Freitag, 28. März 2014

Wie Naumann eines Abends Veganer wurde

Es war bereits spät, als Naumann nach Hause kam. Er parkte seinen Wagen in der Garage und ging auf den Steinplatten, die durch den Vorgarten führten, zur Tür seines Hauses. Als er die Tür aufschloss, bemerkte er, dass Licht aus seinem Wohnzimmer drang.
'Merkwürdig', dachte er. 'Habe ich gestern Abend das Licht brennen lassen?'
Er zog die Schuhe und den Mantel aus, stellte die Aktentasche neben die Garderobe und ging durch den Flur ins Wohnzimmer. Auf dem Sofa saß ein weißes Huhn. Es besaß die Größe eines Menschen, trug einen roten Kamm auf dem Kopf und hatte lässig ein Bein über das andere geschlagen. Naumann klappte der Unterkiefer herunter und er blieb im Türrahmen stehen.
„Guten Abend, Herr Naumann.“
„Wer sind Sie?“ fragte Naumann fassungslos. „Und was machen Sie in meinem Haus?“
„Man nennt mich Huhn. Ich hoffe, mein unerwarteter Besuch ist Ihnen nicht unangenehm. Möchten Sie auch etwas trinken?“ Das Huhn deutete mit seinem linken Flügel einladend auf ein Whiskyglas, das mit Eiswürfeln gefüllt auf dem Wohnzimmertisch stand.
Naumann antwortete nicht. „Sind Sie ein Einbrecher? Warum haben Sie sich als Huhn verkleidet?“
„Ich bin weder ein Einbrecher noch bin ich verkleidet. Aber setzen Sie sich doch bitte.“
Naumann kam zögernd näher. Er setzte sich auf die gepolsterte Lehne des Sessels, der dem Sofa gegenüber stand. Schweigend musterte er das Huhn von oben bis unten.
„Na, nicht doch einen Drink, Herr Naumann?“
Naumann schüttelte schwach den Kopf. „Danke, jetzt nicht.“ Er konnte den Blick nicht von dem riesigen Huhn in seinem Wohnzimmer lassen.
„Sie fragen sich bestimmt, was ich hier bei Ihnen mache, oder?“
„Ja.“ Naumann schwieg einen Augenblick. „Hat Sie meine Ex-Frau engagiert? Sie will mich fertig machen. Wegen dem Haus.“
„Ich versichere Ihnen, es hat nichts mit Ihrer Ex-Frau oder Ihrem Haus zu tun.“ Das Huhn nahm das Glas und trank einen kleinen Schluck Whisky.
„Um was geht es dann?“
„Es ist Ihr Verhalten, Herr Naumann. Ich möchte mit Ihnen über Ihr Verhalten reden. Ihr Verhalten Hühnern gegenüber.“
„Wieso? Was habe ich denn falsch gemacht?“
Das Huhn lachte und dabei wackelte sein roter Kamm hin und her. „Sie essen regelmäßig Hühnerfleisch. Und sie essen Eier. Wussten Sie, dass aus den Eiern Küken schlüpfen?“
Herr Naumann schwieg und kratzte sich unschlüssig am Kopf.
„Ich kann mir das Leben auch angenehmer vorstellen. Den ganzen Tag in einem engen Käfig sitzen ist alles andere als angenehm. Es gibt wesentlich schönere Dinge im Leben. Ich höre zum Beispiel gerne Jazz und interessiere mich für moderne Malerei.“
„Ach, wirklich?“ fragte Naumann. Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirnglatze.
„Wir sind alle recht interessiert an Kultur. Ich wette, das haben Sie nicht gewusst.“
„Wen meinen Sie mit ‚wir‘?“
Das Huhn nickte mit dem Kopf in Richtung der Wohnzimmertür. „Drehen Sie sich doch einfach mal um!“
Naumann drehte den Kopf. Im Türrahmen gelehnt stand eine Kuh auf ihren Hinterhufen. Die Vorderhufe hatte sie über dem Euter gekreuzt.
„Wir möchten Sie bitten, in Zukunft Ihr Verhalten zu ändern, Herr Naumann. Kein Fleisch, keine Eier, keine Milch. Haben Sie mich verstanden?“
„Ja“, flüsterte Naumann heiser und nickte.
„Wir müssen sonst noch einmal bei Ihnen vorbeikommen. Und das wäre uns doch allen unangenehm, oder?“ Das Huhn trank seinen Whisky aus und erhob sich vom Sofa.
(musikalische Begleitung des Textes: Erroll Garner – The Original Misty)

