Montag, 21. März 2011

Des Pudels Kern

Früher bedeutete Arbeit Aufstieg, jetzt ist sie ein Kampf gegen den Abstieg geworden. Seit zwanzig Jahren bewegen wir uns beim Einkommen auf der Stelle. Während in anderen Ländern Wirtschaftswachstum auch zu Wohlstandswachstum führt, begnügen wir uns mit den knochentrockenen Zahlen aus dem Wirtschaftsministerium, die uns jährliches Wachstum vorgaukeln. Vielleicht haben viele deshalb den Spaß an der Arbeit verloren, vielleicht ist das einer der Gründe für die Verbitterung vieler Deutscher? In den ersten vierzig Jahren verbanden sich in der Bundesrepublik Demokratie, Arbeitsleistung und wachsender Wohlstand miteinander. Wohlverhalten in Politik und Wirtschaft wurde also belohnt. Dieser Zusammenhang von Verhalten und Belohnung ist seit zwanzig Jahren zerbrochen. Inzwischen hat es auch der Dümmste gemerkt, dass es nicht mehr Netto vom Brutto gibt. Es geht allenfalls seitwärts, bei kollektiven und individuellen Fehltritten auch sehr schnell abwärts (Insolvenz, Hartz IV). Ist das des Wutbürgers Kern? Und was macht der Wutbürger, wenn dereinst jemand kommt und ihm die lang ersehnte Belohnung verspricht?


Samstag, 19. März 2011

Der Mauerpark als Stummfilm


Manchmal schalte ich beim Fernsehen den Ton aus, denn oft wirkt die Sendung ohne Stimmen, Geräusche und Hintergrundmusik ganz anders. Eine sehr aufschlussreiche Erfahrung, weil unsere Aufmerksamkeit auf Mimik, Gestik oder den Abendhimmel über einer fernen Stadt gelenkt wird. Auch wenn man sich mit Berliner Lokalpolitik befasst, hilft es durchaus, wenn man gelegentlich mal den Ton abstellt und sich darauf konzentriert, was tatsächlich passiert. Schnell wird man feststellen, dass in Berlin sehr viel und vor allem sehr aufgeregt geredet wird. Es geht um das Grundsätzliche, das Große, das Epochale, kurz: es geht um alles - auch wenn es nur um die Schließung eines Postamts geht.


Der Mauerpark ist das beste Beispiel. Gerade haben sich die Stadtindianer, das linksalternativ angehauchte Prärievolk aus dem Prenzlauer Berg, mit der US-Kavallerie unter dem Befehl von General Gothe eine wortreiche und langwierige Redeschlacht in Sachen Bebauung oder nicht geliefert. Nun sind alle Beteiligten erschöpft. Die Vivico hat sich enttäuscht und schmollend in ihr Fort zurückgezogen und beklagt die entstandenen schmerzlichen Verluste (400.000 Ocken, die dem Konzern beim nächsten Jahresgewinn fehlen werden - die Bebauungskritiker sollten sich schämen!). Ein müder und kraftloser Baustadtrat verschiebt die Entscheidung auf das nächste Jahr. Die Bürgerinitiativen, geteilt in verschiedene Stämme mit unterschiedlichen Sitten und Gebräuchen, wirken nach der Auseinandersetzung geradezu konsenssüchtig und wollen sich alle wieder lieb haben. Nach dem Schlachtgetümmel ist überall Ernüchterung eingetreten. Sieger und Verlierer sind nicht auszumachen, nachdem sich der Pulverdampf gelegt hat.


Lassen wir doch den Mauerpark mal als Stummfilm an uns vorüber ziehen. Letztes Jahr um diese Zeit sah er genauso aus wie jetzt. Vorletztes Jahr sah er aus wie letztes Jahr und nächstes Jahr um diese Zeit wird er wieder so aussehen: Flohmarkt und Karaoke, Basketball und Sonnenbad, Mauersegler und Radfahrer. Es ändert sich viel weniger als man denkt. So ist Berlin. Und die Beispiele für diese von lärmender Rhetorik begleitete Lahmarschigkeit sind zahlreich: Bahnhofsviertel in Mitte nicht fertig, Flughafen auch zwanzig Jahre nach der Einheit noch auf Provinzniveau, der Schlossplatz auf der Museumsinsel eine Wiese. Und das ist nur der Bereich Stadtentwicklung. Aber mit seiner großen Schnauze ist der typische Berliner, geblendet vom Glanz seiner angeblichen Wichtigkeit, mindestens auf Weltniveau.


Freitag, 18. März 2011

Berliner Originale

In der Schlange beim Bäcker steht eine Frau hinter mir und klagt mir alsbald ihr Leid. Sie ist Rentnerin und braucht ein künstliches Hüftgelenk. Zuvor müsse sie aber abnehmen, was ihr schwer falle. Der kurze Dialog mündet in ihrem Statement: „Vor 25 Jahren wollte ich vom Balkon springen, jetzt komme ich nicht mehr über die Brüstung.“

Chance verpasst

Guido Westerwelle bezeichnet sich selbst gerne als „Freiheitsstatue dieser Republik“. In der UN-Abstimmung zu Libyen hätte er in dieser Nacht die Chance gehabt, etwas für die Freiheit zu tun. Gerade in dem Land, in dem Hitlers Armee in blutigen Schlachten gegen die Demokratie gekämpft hat, könnten Deutsche nun die Revolutionäre beim Kampf um Freiheit und Menschenrechte unterstützen. Sie tun es nicht. Stattdessen hat sich Deutschland in der Abstimmung feige enthalten, gemeinsam mit Russen und Chinesen. Ein weiteres Armutszeugnis dieser Regierung, das niemand überrascht haben dürfte.

