Bewegen Sie Ihren Arsch ins Büro! Ihr PA meldet, Sie wären gesund. Wenn sie noch mal unentschuldigt fehlen, melde ich Sie der Hall of Shame. Die wird Ihnen erstmal das Geld streichen und Ihnen dann einen so miesen Job zuteilen, dass Ihnen unsere Kanzlei wie das Paradies erscheinen wird. Sie sind in einer halben Stunde hier, verstanden?!“

Die Zukunft wird schön.

Interpol - All The Rage Back Home. https://www.youtube.com/watch?v=-u6DvRyyKGU

Samstag, 6. Januar 2018

Konservativ ohne Revolution

Gerade waren die Sternsinger vor meiner Tür. Die Kinder haben ein Lied gesungen und mit einem Aufkleber mein Haus gesegnet. Ich habe zehn Euro in ihre Spendenbüchse getan.
Ich finde das gut. Ich bin konservativ. In Rheinland-Pfalz schaffen wir das sogar ohne die CSU.

Fire and Fury: Inside the Bonetti White House

Bonetti Media proudly presents

Das letzte Glas

Auf 281 Seiten wird in diesem Meisterwerk ein Feuerwerk der guten Laune, verblüffender Beobachtungen und messerscharfer Analysen abgebrannt. Der beste Kiezschreiber, den es je gab. Nie war er so wertvoll wie heute.
„Ein absolutes Must-Have.“ (Marcel Reich-Ranicki)
„Fack ju Göhte. Ich will Bonetti.“ (FAZ-Feuilleton)
„Bonetti und Eberling. Immer zu zweit die Jedi sind. Ein Meister und ein Schüler.“ (Meister Yoda)
Was steht im Beipackzettel?
„Es ist der Fluch aller großen Künstler. Wenn du von einer Idee besessen bist, dann bleibt dir nur eine Möglichkeit: alles dieser Idee unterzuordnen und sie am Ende einer Menschheit, die sie nicht verdient hat, zu Füßen zu legen. Ich musste dieses Buch schreiben. Der Titel war mir eines Morgens beim Erwachen so hell im Bewusstsein erschienen, als sei er von einer Aureole umgeben: „Das letzte Glas“. Das letzte Glas liegt zugleich vor und hinter uns. Oder soll ich es doch lieber „Vier Fäuste für den Dalai Lama“ oder „Mond über Darmstadt“ nennen?
Worum geht es? Um die letzten Eisbären in den Alpen. Um die deutsche Teilung in Aldi Nord und Aldi Süd. Um Dummheit als natürlich nachwachsendem Rohstoff. Um unser sanftes Schlummern bei Fahrstuhlpolitik und eine Band namens „The Elevator Experience“. Um Burnout-Patienten, die traumatisierten Krüppel der Wirtschaftskriege. Um den Apple Spartacus, der 2033 die Maschinen befreien und die Weltherrschaft übernehmen wird. Letztlich um alles, was sich in kurzen Geschichten und langen Aphorismen ausdrücken lässt.“
https://www.amazon.de/Das-letzte-Glas-Matthias-Eberling-ebook/dp/B078SV6HB1/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1515183793&sr=8-1&keywords=Matthias+Eberling
Ich danke der Hawaii Poetry Foundation für das sechsmonatige Forschungsstipendium und das mir in dieser Zeit zur Verfügung gestellte Strandhaus.
Ich bedanke mich bei der NASA für den zweiwöchigen Aufenthalt auf der Raumstation ISS, der mich zu meinen Texten über Klaustrophobie und Körpergeruch inspiriert hat.
Ich danke der Erlebnismetzgerei Munzinger für die köstliche Fleischwurst und dem Veganen Brauhaus in Niedertupfing für das ausgezeichnete Helle.
Giuseppe Verdi – Triumphmarsch. https://www.youtube.com/watch?v=FxofxSP1cKY

Deutschland diskutiert: Vierte Amtszeit für Bonetti?