Donnerstag, 27. März 2014

Vor 25 Jahren: Ein Brief nach Berlin vom 13.11.1989

Lieber Norbert!
Deine verträumt-ahnungslosen Zeilen vom Anfang letzter Woche wirken in diesen Tagen seltsam exotisch. Inzwischen weht wohl der „Mantelsaum der Geschichte“ über die Windscheidstraße 30. Alles schaut nach Berlin und Du musst wohl oder übel die Rolle des Dokumentators für die zurückgebliebene rheinhessische Intelligenzia übernehmen – oder ich komme, wie ich es am Freitag bereits im Taumel der Ereignisse und einiger geistesstärkender Substanzen kurzzeitig vorhatte, demnächst höchstpersönlich nach Berlin, um mir das Ganze aus der Nähe anzusehen!
Vor mir liegen die BILD-Zeitung (schwarz-rot-golden prangt ein überdimensionales „Guten Morgen, Deutschland“ auf der Titelseite) und DER SPIEGEL (das Titelbild mit der Schlagzeile „Das Volk siegt“ und der besetzten Mauer nebst einem spitzhackeschwingenden Volkshelden wird todsicher in ein paar Jahren in unseren Schulbüchern auftauchen), im Fernsehen Sondersendungen, in denen sich die verrücktesten Meldungen überschlagen. Ich hoffe, Du hast Dich in diesen Tagen nicht hinter Deine Bücher und in Museen verkrochen. Hast Du die Kundgebung (ebenfalls „historisch“) vor dem Schöneberger Rathaus gesehen? Wie unglaublich der deutsche Bundeskanzler, diese der Bedeutung des Augenblicks so völlig unangemessene Kreatur, diese Ausgeburt spießbürgerlicher Kleingeistigkeit, von der Menge ausgepfiffen wurde, in einem Moment, in dem die ganze Welt nach Berlin schaut – und dann stimmen diese „Volksvertreter“ ganz allein und traurig-komisch – nein, eigentlich: grotesk bis zum Irrsinn – die deutsche Nationalhymne an, es ist nicht zu fassen.
Sehr sympathisch, trotz oder gerade wegen seiner unverkennbaren Senilität: Willy Brandt. Bei jener „dramatischen“ Bundestagssitzung wird er weinend aus dem Plenarsaal geführt, bei der Kundgebung in Berlin ist er der eigentliche Triumphator, denn sein Lebenswerk, das zähe Basteln an der Ost-West-Verständigung, findet spät eine rührende Vollendung. Gerade ihm vertrauen viele, weil er nicht – wie einige Bonner Parteipolitiker – versucht, aus der unübersichtlichen Lage Kapital zu schlagen. Schön auch, dass Walter Momper, für mich bisher Anlass zum Schmunzeln, den Begriff „Revolution“ verwendet hat und das überhaupt ein rot-grüner Senat dieses Massenspektakel zu bewältigen hat – und nicht ein schwarz-brauner.
Es ist tatsächlich (wenn nicht noch „chinesische Verhältnisse“ die Lage im letzten Moment kollabieren lassen) die erste erfolgreiche Revolution auf deutschem Boden, das erste Mal, dass sich deutsche Menschen ihre Freiheit erkämpfen – so schlecht können vierzig Jahre Sozialismus (muss ich zynisch hinzufügen) ja nicht gewesen sein. Vor allem ist diese „Volksbewegung“ so bemerkenswert, weil sie friedlich, fast heiter und ganz pragmatisch, ohne vorgefertigte Konzepte und Ideologien an den Umsturz des Regimes geht. Auch vor dem Schöneberger Rathaus hat die Ankündigung konkreter Veränderungen wie die Öffnung neuer Grenzübergänge mehr Jubel ausgelöst als alle politischen Phrasen (einschließlich der von Willy Brandt). Angesichts der gigantischen Massendemonstrationen musste ich auch meine Meinung über die DDR-Bevölkerung ändern: Es sind keine duckmäuserischen Spießer, nicht die „typischen Deutschen“ mit ihren Aftertugenden wie Fleiß, Disziplin und Gehorsam, sicher haben viele erst in der Masse zu ihrem Mut und zu ihrem Mund gefunden, aber dennoch muss man den Hut vor denen ziehen, die in der DDR bleiben und an die Türen der Staatsmacht klopfen.
