Mittwoch, 11. November 2009

Aus vollen Schubladen frisch gezapft



Einst stapfte der Bauer Hu Hu aus Wu-Wei über seine Reisfelder und kaute lustlos an einer Frühlingsrolle. ‚Widel velflucht slechte Elnte dieses Jahl‘, dachte er, als der Philosoph und Schwerenöter Peng Fei des Weges kam. Dieser fragte ihn: "Was blummmelst du denn da in deinen Balt, du altel Leisflessel?" Dann lachte er freundlich und sah dem schlitzäugigen Bauern tief in die Augen: "Na, Älgel gehabt?" "Ja", antwortete Hu Hu, "mil blummt del ganze Kopf vol lautel Älgel." Der Philosoph begann: "Siehst du die Lilien auf dem Felde? Tu es ihnen gleich und tlinke solglos den göttlichen Nektal del Sonne!" "Da sind doch übelhaupt keine Lilien", sagte da der Bauer und ging nach Hause, um sich ein Chop Suey zu machen.


Bestimmt benehmen sich alle Leute ganz albern, wenn sie allein sind. Dann schneiden sie Grimassen, springen herum, lachen, tanzen, pfeifen und bohren ungeniert in der Nase – kurzum: sie benehmen sich ungezwungen und natürlich. Zivilisation ist daher einfach die Unfähigkeit, gemeinsam normal zu sein. Da muß man sich über die vielen unglücklichen, kranken und aggressiven Menschen nicht wundern.



Geplanter Titel meiner Autobiographie: "Wunderbare Reisen zu Lande, zu Wasser und in der Luft, Raubzüge und lustige Abenteuer des Kiezschreibers Eberling, wie er dieselben bei der Flasche im Kreise seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt."


Ohne Zinn ist das Leben zinnlos.

Auf der Oranienstraße sehe ich den ultimativen Punk. Er ist etwa zehn Jahre alt, sitzt auf einem dieser grauen Verteilerkästen am Straßenrand und unterhält sich gerade mit seinem Kumpel. Schwarze Nietenlederjacke, knallrote Irokesenfrisur, das Gesicht zieren eine riesige Sonnenbrille und die obligatorische Sicherheitsnadel. Als ein typischer Berliner Doppeldeckerbus vor ihm hält, spuckt er aus vollem Halse gegen dessen Seitenscheibe (ich sehe das entsetzt zurück zuckende Gesicht einer alten Frau trotz der störenden Spiegelungen), hebt den Mittelfinger und sagt "Scheiß Busse!" Dann unterhält er sich seelenruhig weiter. Das wird mal ein zweiter Sid Vicious!

Direkt vor meinem Fenster im dritten Stock turnt ein Mensch im Baum herum. Es ist früher Morgen, ich setze mich an den Schreibtisch und dort sehe ich ihn, wie er Zweige und Äste abtrennt. Bei jedem möchte ich ihm zurufen: "Halt! Der war doch noch gut." Eben hat er herüber gesehen. Vielleicht fragt er sich, was ich hier schreibe, einen wichtigen Geschäftsbrief oder sonst etwas von Bedeutung. Dabei schreibe ich die ganze Zeit über ihn selbst. Er ist etwa in meinem Alter und muß von der hydraulischen Hebebühne, die unter ihm schwebt, in diesen Wipfel geklettert sein. Die Taube, die mir gegenüber im Geäst wohnt, ist erschrocken davon geflogen. Doch es sieht schon fast majestätisch aus, wie er – nicht mehr in Griffweite des Stammes – breitbeinig wie ein Fischer in seinem Kanu auf einem Ast steht und mit einer Sichel, die an einer langen Stange befestigt ist, nach einem unbekannten und geheimnisvollen Plan Teile des Baums heraus schneidet. Wie die Arbeiter, die neulich auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses zu sehen waren: heimliche Akrobaten, stille Künstler.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatten sie mir bereits einen anderen Kopf gegeben. Neugierig lief ich vor den Spiegel und betastete die noch etwas taube Haut, freute mich aber gleich über die großen schönen Augen, die ins Panzerartige übergehende Festigkeit der Wangen und den sehr zweckmäßigen Saugrüssel, der meine Fangzähne allerdings fast völlig verdeckte und sie so ein wenig ihrer schrecklichen Wirkung beraubte.
Achtung! Der chinesische Weise Juch He wurde in der Bahnhofsgegend gesichtet. Bitte halten Sie Türen und Fenster geschlossen und antworten Sie nicht auf philosophische Fragen!

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