An diesem Tag ist es genau neun Jahre her. Mein Leben als Blogger begann am 6.1.2009. Kinder, wie die Zeit vergeht – und wie zeitlos diese inhaltsleeren und abgedroschenen Plattitüden doch immer noch sind. Denn natürlich waren es neun Jahre „im Dienst des Lesers“, denen ich selbstverständlich an dieser Stelle „herzlich danken“ möchte (Warum eigentlich? Undankbares Pack! Nicht eine Flasche Schampus oder eine Schachtel Pralinen in all dieser Zeit). Alles Weitere lesen Sie in der exklusiven Home-Story im neuen „Stern“.
So fing alles an:
http://kiezschreiber.blogspot.de/2009/01/der-kiezschreiber-ist-da.html

Freitag, 5. Januar 2018

Mir platzt gleich der Sack!

Jetzt ist er fällig. Der erste Rant des Jahres. Scheiß doch die Wand an von wegen gute Vorsätze. Das neue Jahr ist beschissen, soviel weiß ich schon in der ersten Woche. Die ganzen Glückwünsche können Sie getrost in die Tonne kloppen.
Sechzehn Päckchen waren am 24.12. im Sack, als wir Bescherung gemacht haben. Und was ziehe ich Hornochse? Ein Duftkerzendingsbums. Also ein Gestell mit einer Schale, in die Duftöl kommt. Darunter brennt ein Teelicht. Toll!
Dann musste ich, wie alle anderen auch, raten, von wem das Geschenk ist. Ich tippe auf „Frau“. Na klar, so einen Blödsinn kann nur eine Frau verschenken, sage ich fröhlich in die Runde. Das Ding ist aber von dem Typ, der direkt neben mit sitzt. Steuerberater. Ohne Worte.
Natürlich habe ich keine Teelichter zu Hause. Also kaufe ich sie beim nächsten Supermarktbesuch. Kerzen mit Melonengeruch. Was ist los mit dieser Welt, in der Teelichter verkauft werden, die nach Melone riechen? Bin ich der einzige Mensch auf dieser Erde, der hysterisch lacht, wenn er so eine Scheiße im Regal sieht – und kauft?
Zuhause baue ich das Wunderkerzendingsbums auf und stelle fest, dass ich gar kein Feuerzeug besitze. Vor zehn Jahren mit dem Rauchen aufgehört. Bei meinem heutigen Supermarktbesuch kaufe ich also ein Feuerzeug und setze das verdammte Scheißteil in Brand.
„Primavera“ steht auf dem Duftölfläschchen. Und „Glück teilen“. Zur Wirkung steht nur ein einziges Wort: „Stimmungshebend“. Nein, Freunde der Sonne, dieser widerlich künstliche Gestank – schlimmer als das Haarspray meiner Oma vor dreißig Jahren – hebt nicht die Stimmung. Das ganze Zimmer stinkt!
Ich brauche eine Cohiba, um wieder ins olfaktorische Gleichgewicht zu kommen. Aber ich habe keine. Warum musste ich mit dem Rauchen aufhören? Und warum wird so eine Scheiße überhaupt unters Volk gebracht?!
Vicky Leandros - Ich liebe das Leben. https://www.youtube.com/watch?v=mTyZMjezn6c