Dass man trotz aller „deutschen Raserei“ einen klaren Kopf bewahren muss, zeigt mir eine Nachrichtensendung eines französischen Kabelsenders vom Wochenende: Die Bilderfolge geht vom Ansturm der „Ossis“ auf den Westsektor Berlins nahtlos zum, wie ich finde, peinlichen Absingen der deutschen Nationalhymne im Bundestag über (die, wie ich im SPIEGEL lese, spontan und auf Initiative einiger CDU/CSU-Abgeordneter geschah; die Grünen sind dabei im Saal geblieben, haben zwar nicht gesungen, standen aber auch), Hauptthema: die deutsche Wiedervereinigung. Niemand darf vergessen, dass die Nachbarländer vor allem Beängstigendes mit dieser Frage verbinden, Franzosen und Polen obenan. Die Angst ist verständlich, wie schwer uns der Umgang mit dem Begriff „Nation“ fällt, sehen wir an diesem Wochenende, und ein „Großdeutschland“ (vielleicht sogar in den Grenzen von Anno Tobak?) bildet nicht nur eine ökonomische Gefahr für das labile Gleichgewichtssystem der europäischen Staaten.
Meine Meinung zu allen deutschlandpolitischen Fragen, die ich mir in den letzten Tagen mühsam zusammengebastelt habe, ist auf einige kurze Ansatzpunkte beschränkt, über die ich gerne mit Dir diskutieren würde:
1. Politische Nicht-Einmischung in den Prozess der Entwicklung. Die Reformbewegung würde diskreditiert und beleidigt (weil als unmündig hingestellt), der SED böte sich eine Handhabung des Konflikts als „von außen beeinflusst.“
2. Anerkennung der vollen Souveränität der DDR, wenn die Reformbewegung, ähnlich wie in Polen, demokratisch an der Macht beteiligt wird. Gerade in den nun aufbrechenden Möglichkeiten zu einer echten Alternative gegenüber der Bundesrepublik liegt ja die Zauberkraft des Prozesses. Wieso soll das Ende der stalinistischen DDR das Ende der DDR sein? Warum das ganze Wiedervereinigungsgeschwafel? Wiedervereinigen wollen sich doch nur die reichen Westdeutschen. Warum, kann man provokativ fragen, „freie Wahlen“? Vielleicht möchten die Bürger ja eine Räterepublik? Mit einer Marktwirtschaft nach schwedischem Vorbild? Warum lässt man diese ersten wirklich freien Deutschen nicht selbst entscheiden, welchen Weg sie einschlagen möchten? Die Palette der politischen Möglichkeiten ist nahezu unbegrenzt.
3. Die „ehemaligen deutschen Ostgebiete“ existieren nur noch in den Köpfen der Bonner Berufsvertriebenen. Es gibt nur noch „neue polnische Westgebiete“. Daran sollte niemand rütteln, die schleimige Phrase von der formaljuristischen Zugehörigkeit zu „Deutschland als Ganzem“ im Sinne des Vier-Mächte-Abkommens ist nicht nur verlogen, sondern auch in höchstem Maße schädlich. Mit ihr verliert auch der Reformprozess in der DDR ausländischen Kredit.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass mir die Reformbewegung im Osten – trotz des Verlustes einer politischen Alternative zu unserem „Wolfsgesetz“ – sehr gut gefällt: Alles ist friedlich, die Revolution schwappt nicht über auf unseren verlogenen und selbstgerechten Materialismus, alles ist fernsehgerecht verpackt, wenn ich nach Hause komme, es ist eine grandiose Oper, der ein Happy End gewiss sein kann. In fünf Jahren (spätestens!) macht Hollywood seinen ersten Film über die „historischen“ Ereignisse dieser seltsam unhistorischen Novemberrevolution.
Doch nun zu anderen Ereignissen von, wenn schon nicht weltpolitischer, dann doch zumindest sporthistorischer Bedeutung: eine verlorene und skandalös beendete Formel 1-Weltmeisterschaft, die fast schon standrechtliche Verurteilung von Senna (ein halbes Jahr Lizenzentzug auf Bewährung und hunderttausend Mücken Strafe) – oha! Ich muss gestehen, dass ich sehr, sehr wütend war. Aber jetzt blicke ich voll grimmiger Entschlossenheit auf die nächste Saison: Senna wird Prost zerstören, Ferrari wird mit fliegenden roten Fahnen – ähnlich der SED bei den nächsten Wahlen – untergehen. Auf die Borussia möchte ich – aus bekannten Gründen - nicht näher eingehen. Aber auch auf dem Sektor „Fußball“ werde ich mich nächstes Jahr – eine Weltmeisterschaft steht ins Haus! – hoffentlich regenerieren.
Ansonsten alles Gute, viel Spaß in Berlin
Dein Matthias

