Sonntag, 22. Juni 2014

Filmriss

Es gibt wenige Dinge, vor denen der seriöse Freund geistiger Getränke wirklich Angst hat. Hausverbot in der Stammkneipe und leere Brieftaschen zähle ich zu den geringen Ängsten. Leberzirrhose und Unfalltod bieten schon eher einen Anlass zu gelegentlicher Sorge. Aber das Furchterregendste und Unberechenbarste ist der Filmriss. Du erwachst – möglicherweise in einer völlig unbekannten Umgebung – und es fehlt dir ein gewisses Quantum Lebenszeit, an das du dich, trotz vielfältiger Bemühungen, nicht mehr erinnern kannst.
Von Andy Bonetti wissen wir beispielsweise aus seiner Autobiographie „Viva Bad Nauheim“, dass er eines Morgens aufgewacht ist und beim Blick aus dem Fenster seinen postgelben Alfa Romeo Alfasud nicht mehr vorfand. Er musste mit seinem Kumpel die ganzen „üblichen Verdächtigen“ unter den Aufenthaltsorten Bad Nauheims („King’s Head“, „Hole in the Wall“ und das berüchtigte „World’s End“) abklappern, um seinen Wagen wiederzufinden. An einem anderen Morgen öffnete er die Augen und sah im Sessel, auf dem normalerweise seine Klamotten lagen, wenn er es noch geschafft hatte, sie in der Nacht auszuziehen, einen Mann in Unterhosen sitzen, der geräuschvoll schnarchte. Es stellte sich heraus, dass es Jimmy aus Frankfurt war. Sein schlimmstes Erwachen war jedoch auf der Intensivstation des örtlichen Krankenhauses. Freunde berichteten ihm später, dass ihm die Sanitäter einige Fragen gestellt hätten, bevor sie ihn auf einer Trage in den Rettungswagen schoben. Andy hätte aber weder sein Geburtsdatum noch seinen Nachnamen gewusst. Definitiv ein heftiger Filmriss.
Noch schlimmer erging es seinem Freund Johnny Malta, der in den Bad Nauheimer Gaststätten auch unter dem Künstlernamen Wambo der Prächtige bekannt war. Er stand eines Nachmittags, nur mit einer Jeans bekleidet und ohne Brieftasche oder Orientierung, auf einem Waldweg und wusste wirklich nicht mehr, wie er dorthin gekommen war und was zuvor passiert ist. Ein anderes Mal erwachte er – und diese Anekdote ist tatsächlich verbürgt – beim Flug aus einem Hochbett kurz vor dem Aufschlag. Wie allen Betrunkenen ist ihm nichts Ernsthaftes passiert. Aber er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wie er auf dieses Hochbett gekommen war. Ein wirklich tragischer Fall ereignete sich, als Johnny eines Morgens völlig kaputt und fertig in seiner Wohnung aufwachte. Als er ins Wohnzimmer kam, lag da ein junger Mann auf seinem Sofa. Er war tot. Es war ein Bursche, der in einem Imbiss gearbeitet hatte, den Andy, Johnny, Jimmy und die anderen immer ganz am Ende ihrer Tour für einen Snack aufsuchten (die Hamburger dort sind legendär), bevor sie nach Hause „gingen“. Sein erster Schuss Heroin, falsche Dosierung, Exitus. Die Polizei hat Johnny viele unangenehme Fragen gestellt. Und es stimmt nicht, obwohl das in Bad Nauheim gerne erzählt wird, dass Johnny an jenem Morgen noch seine Kumpels angerufen und um Hilfe beim Verschwindenlassen der Leiche gebeten hätte.
P.S.: Elvis Presley lebte von 1958 bis 1960 als Wehrdienstleistender in Bad Nauheim. Daher hören wir heute eine Hommage an den King: Spinballs – Viva Las Vegas. http://www.youtube.com/watch?v=IQIkbJ_x0hs
P.P.S.: Den Freunden heiteren Filmschaffens sei der britische Streifen „The World’s End“ empfohlen, der in zwölf Pubs spielt, in denen fünf Freunde jeweils ein Pint trinken wollen. Zitat: „Es ist ein menschliches Grundrecht, ein Versager zu sein.“

1 Kommentar:

  1. Schwerer Trinker23. Juni 2014 um 09:49

    Gut ist auch, wenn die Karre vor der Haustüre steht.
    Und man weiß nicht, wie die da hin kam. Möglichst noch mit leerem Tank !

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