Mittwoch, 30. November 2011

Auf Wiedersehen

Die Sonne ist längst untergegangen und mein letzter Arbeitstag als Kiezschreiber im Brunnenviertel endet nun. Drei Jahre, von Dezember 2008 bis November 2011, habe ich als Schriftsteller und Journalist Kurzgeschichten, Glossen, Reportagen, Pressemitteilungen, Weihnachtsmärchen, Gedichte und sogar einen Roman geschrieben. Sie sind auf der Homepage des Quartiersmanagements Brunnenviertel-Brunnenstraße, im Magazin „Brunnen ¼“, im Newsletter, von meinem Verlag und in diesem Blog veröffentlicht worden. Ab morgen bin ich wieder einer der glücklichen Arbeitslosen in dieser wunderbaren Stadt. Wer in der heutigen geldgetriebenen, sinnentleerten, hochgradig absurden und zukunftslosen Leistungsgesellschaft nicht benötigt wird, hat alles richtig gemacht. Ich werde auch weiterhin über den Wedding und seine Menschen schreiben und engagiere mich ehrenamtlich in der Gründungsinitiative für eine Bürgerstiftung im Wedding. Wer Lust hat, kann mich und einige andere Stiftungsgründer an unserem Stand auf dem Weihnachtsmarkt besuchen, der am 11. Dezember auf dem Leopoldplatz im Wedding stattfindet. Dort stellen wir unseren Kunstkalender 2012 und meinen Kriminalroman vor – um großzügige Spenden für unsere Stiftungsarbeit wird gebeten!

Wilmersdorfer Witwen

Sie haben die Kaltschnäuzigkeit von gestandenen Frontsoldaten: Wilmersdorfer Witwen. Zwei Exemplare sitzen heute am Nachbartisch, als ich bei meinem Stammgriechen gebratene Auberginenscheiben mit Zaziki an einer Variation von Braugerste und Hopfen genieße. Da geht es zunächst um das Enkelkind der einen Dame, das Hartz IV bekommt, mit dem Geld aber nicht auskommt, weil es alkoholkrank ist. Leider habe ich nicht ganz mitbekommen, ob der Enkel depressiv wurde, nachdem er die Arbeit verloren hat, ob die Depressionen Ursache des Arbeitsplatzverlustes sind oder der Alkohol beides verursacht hat bzw. beides lindern kann. Jedenfalls säuft die eigene Tochter (und Mutter jenes 31-jährigen „Kindes“) wesentlich mehr, nämlich zwei Flaschen Wein am Tag. Dann erzählt die andere von ihrem Bruder, der kürzlich auf dem OP-Tisch verblutet ist, weil der Arzt beim Versuch einer Tumorentfernung zu tief geschnitten habe. Nach pietätvollem, etwa zehnsekündigen Schweigen bemerkt ihr Gegenüber: „Die Kartoffeln schmecken gut.“ Hardcore. Dann geht es weiter: In einer Schublade des verstorbenen Bruders fand sich ein Tagebuch, aus dem hervorging, dass er Anfang der siebziger Jahre nicht nur eine Affäre mit einer anderen Frau hatte, sondern auch noch Vater eines unehelichen Kindes geworden ist. Diese andere Frau hat ihn jahrelang erpresst. Nun beratschlagen die Witwen, ob man den unbekannten und inzwischen vierzigjährigen Spross der Familie ausfindig machen und über die wahre Vaterschaft informieren soll. Bei meinem Griechen werden die besten Geschichten erzählt! Ich frage mich, wozu ich überhaupt im langweiligen „Spiegel“ blättere, der sich doch nur wieder mit Panikmache rund um das Thema Geld beschäftigt. Da halte ich es doch mit Gerhard Polt, der im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ gerade ein sehr kluges Interview gegeben hat: „Ich hab um gar keine Währung Angst (…), es wird immer Leute geben, die wissen, wie man einen guten Wein oder ein leckeres Schnitzel macht.“ Darum geht es im Leben wirklich: Familie und Freunde, Essen und Trinken, Lebensfreude und Gesundheit.

Samstag, 19. November 2011

Minimal-invasiver Lebensstil: der dritte Weg?