Montag, 24. März 2014

Was vom Tage übrig blieb - Besuch in Heidesheim 2008

Es war einer dieser Tage, an denen man, noch betrunken vom Vortag, in bester Sauflaune aufwacht. Ich war zu Gast beim Komplizen R., einem Elite-Kampftrinker, der das Häuschen seiner verstorbenen Großeltern bewohnte, so dass mir ein ganzes – bis auf das Bett und einen Stuhl allerdings leerstehendes – Stockwerk zur Verfügung stand. Listig zog ich, da mir nichts besseres einfiel, um den Tag zu beginnen, mein Mobiltelefon aus der am Boden liegenden Jacke und wählte seine Nummer. Im Zimmer über mir hörte ich es rumoren, ein raues gekrächztes „Ja?“ war zu vernehmen. Ich schilderte ihm die Lage und alsbald kam er die Treppe hinab, noch in einen blauen Bademantel gehüllt, und hatte zwei Kilkenny-Fläschchen in seinen Händen. Und so trank ich das erste Bier des Tages, noch bevor ich überhaupt das Bett verlassen hatte. Dann begaben wir uns in den von ihm bewohnten ersten Stock, wo wir uns über ein kräftiges Frühstück mit Wurst, Käse und Eiern hermachten, nicht ohne dabei je zwei tschechische Biere zu unserer Stärkung heranzuziehen. Mit dem Verweis auf die Küchenuhr, die bereits elf Uhr anzeigte, beschied mir R., es sei nun aber wirklich Zeit für den ersten Schnaps. Alsbald wurde auch die Stereoanlage in Betrieb genommen und so zechten wir fröhlich in den Mittag hinein.
„Warum trinkst du schon am frühen Morgen?“ werdet ihr mich jetzt fragen. Meine Antwort ist ganz einfach: Der weiße Mann und seine Zivilisation haben mir meine Seele geraubt. Diese überaus kluge Entgegnung habe ich einer Fernsehreportage über die kanadischen Indianer entnommen. Ist es nicht eine großartige Ausrede? Wahrscheinlich hat zuletzt der Großvater dieses Indianers ein Zebra mit der Hand gefangen, aber er hat einen Schuldigen gefunden, einen guten Grund, schon am frühen Morgen mit einer Flasche Feuerwasser im Rinnstein seines Dorfes zu liegen.
So einigermaßen in aufgeräumte Stimmung gebracht, beschlossen wir, einen Ausflug an den nicht weit entfernten Rhein zu unternehmen. Es war gegen zwei Uhr nachmittags, ich weiß es deshalb so genau, weil ich mir vorgenommen hatte, mir an diesem Tag – im Gegensatz zum geheimnisvoll vertrunkenen Vortag - den zeitlichen Verlauf der Ereignisse einzuprägen, um später davon berichten zu können. An den eigentlichen Weg erinnere ich mich nur noch sehr ungenau, wohl weiß ich aber, dass ich einmal der Länge nach in einem Acker hinschlug und eine Weile liegen blieb, weil ich vor Lachen nicht mehr konnte. Mühsam kroch ich auf allen Vieren auf den asphaltierten Weg zurück, um endlich doch taumelnd ein kleines Bänkchen am Rheinufer zu erreichen. Hier zauberte mein Trinkgenosse vier weitere Biere aus einem Einkaufsbeutel hervor, den er die ganze Zeit mit sich geführt hatte. Ich wunderte mich, dass der Fluss hier in die falsche Richtung floss, wurde aber dahingehend beruhigt, es sei strömungsbedingt an diesem Flecken eine ganz normale Erscheinung, der Rhein fließe also keinesfalls nach Basel zurück.
„Musst du denn immer weiter trinken?“ werdet ihr jetzt fragen. Ihr werdet das Wesen des Trinkens nie verstehen. Nüchtern bist du taub, blind und leer. Mühsam, Schluck für Schluck, kämpfst du dich in das Lachen und Staunen, in das Leben selbst zurück. Der Rückweg war eigentlich eine Trainingseinheit. Wenn die "800 Meter freihändig Torkeln der Männer" endlich olympisch werden, bin ich ganz vorne mit dabei. Notfalls mache ich auch beim Synchron-Abhängen in meiner Paradedisziplin "Extrem-Couching" mit. Zurück im Knusperhäuschen stellten wir fest, daß wir von der Wanderung, besser: vom vielen Herumtorkeln, Hunger bekommen hatten. Mein Komplize rief gegen halb fünf den örtlichen Pizzaservice an, der aber erst ab fünf offiziell geöffnet hatte, woraufhin er den Italiener als „schwule Sau“ usw. beschimpfte. Die von einem sichtlich verängstigten Boten ausgelieferten Pizzas wurde ordnungsgemäß bezahlt, R. rollte seine Quattro Stagioni wie eine Zigarre oder einen Teppich zusammen und verschlang sie binnen kürzester Frist.
Gegen sieben Uhr abends lag ich wieder in meinem Bett, als der Komplize R. – inzwischen wieder in seinen unvermeidlichen Bademantel gehüllt – noch einmal hinunter kam, um mir ein letztes Bier zu reichen. Ich sah wie in einer Vision durch ihn hindurch und dort saß nun tatsächlich Wenedikt Jerofejew, der große russische Poet des Saufens, auf einer Bank und ermunterte mich: „Trink nur, trink die Flasche aus! Ich bin bei dir alle Tage.“ So trank ich und ich lächelte, während ich trank, und niemand wusste, dass ich in diesem Augenblick dem großen Dichterfürsten zulächelte. Er zwinkerte zurück und trank selbst einen Schluck. Und so war auch dieser Tag glücklich vollendet. Was wollte ich jetzt eigentlich erzählen? Na, egal. Hauptsache, wir haben darüber gesprochen.

