Sonntag, 5. September 2010

Zwei Klassen, zwei Orte

Stellen Sie sich vor, auf Ihrer Party gibt es einen Gast - übrigens ein guter alter Freund, den Sie schon immer zu Ihren Partys eingeladen haben -, der tanzt wie ein behinderter Waschbär, zu jedem Lied laut, falsch und schlecht mitsingt, bis zum Ende bleibt, die letzten Käsecracker auffrisst und Ihnen schließlich in den Blumenkasten auf dem Balkon kotzt. Würden Sie sagen, der Mann sei ein Problem? Oder gehört dieser Gast nicht zu jeder guten Party? Genauso ist es mit den Berliner Stadtteilen. Es gibt Straßen und Kieze, in denen es Ein-Euro-Shops, Mäc Geiz und andere Resterampen gibt, wo unbepflanzte Blumenkübel als Aschenbecher dienen, Flaschensammler die Mülleimer nach Pfandgut durchwühlen und einem schon am Vormittag Schwaden von Dönerfett in die Nase steigen. Ist das ein Problemstadtteil? Ist das eine Parallelgesellschaft? Oder gehört ein solcher Ort nicht zur lebendigen Vielfalt einer Großstadt?
Machen wir uns nichts vor: Wir leben längst in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Und interessanterweise beschwert sich nicht die Unterschicht über die Herrschaftsverhältnisse und die ungleiche Güterverteilung in diesem Land, sondern es ist die Oberschicht, die wie ein altes Waschweib an allem herumnörgeln muss, was nicht in ihre spießbürgerliche Vorstellung von Ästhetik und Ordnung passt. Orte wie das Brunnenviertel brauchen keine Gentrifizierung als Erlösung vom angeblichen Elend, sondern die Freiheit, das Leben in der Unterschicht ohne Bevormundung führen zu können. Lieber eine nagelneue 8-Euro-Jeans von Kik als der löchrige 80-Euro-Fetzen von Levi’s, den du dir während deines letzten Zeitvertrags geleistet hast. Wenn man schon nichts gegen die Armut in dieser Gesellschaft unternimmt, sollte man ihr wenigstens nicht die Würde nehmen. Schließlich lebt die Unterschicht auch deswegen in sogenannten sozialen Brennpunkten, weil sie in den Villenvierteln am Grunewald nicht erwünscht ist. Also sollte man ihnen ihre konkreten Orte innerhalb der Zweiklassengesellschaft nicht wegnehmen.

Die Klassengesellschaft fängt, aber das ist nur eine Beobachtung am Rande, bereits im Kleinkindalter an. Da gibt es die frauenbewegten Waldorfmütter mit Soziologie-Diplom und westdeutscher Vorzeigebiographie, die immer angeben wie ein Sack Mücken, wenn es um ihr Einzelkind geht. Natürlich ist es hochbegabt, ein Genie, einzigartig auf der Welt, gar nicht mit anderen Kindern zu vergleichen und wenn es einen Kindernobelpreis gäbe, hätte ihr hochnäsiger Klumpen Schleim und Rotz sicher schon drei davon. Deutsche Mütter scheinen nur noch arische Supermenschen zu gebären, drunter machen sie offenbar nicht mehr. Es gibt anscheinend kein normales Kind mehr, das einfach gerne auf der Straße mit anderen Kindern Fußball spielt. Aber es gibt das Prekariatsbalg, das stumm daneben steht und in zwanzig Jahren mal dem Familienjuwel einer Rechtsanwaltsmischpoke das Klo putzen darf. Es wird später nicht einmal den Ort seiner Herkunft erkennen können, weil dort längst irgendein Flagshipstore der Firma Schieß-mich-tot aus Hau-mich-blau aufgemacht hat.

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