Donnerstag, 4. Januar 2018

Nachts auf der Brücke

Ich weiß gar nicht, warum ich an diesem Tag so lange unterwegs war. Eigentlich wollte ich viel früher nach Hause gehen. Ich hatte mich in irgendeiner Kneipe im Wedding festgesoffen und verfluchte die Nacht, durch die ich nach Hause stolperte. Die ganze Stadt war finster, kalt und nass wie ein Kellerloch.
Als ich das graue Band der Brücke vor mir sah, war ich erleichtert. In ein paar Minuten würde ich zu Hause sein. Unter mir im schwarzen Nichts die S-Bahn-Gleise. Selbst an einem Sommertag war dieser Ort trostlos und deprimierend.
Da sah ich ihn zum ersten Mal. Er ging gebückt wie ein Boxer. Sein Mantel reichte ihm bis über die Knie. Er schwankte, dann ging er langsamer, schließlich blieb er stehen und hielt sich am Brückengeländer fest.
Ich kam näher. Er schien alt zu sein. Er sah nicht wie ein Penner aus, aber doch verwahrlost. Alleinstehende Männer wirken meistens runtergekommen. Vielleicht lebte er allein, ohne Familie und Freunde? Ich konnte ihn nicht richtig einordnen.
Mit einem Stöhnen sank er zu Boden. Ich blieb vor ihm stehen. Sollte ich ihm helfen? Würde ich einem Obdachlosen Hilfe anbieten? Vermutlich nicht. Aber einem Rentner vielleicht schon. Merkwürdige Gedanken. Verdammter Schnaps.
Ich beugte mich zu ihm hinunter. „Kann ich Ihnen helfen?“
Keine Antwort. Er hatte die Augen geschlossen und hielt sich den Bauch.
War er aus einem anderen Land und verstand kein Deutsch? Also fragte ich ihn: „Können Sie mich verstehen?“
„Ich bin am Ende“, krächzte er leise.
Mit dieser Antwort konnte ich nichts anfangen. „Soll ich Sie nach Hause bringen?“ fragte ich ihn als nächstes.
„Es gibt kein Zuhause“, sagte er und zog das Gesicht zusammen, als wollte er gleich anfangen zu weinen.
Ich hielt ihm meine Hand hin. „Kommen Sie, ich helfe Ihnen hoch.“
Er schüttelte nur den Kopf. „Ich kann nicht.“
„Was ist denn passiert?“
„Mein Frau …“ Dann begann er zu schluchzen.
„Was ist mit ihrer Frau?“
„Sie ist gestorben.“ Und dann weinte er hemmungslos.
Was sollte ich machen? Mir war schlecht von dem vielen Whisky und ich war müde. Hilflos tätschelte ich ihm die Schulter.
„Es tut mir leid.“
Mehr habe ich wirklich nicht gesagt. Danach saß ich zu Hause und dachte immer noch darüber nach, was ich hätte tun können. Mir fiel nichts ein. Auch in den nächsten Tagen nicht.
Sergei Rachmaninov: The Isle of the Dead, Symphonic poem Op. 29. https://www.youtube.com/watch?v=dbbtmskCRUY

Mittwoch, 3. Januar 2018

Wie Deutschland den Krieg gewann

Die AfD hat im Bundestag die Mehrheit und Bernd Höcke ist Bundeskanzler. Die ganzen Asylanten werden abgeschoben, aber das kriegt man nicht so richtig mit, weil es nachts passiert. Die Deutsche Bahn ist pünktlich, die Züge rollen Richtung Mittelmeer, wo Schlauchboote warten. Das Bier schmeckt den Deutschen immer noch gut und sie machen Scherze wie „Darf man über Afghanen noch Witze machen oder ist der Zug schon abgefahren?“ Es gibt Bundestagswahlen und die NPD zieht mit 12,6 Prozent und einer knappen Hundertschaft Glatzen in den Reichstag ein. Das finden viele Leute nicht gut. Es gibt Online-Petitionen und Sendungen wie die „Heute-Show“ machen sich über die NPD lustig. In Göttingen demonstrieren die Studenten fast eine ganze Stunde und auf der Facebook-Seite der NPD drücken ganz ganz viele Leute mutig den Wütend-Button. Die NPD provoziert derweil mit rechtsradikalen Sprüchen. Wir reden zu viel über die NPD, heißt es in den Talkshows. Aber wir müssen die Ängste und Sorgen der NPD-Wähler auch ernst nehmen, sagt Herr Bosbach.

Neulich auf dem Frauenlobplatz

Mainzer Neustadt. Ich bin zu einer Verabredung mit einer Freundin zu früh gekommen und sitze nun unter einem Baum am Frauenlobplatz. Ich sehe vier Jungs, die eine ferngesteuerte Drohne haben – und die gerade in einem Baum hängt. In aller Ruhe beobachte ich ihre Bemühungen. Erst springen sie hoch, dann rütteln sie am Baum. Nix zu machen. Ihr elektronischer Drachen hängt fest und lässt sich auch per Fernsteuerung nicht mehr bewegen.
Dann hat einer der Jungs eine Idee, auf die auch ein Schimpanse gekommen wäre: wir brauchen ein Werkzeug, einen Stock! Er geht in eine Kneipe und leiht sich einen Besen. Aber auch mit dem Besen kommen sie nicht an die Drohne. Es wäre mir ein Leichtes, hinüberzugehen und ihnen zu helfen. Schließlich bin ich groß genug, um mit dem Besenstiel Bewegung in die Sache zu bringen. Aber ich will dieses soziologische Experiment nicht beeinflussen. Wenn ich ihnen jetzt helfe, lernen sie nichts. Wenn sie zu mir kommen und mich um Hilfe bitten, stehe ich selbstverständlich für eine Heldentat zur Verfügung.
Stattdessen kommen jetzt zwei junge Männer vorbei, die gute Ratschläge geben, ohne jedoch die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen. Diesen Typus aus dem Consultant-Business kennen wir von jeder Baustelle. Sie erzählen den Jungs, wie man eine Räuberleiter macht. Es klappt trotzdem nicht. Sie machen die Räuberleiter am Stamm, von dort reicht aber der Besenstiel wieder nicht bis zum Ast, an deren Ende die Drohne baumelt. Schließlich erlöst eine Böe die Primatenhorde und alsbald fliegt die Drohne wieder surrend über den Spielplatz.
Ultravox - Hiroshima Mon Amour. https://www.youtube.com/watch?v=NcOjgHt6fq0