Besuch in Berlin – erster Tag

Nach neunmonatiger Abwesenheit habe ich mal wieder meine alte Heimatstadt Berlin besucht. Der Schalterbeamte, der mir die Zugfahrkarte verkauft, ist mein alter Kneipenkumpel Duffy (eigentlich heißt er Elmar und wohnt noch in seinem Kinderzimmer), was mir wieder einmal beweist, wie klein die Welt Rheinhessens doch ist. Auf dem Frankfurter Hauptbahnhof, wo ich in den ICE umsteige, habe ich plötzlich das Gefühl, auf eine lange und aufregende Weltreise zu gehen. Das Gefühl verschwindet schlagartig, als sich zwei Unternehmensberater in anthrazitfarbenen Anzügen zu mir ins Abteil setzen.
Während ich schweigend am Fenster sitze und hinaus schaue, unterhalten sich die beiden über ein Meeting, das sie gerade hatten. Trotz ihrer grauen Haare und der unübersehbaren Glatzenbildung sprechen die Männer im Jugendslang – oder was in ihrer Jugend einmal Slang gewesen sein mag: „krass“, „echt geil, ey“ und „voll die Härte“. Sie müssen als nächstes zur Compliance-Abteilung zu VW in Wolfsburg. Während sie sich unterhalten, starrt der eine auf den Monitor seines Notebooks und der andere auf das Display seines Smartphones. Mister Notebook fragt Mister Smartphone nach den zukünftigen Projekten. Dieser antwortet, er habe noch Arbeit für vier Wochen, dann mache er Urlaub, er habe noch fünfzehn Tage vom letzten Jahr übrig. Später erzählt er von einem Kollegen der jeden Morgen um 7:15 Uhr im Zug sitzt und zum Kundenunternehmen fährt. Erst um 20:30 Uhr sei er wieder zu Hause – und das mache er seit drei Jahren. Mister Notebook klimpert derweil mit der Geschwindigkeit eines Jazzpianisten auf seiner Tastatur und kommentiert die Erzählung mit einem gelegentlichen „Okay“. Als wir in Göttingen halten, schlägt Mister Smartphone grinsend vor, einfach nach Berlin weiterzufahren. „Bin sofort dabei“, sagt Mister Notebook.
Gelegentlich schauen sie verstohlen zu mir hinüber. Wahrscheinlich bin ich ihnen unheimlich, denn ich sitze Stunde um Stunde regungslos und schweigend wie ein tibetanischer Mönch am Fenster. Mein Handy klingelt kein einziges Mal, ich lese nicht und mache einfach gar nichts, völlig terminfrei und planlos – was für diese agilen Macher irritierend sein muss. In Wolfsburg steigen sie aus, ohne sich zu verabschieden.
Ich komme am späten Nachmittag am Berliner Hauptbahnhof an und fahre mit der S-Bahn zum Bahnhof Zoo. Hier tauche ich zum ersten Mal wieder in das Leben der Großstadt ein. Es mag überraschen, dass mein erster Eindruck von dieser Stadt sich vermutlich in nichts von den Eindrücken anderer Besucher unterscheidet, trotz zwanzig Jahren Berlinerfahrung: Ich wundere mich über die vielen Leute, die unterschiedlichen Sprachen und den großen Lärm. Zehn Gehminuten weiter, in meinem alten Kiez zwischen Prager Platz und Winterfeldtplatz, ist aber alles schön entspannt. Nichts scheint sich geändert zu haben. Überraschenderweise gibt es immer noch die winzige Medienagentur, der ich von Anfang an keine großen Überlebenschancen eingeräumt habe; überraschenderweise gibt es den orientalischen Teppichladen nicht mehr, der mit schöner Regelmäßigkeit alle drei Monate aus wechselnden und geradezu melodramatischen Gründen einen Räumungsverkauf mit Preisnachlässen bis zu neunzig Prozent veranstaltet hat. Vor meinem Haus treffe ich eine Nachbarin, die mich fragt, wohin ich denn verschwunden wäre. Im Haus hatte sich das Gerücht entwickelt, ich sei auf Weltreise gegangen. Wie rührend, neun Monate … Immerhin dachten sie nicht, das ich im Knast gesessen hätte.
Später der sorgenvolle Krankenschwesternblick der blutjungen Kellnerin, als sie mir das dritte Bier bringt. Ich habe nichts zu essen bestellt und lese gemütlich den ollen „Tagesspiegel“. Beim Lesen denke ich an die traurige Dogmatikerin aus der taz-Redaktion, die mir früher immer Horrorstorys aus ihrem mies bezahlten Berufsalltag erzählt hat. Wenn jetzt 8,50 Euro Mindestlohn kommen, wird der Laden vermutlich dicht gemacht. Später bringt die Kellnerin mir zu ihrer eigenen Beruhigung gesalzene Erdnüsse. Wenn ich mir solche Sorgen um die Kundschaft machen würde, könnte ich unmöglich hauptberuflich Suchtstoffe ausgeben.