Donnerstag, 17. März 2011

Mut statt Merkelopportunismus

Der erste Schritt ist immer der schwerste. Noch schwerer ist es, den ersten Schritt in einer Gruppe zu machen. Deutschland steht jetzt nicht nur vor der Aufgabe, das atomare Abenteuer zu beenden, sondern als große Industrienation die Möglichkeit eines Lebens nach der Plutoniumsucht zu wagen. Ein mutiger Schritt nach vorne ist gefragt. Und manchmal ist es eben so, dass man sich nicht lange umblicken darf. Natürlich kommen jetzt die Argumente der rückgratlosen Schleimer und Bedenkenträger, der Guttenberg-Facebook-Fangemeinde und der bezahlten Kläffer der Atomindustrie: Die Glühbirnen gehen aus und wir sitzen bei Kerzenschein in der kalten Küche, weil langhaarige Bombenleger uns alle in die kommunistische Steinzeit zurück agitieren und demonstrieren wollen, das alles wird total teuer und wir sind auf diesem Weg ganz alleine. (die Rechten appellieren immer zuerst an die Brieftasche und den drohenden Verlust bürgerlicher Alltagsroutinen, dann an das Herz - schließlich sterben in diesem Augenblick nur irgendwelche Schlitzaugen, Arier erfreuen sich der angeblich sichersten AKW der Welt, drunter haben wir es ja noch nie gemacht)


Erstens mal sind wir nicht alleine, wenn wir den Mut aufbringen, eine technologische Fehlentwicklung zu beenden (so wie in der Vergangenheit politische Fehlentwicklungen wie Sklaverei oder Monarchie beendet wurden). Etliche Nationen sind bereits ausgestiegen. Und zweitens werden uns in Zukunft viele Länder auf diesem Weg folgen - im übrigen, das sei nur zur Beruhigung der hasenherzigen Brieftaschenfraktion gesagt, wird uns genau dieser Schritt als Weltmarktführer im Bereich nachhaltiger Energien ökonomisch voranbringen. Nach Fukushima wird man uns die von den Rechten so oft belächelten und verhöhnten Windräder und Solarzellen aus den Händen reißen.


Die aufgehende Sonne

Wir kennen das Phänomen aus unserem Alltag: Die Leute wissen seit Jahren, das eine bestimmte Straße, eine Kurve sehr gefährlich ist. Sie fordern einen Zebrastreifen oder ein Tempolimit an dieser Stelle, aber nichts passiert. Dann stirbt ein Kind bei einem Unfall an genau dieser Stelle - und plötzlich reagieren die Behörden, der Zebrastreifen wird endlich auf den Asphalt gemalt. Als seien wir immer noch Heiden, müssen wir Opfer bringen. Das Unglück muss offensichtlich erst Wirklichkeit werden, bevor wir unserem Verstand trauen. Das gleiche Phänomen lässt sich jetzt in der Atomkraftdebatte beobachten, nachdem in Japan ein AKW explodiert ist. Immer muss etwas Schreckliches passieren, damit unser Denken die Richtung wechseln kann. Jetzt ist es hoffentlich soweit, die energiepolitische Wende zu schaffen. Weg von der Atomenergie, die - angefangen mit der ersten öffentlichen „Präsentation“ in Hiroshima über Tschernobyl bis zum Endpunkt Fukushima - eine Sackgasse gewesen ist, hin zu den Energiequellen unserer Vorfahren: Wind, Wasser, Sonne. Kombiniert mit modernster Technologie haben wir nicht nur eine gefahrlose Energiequelle (die sich viele Menschen sogar in Form von Solarzellen auf die eigenen Dächer schrauben, während doch selbst die Atomkraftfans nicht in der Nähe der Kraftwerke wohnen wollen), sondern werden im Laufe der Zeit auch unabhängig von russischem Gas und arabischem Öl. Japan wird das Land der aufgehenden Sonne genannt, die rote Morgensonne ist das nationale Symbol. Diese Sonne ist auch das Zeichen einer Wende hin zu den natürlichen Energiequellen. Der Wind gehört niemandem, die Sonne scheint, ohne das wir eine Münze einwerfen müssen. Vielleicht geht uns jetzt ein Licht auf?

Sonntag, 6. März 2011

Zwischen Raufasertapete und Schmirgelpapier

Wenn es um den wichtigsten Unterschied im historischen Kampf zwischen Kommunismus und Kapitalismus, zwischen Ost und West geht, wird vieles ins Feld geführt: Irgendwelche Wirtschafts- und Sozialordnungen, die von unterschiedlichen Bürokratien ausbaldowert wurden, der Stand der Computerspieltechnik, die Zahl siegreicher schnurrbärtiger Speerwerferinnen oder irgendwelche Scheißargumente, die sowieso keiner hören will. Warum der Osten wirklich verloren hat, wurde mir bei meiner ersten Reise hinter den sogenannten „Eisernen Vorhang“ Anfang der Achtziger deutlich. Wir hatten am Grenzübergang Friedrichstraße 25 DM in Ostgeld tauschen müssen und mit dem Spielgeld ging es dann in Kneipen und Restaurants, um es wieder auszugeben. Und irgendwann hast du einfach zu viel gefressen und gesoffen, dann gehst du auf das erste kommunistische Scheißhaus deines Lebens. Was soll ich sagen? Das Klopapier war einfach nicht zum Aushalten, das ging echt gar nicht. Wenn du die Wahl hast zwischen dreilagigen Analzärtlichkeiten im güldenen Westen und dieser Zonenmischung aus Raufasertapete und Schmirgelpapier, dann fällt dir die Entscheidung zwischen zwei Systemen nicht schwer. Und als die Mauer 1989 fiel, war es nur eine Frage der Zeit, bis alle es begriffen hatten. Der Rest ist Geschichte.