Marek Smrz vertrat in der linken Szene das von ihm entwickelte Theorem des minimal-invasiven Lebensstils. Das hieß: so geringe Eingriffe in die Umwelt wie möglich, Drosselung des persönlichen Verbrauchs und der Aktivitäten. Smrz lehnte beispielsweise Fahrräder ab – über Autos wurde hier schon gar nicht mehr diskutiert -, weil sie ebenfalls industriell aus Metall und Kunststoff hergestellt wurden. Man solle alles zu Fuß erledigen, für unabwendbare Reisen nehme man die öffentlichen Transportmittel. In den strengen Grenzen dieses Konzepts gab es natürlich nur sehr geringe Möglichkeiten für eine Erwerbstätigkeit, beispielsweise in einer selbstverwalteten Werkstatt im eigenen Kiez. Außerdem ließ sich seine Idee wunderbar mit den Boykottlisten verbinden, an denen in linken Kreisen akribisch gearbeitet wurde. Wenn man den Kapitalismus ins Herz treffen wollte, durfte man nicht moralisch argumentieren, sondern musste auf die Brieftasche der Konzerne zielen. Also: keine amerikanischen Produkte, weil man damit den US-Imperialismus und Angriffskriege unterstützt, kein Ikea-Plunder, weil man damit den skandinavischen Faschismus unterstützt, Fairtrade-Zeugs kaufen usw. – wem das alles zu kompliziert wurde, ging einfach nach Kreuzberg in die LPG am Mehringdamm einkaufen, dann war sicher alles im Einkaufskorb allerschwerstens pc.
Smrz setzte sein Theorem des minimal-invasiven Lebensstils, mit dem der expansive Konzernkapitalismus im Übrigen seiner zerstörerischen Dynamik beraubt werden sollte, in erster Linie im heimischen Bett um. „Wenn man es sich recht überlegt, ist doch jede Stunde, die man gefaulenzt hat, auf das Sinnvollste verwendet worden. All die Zeitschätze, die er dem Imperium der Vernunft vorenthalten und freudig verschwendet hatte. Keine Minute mochte er missen, die er auf dem Bett liegend oder aus dem Fenster starrend in den Augen anderer vergeudete. All die Traumfetzen der zahllosen Nickerchen, all die zufriedenen Grunzer der Behaglichkeit nach einem guten Essen, all das gedankenverlorene Dösen vor dem Fernseher, all die gemütlichen Zeiten der Müdigkeit und der Melancholie. Der süße Zauber vollkommener Untätigkeit ...“ zitierte er Rondo Delaforce, den großen Denker des Müßiggangs, aus dessen Frühwerk „Die singende Fleischwurst“.
Mardo kannte das alles, schließlich hatten sie gemeinsam bei einigen Krügen „Gambrinus“ in den „Prager Hopfenstuben“ auf der Karl-Marx-Allee den Grundstein für das philosophische Werk von Marek Smrz gelegt. Die Mischung aus Gelassenheit und Gerissenheit, aus portugiesischem Lebensgenuss und tschechischer Lebensklugheit – dieser Delaforce musste mit Mardo verwandt sein. Vielleicht lebte er sogar in dieser Stadt? Ruhe war sein Schlüssel zum Glück. Mardo glaubte nicht daran, dass die Menschen, die nach Managementratgebern lebten, wirklich ein glückliches und sorgenfreies Leben führten. Es war wie in dem Märchen vom Hasen und vom Igel. Mardo hatte wie Smrz früh beschlossen, sich der Fraktion der Igel anzuschließen. Der echte Berliner hat Zeit und lässt sich nicht von der Hektik der Kleinstadt anstecken.
(Aus den ersten Vorarbeiten zum zweiten Mardo-Krimi)

Donnerstag, 17. November 2011

Staatlich geförderter Naziterror

Es ist schon sehr aufschlussreich, aus welchen Rattenlöchern die Faschos in der Abenddämmerung des Kapitalismus gekrochen kommen. Jetzt kommt die ganze widerliche Jauche innerhalb und außerhalb des Staatsapparats zum Vorschein. Zum Glück machen die Konservativen einen Krisengipfel ...

Nicht-Christen und Nicht-Deutsche sind offenbar Freiwild für die staatlich geförderten Terrorbanden, für die Gestapo-Ratten des "Verfassungsschutzes". Muslime sind eben potenzielle Täter, keine Opfer. Wo die demokratische Verfassung selbst von ihren Hütern mit Füßen getreten wird, kann es nur eine Konsequenz geben: Widerstand.