Besuch in Berlin – zweiter Tag

Ich laufe die Brunnenstraße entlang. Am Bahnhof wird gebaut, eine Schulklasse zieht an mir vorüber, womöglich zurück von einer Tour der „Berliner Unterwelten“. Die Hauptachse meines alten Kiezschreiberreviers hat sich kaum verändert: ein paar neue Läden, der Leerstand ist geringer geworden und aus dem Ladenlokal eines Kulturprojekts zur Selbstverwirklichung des akademisch gebildeten Bürgertums ist ein Pizzalieferservice geworden. An der Kreuzung der Brunnenstraße und der Bernauer Straße treffe ich eine alte Freundin aus Schöneberg, mit der ich zu einem Stadtbummel verabredet bin. Wir gehen die Bernauer Straße hinunter, deren Südseite inzwischen fast vollständig bebaut ist. Auf diversen Baustellen sehen wir geschäftiges Treiben – was für Berliner Baustellen keineswegs gewöhnlich ist.
Im Mauerpark hocken junge Menschen in Gruppen zusammen, ein paar Jogger und Radfahrer sind an diesem Donnerstag zur Mittagszeit unterwegs. Ansonsten viel Müll und wenig Schönheit, vor allem auf der abgezäunten Westseite des Parks. Das Birkenwäldchen ist erfreulicherweise inzwischen hoch gewachsen und hat sich zu einem Kleintierparadies entwickelt. Wir spazieren zurück und gehen die Kastanienallee entlang. Oderberger Straße. Ich fühle mich ins Kreuzberg der neunziger Jahre zurückversetzt, die Mütter tragen hier allerdings kein Kopftuch und man hört eher Englisch statt Türkisch. Der Rosenthaler Platz, den wir wenig später erreichen, ist ein vibrierendes Hipster-Paradies, wohltuend dagegen die Stille und Anmut der Sophienstraße. Am Hackeschen Markt ist es vor Menschen kaum auszuhalten. Wir entfliehen ins echte Kreuzberg, um in einem Hinterhof der Bergmannstraße unaussprechliche Köstlichkeiten zu verspeisen, die in einem vietnamesischen Juwel von Restaurant serviert werden.
Als Absacker-Location wählen wir die „Prager Hopfenstuben“ auf der Karl-Marx-Allee. Ich nenne das Lokal schlicht „Home of the Uncoolness“. Es hat sich seit Jahrzehnten nicht verändert, das gut abgehangene Stammpublikum besteht aus gelernten DDR-Bürgern, die hier unbeschwert vor sich hin berlinern. Auch beim hundertsten Besuch fühlt man sich hier als Wessi, als Fremder – was ich ja inzwischen auch wieder bin. Das „kleine Schwarze“ ist an diesem Ort kein Dresscode, sondern ein Produkt aus Hopfen, Malz und Wasser. Nur eine Frau am Nachbartisch fällt gleich dreifach auf: Sie ist jung, allein und liest in einem Buch. In Kneipen liest man doch eigentlich nur Gesichter, oder? Wir blinzeln zufrieden in die Sonne im wolkenlosen Hellblau über den sozialistischen Prachtbauten, da sehe ich zwei leere Bierflaschen neben einer unbesetzten Parkbank funkeln. Sechzehn Cent, denkt mein altes Berliner Ich nüchtern abwägend, aber ich bin ja als Wessi hier, also werde ich mich auf dem Rückweg zur U5 nicht nach ihnen bücken. Als unser zweites Pilsener Urquell an den Tisch gebracht wird, kommen zwei winzige Rentner des Wegs. Sie hat einen Stoffbeutel dabei, er ein kleines Rollwägelchen. Sie nehmen die Flaschen mit und ziehen weiter. Wir wünschen ihnen viel Glück und hoffen, dass sie trotz ihrer Armut ein schöneres Leben führen als der ewig unzufriedene Thilo Sarrazin und seine Gattin.
Sarrazin hat einmal in seiner Zeit als Berliner Senator detailliert vorrechnen lassen, wie man als Hartz IV-Empfänger mit den vorgesehenen vier Euro nochwas am Tag drei Mahlzeiten auf den Tisch bekommt, Getränke inklusive. Und zu trinken gab es auf diesem Speiseplan, der auch in einer Tageszeitung veröffentlicht wurde, Mineralwasser und Kaffee. Eine Tasse selbst aufgebrühter Kaffee schlug damals mit fünf Cent zu Buche. Sechzehn Cent sind drei Tassen Kaffee für das alte Ehepaar. Ich glaube, das kulturelle Existenzminimum für Hartz IV-Empfänger wurde damals auf eineinhalb Kinokarten pro Jahr festgelegt, eine Achtel Kinokarte pro Monat. Ich stelle mir die Expertenrunde vor, die bei Lachshäppchen und San Pellegrino stundenlang und mit unerträglich deutscher Gründlichkeit über das Minimum kultureller Bedürfnisse arbeitsloser Menschen debattiert. Stoff für das politische Kabarett eines Dieter Hildebrandt, Wolfgang Neuss hätte ein ganzes Theaterstück daraus gemacht!
Leider kenne ich einige dieser Experten persönlich, denn in der Abteilung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), in dem ich mal gearbeitet habe, wurden unter der Leitung meines Chefs Professor Günther Schmid viele Ideen für die Hartz-Gesetze entwickelt. Schmid war Berater von Kanzler Schröder (heute Graf Koks von der Gasanstalt), mit dem Radl fuhr er immer quer durch den Tiergarten zu den Besprechungen ins Kanzleramt. Zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass ich zu dieser Zeit mit einem Forschungsprojekt zur Vereinbarkeit von Arbeit und Leben bzw. Beruf und Familie befasst war und mit der ganzen Hartz-Scheiße nie etwas zu tun hatte.