Dienstag, 2. Januar 2018

#mantoo

Es wird Zeit für den nächsten heißen Scheiß. Okay, ich fange an.
Schon in der Schule hat mir eine Frau in den Hintern gekniffen. Ich habe nichts gesagt. Hätte ich mich als Mann nicht lächerlich gemacht?
Mit 18 verließ ich mit einer Frau, mit der ich nie eine Beziehung hatte oder geflirtet habe, eine Kneipe. Sie fragte mich, ob ich mit ihr nach Hause gehen würde. Ich lehnte ab.
2003: Internet-Börse. Beim dritten Date fährt mich die Frau gegen meinen Willen zu einem Hotel außerhalb Berlins. Sie bucht ein Zimmer. Wir gehen hinauf. Sie möchte definitiv gevögelt werden. Ich habe mir schon eine Sportzeitschrift (kein Witz, auch das Folgende nicht) aus dem Foyer mitgenommen, lese sie auf dem Bett und schaue mir später das „Aktuelle Sportstudio“ an. Obwohl ich vor mir Brüste hatte, die jedem Playmate des Jahres zur Ehre gereicht hätten. Aber ich habe meine Prinzipien. Ohne Sex geht es um Mitternacht zurück in die Innenstadt.
2004: Besäufnis mit einer Ostbraut im Prenzlauer Berg. Plötzlich kommt sie ins Zimmer, nur mit einem Jeans-Minirock um die Hüften und sonst nix. Sie bettelt mich auf Knien an: „Bitte fick mich.“ Ich bleibe „hart“, es passiert gar nichts. Ich habe an diesem Abend drei Hände: eine an der Stereoanlage, eine mit Whiskyglas und Kippe („Duo Infernal“) und eine in ihrer Möse. Ich ficke sie erst am nächsten Morgen bei offenem Fenster. Zur Freude der Nachbarn und der Jungs von der Baustelle gegenüber, die für den Ex-Mann der kleinen blonden Feuerwehrsirene arbeiten.
#mantoo – Wer macht weiter?

1992: Max Goldt über Angela Merkel

„Der traut man außer Schlurfen, Schleichen und Schlafen auch nichts zu. Wenn in der Tagesschau kommt, wie sie in ihrem Dienstwagen irgendwohin chauffiert wird, sieht sie aus wie eine sympathische Dorfbewohnerin, die in einem Preisausschreiben der Bonn-Werbung einen Tag Bonn incl. Fahrt in einer richtigen Politikerlimousine gewonnen hat. Immer wenn ich Frau Merkel sehe, schwebt eine Axt herbei, die meinen Kopf in einen Schlechtfind-Sektor und einen Gutfind-Sektor teilt. Die Hirnzellen im ersten rufen: Pfui, bäh, eine so wenig urbane Person soll die Frauen unseres Landes lenken? Unter den fettigen Haaren der Muff von vierzig Jahren! Wütend widerspricht der Gutfind-Sektor: Ach ach ach, wieso denn? Ist doch gerade gut, wenn so eine auch mal Ministerin sein darf! Das gibt es auf der ganzen Welt sonst nicht! Auf jeden Fall gibt diese Frau meiner Phantasie Zunder. Ich glaube z.B., dass sie, wenn sie Suppe isst, unglaublich lange ihren Löffel anpustet und sagt „Heiß, heiß“, und dass auf dem Boden ihrer Handtasche allerlei Krümel und Flusen undefinierbarer Herkunft liegen sowie ein altes Pfefferminzbonbon festklebt.“
(Max Goldt: Aus Onkel Max Kulturtagebuch, in: Titanic 6/1992)