Besuch in Berlin – dritter Tag

Heute esse ich mit einer Kulturredakteurin in einem Berliner Wirtshaus Unter den Linden zu Mittag. Wir sitzen zwei Stunden ganz entspannt bei Bier und Buletten. Sie hat viel Zeit, denn am heutigen Freitag hat sie erst nach Mitternacht Dienstschluss, wenn „aspekte“ (die älteren Leser kennen vielleicht die Sendung, Durchschnittsalter der Zuschauer: 57 Jahre – immerhin drei Jahre unter dem ZDF-Schnitt) gesendet ist. Sie betreut die Musiker, die in der Sendung auftreten. Sie wählt auch die Künstler aus und lädt sie ein. Vor einem Vierteljahrhundert wäre es ein Traumjob gewesen, jetzt ist es einfach nur Arbeit. In unserem Alter kennt man die aktuelle Musikszene nicht mehr und inzwischen sind ein Dutzend Konzertbesuche pro Monat lästige Arbeitstermine, die das Familienleben beeinträchtigen. Da wir uns seit der Schulzeit kennen, überspringen wir das derzeitige Kulturgeschehen in der Hauptstadt und kommen gleich zum wesentlichen: Wie war der Winter in Berlin? Was machen die vier Kreuzberger Gören, der Mann (Medienphilosoph!), der Hund? Wohin geht’s im Sommer?
Anschließend spaziere ich durch das Brandenburger Tor. Wann bin ich zuletzt hier gewesen, wo sich kein Berliner freiwillig blicken lässt? Mit der Schwerfälligkeit des Landmenschen quäle ich mich durch die Menschenmenge (vor allem Schulklassen bilden eine unteilbare Masse) und denke mit Wehmut an meine weltmännische Vergangenheit zurück, als ich mich mit der Geschmeidigkeit eines kalifornischen Surfers durch Tokio oder New York bewegt habe. Der Potsdamer Platz sagt mir immer noch nichts, obwohl ich ihn jahrelang durch ein Bürofenster betrachtet habe. Die Potsdamer Straße ist unverändert, hier ist Berlin ganz bei sich. In der Kurfürstenstraße stehen immer noch dieselben drittklassigen Nutten mit denselben Sprüchen wie zu Mauerzeiten: „Na, Schatzi, kommst du mit?“ Nee, immer noch nicht.
Vom Nollendorfplatz fahre ich mit der U1 bis zum Schlesischen Tor. Mein alter Kiez aus Studentenzeiten. Ich laufe durch die Falckensteinstraße zu meiner ersten Berliner Bleibe: Görlitzer Straße 41, Vorderhaus mit Parkblick. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft spüre ich einen Hauch Sentimentalität, der jedoch bei einem Spaziergang durch den Görlitzer Park schnell verfliegt. Es nieselt und außer einem Hundebesitzer bin ich das einzige Bleichgesicht im Umkreis von fünfhundert Metern. An allen Parkeingängen und vor den Sitzbänken stehen ganze Horden afrikanischer Drogenhändler, von denen ich Fragen zu meiner Erwerbsneigung bezüglich illegaler Rauschmittel gestellt bekomme (Frankfurter Taunusanlage in der Achtzigern nix dagegen!). Soll ich mich angesichts meiner Bekleidung und meines Alters geschmeichelt fühlen? Aber was sagen schon Alter und Aussehen über einen Menschen? Ein Berliner Bekannter, steuerzahlender Anzugträger mit Eigentumswohnung und Cabrio, hat erst im vergangenen Jahr die Reise ins ewige Licht angetreten; Grund war der jahrelange Gebrauch von Kokain, Crystal Meth und Ketamin in bedenklichen Dosen. Was die Jungs hier vertickern, ist nicht der Rede wert.
Auf der Wiener Straße und der Oranienstraße ist wieder alles so wie 1991, als ich hierher gezogen bin. Das kann man positiv sehen: Kreuzberg ist sich selbst treu geblieben. Das kann man aber auch negativ sehen: Kreuzberg fehlt die Kraft zur Veränderung, zur Weiterentwicklung. Den Kotti muss ich wegen einer Demo gegen Bundespräsident Joachim „Looking for Freedom“ Gauck umgehen. Auf dem Kottbusser Damm gehe ich an meinem alten Stammjapaner („Musashi“) vorbei, den es nach dreiundzwanzig Jahren tatsächlich immer noch gibt. Kurz vor dem Hermannplatz pfeife ich mir einen Döner ein, den ersten seit neun Monaten (die rheinland-pfälzischen Produkte gleichen Namens habe ich aufgrund leidvoller Erfahrungen in der Vergangenheit tapfer gemieden). Es folgen die Hasenheide, wo früher mal die Drogenszene war, und der Südstern. Das reicht mir fürs erste. Eine Stunde später sitze ich im Zug nach Hamburg, wo neue Abenteuer auf mich warten.
P.S.: Unerwähnt blieben ein morgendlicher Besuch am Ufer des Hohenzollernkanals, wo der hochgeschätzte Kollege Wolfgang Herrndorf im vergangenen Sommer Selbstmord begangen hat, und ein Abendessen im „Tegernseer Tönnchen“, wo noch die alte West-Berliner Zapfhahn-Ikone „Engelhardt“ zum Schweinebraten gereicht wird und ein älterer Herr für die Trauerfeier nach der Beerdigung seiner Frau „vierzig, na sagen wir fünfzig halbe Brötchen, Kaffee, Bier, aber keine Schnäpse oder Champagner“ vorbestellt und Tische reserviert hat. Bei einem Pils am Tresen sagte er noch: "Der leere Stuhl, das leere Bett – das kann sich keiner vorstellen“.
P.P.S.: Vielleicht liegt es am Frühling oder daran, dass ich mit einem Freund und seiner Tochter gerade noch im Garten Fußball gespielt habe (vergessene Freuden der Jugend – ich habe mich wie ein Spitzbube gefreut, als wir den Ball auf das umzäunte Nachbargrundstück geschossen haben und ihn wiederholen mussten), aber bei der Rückfahrt von Hamburg nach Bingen ist mir aufgefallen, wie viele verblühende und verwelkte Menschen es gibt. Überall erschlaffte Haut, Falten, graue Haare, Tränensäcke und Doppelkinne, hellbraune Jacken und dunkelbraune Schuhe, müde Blicke in dicke Bücher. Deutschland wird alt.

Warum ich in Korea als Bösewicht gelte

Die Ausbeutung des Menschen und der Natur sehe ich ja nun schon, grob gesagt, seit der Zeit von Helmut Schmidts Kanzlerschaft eher kritisch. Das ist meinem Freundeskreis natürlich nicht verborgen geblieben. Einer dieser Freunde, der unglücklicherweise die Laufbahn eines Volkswirts eingeschlagen hat, permanent über Geldvermehrung Vorlesungen und Vorträge hält, laut „Cicero“ sogar zu den fünfhundert wichtigsten Intellektuellen Deutschlands zählt, hat vor einigen Jahren ein Märchenbuch für Kinder geschrieben, in dem die Vorzüge des Kapitalismus gepriesen werden. Es geht in dieser Erzählung um die Bewohner eines Waldes, die durch marktwirtschaftliche Kooperation beim Sammeln und Verhökern von Nüssen oder was weiß ich zu einem Wohlstand kommen, der einem die Tränen der Rührung in die Augen treibt. Der Bösewicht in diesem Wald ist das Wiesel, das alles gemeinsame Schaffen auf die finsterste Art und Weise hintertreibt. Der Autor jenes Buches namens „Der große Plan“ hat mir während einer unserer zahlreichen Wanderungen im Binger Wald erzählt, dass er beim Schreiben der antagonistischen Figur des Wiesels immer an mich gedacht habe. Jetzt gibt es dieses Märchenbuch auch in Südkorea zu kaufen und ist dort ein Bestseller. Kleine Koreaner lernen mich zu hassen. Und es gibt sogar Buttons zum Buch, den Marketingfritzen ist ja nichts zu blöd. Auf einem ist das Wiesel zu sehen, wie es hinterlistig grinst und sich die Hände reibt. Diesen Button habe ich auf meinem Schreibtisch liegen, ich betrachte ihn gerne und empfinde es durchaus als Auszeichnung, in Südkorea als Bösewicht zu gelten.

Sonntag, 9. März 2014

Ein lupenreiner Demokrat

Sehr geehrte Geschäftsfreunde!
Die Klitschko Management Group (KMG) mit „einer eigenen Niederlassung in Kiew sowie einem großen Netzwerk an Partnern und Dienstleistern vor Ort“ möchte Ihnen heute ein Angebot unterbreiten, das Sie aufgrund der aktuellen Lage mit großer Sorgfalt prüfen sollten: „Der Osten befindet sich in einer Phase des Umbruchs und der Entwicklung. Die Orientierung am Westen geht in allen Bereichen voran. Die Länder öffnen sich, wodurch sich neue Potentiale für Unternehmen aus dem Westen ergeben. Um diese Potentiale zu erkennen und abzuschöpfen, ist die Klitschko Management Group ein erfahrener und zuverlässiger Partner.“
So steht es auf unserer Webseite, auf die ich Sie heute aufmerksam machen möchte: http://www.k-mg.de/de/kmg_east_de.pdf
Die Klitschko Management Group erschließt Ihrem Unternehmen Osteuropa – nutzen Sie die Chancen, die Ihnen die Ukraine heute bietet! Sie können sich über befreundete Oligarchen direkt an gewinnträchtigen Unternehmen beteiligen oder uns eine Wahlkampfspende zukommen lassen. Ab einer Million Euro garantieren wir Ihnen einen persönlichen Sitz im Parlament. Wir haben schlagkräftige Argumente. Lassen Sie sich überzeugen! Lassen Sie sich diese einmalige Möglichkeit nicht entgehen!
Mit demokratischen Grüßen
Ihr Dr. Vitali Wladimirowitsch Klitschko, Gründer und Parteivorsitzender der Ukrainischen demokratischen Allianz für Reformen (UDAR) und Geschäftsführer der KMG GmbH in Hamburg

Freitag, 7. März 2014

Meise unterm Pony

Andere Länder mögen Probleme mit Hunger oder Krieg haben, in Deutschland geht es um Wichtigeres. Hier werden permanent Leute unterdrückt und schon im Vorschulalter zu Rassisten erzogen. „My little Pony“ ist nämlich keine Zeichentrickserie für Kinder, sondern ein Instrument faschistischer Indoktrination. Zum Glück gibt es in Berlin eine Gruppe, die jetzt darauf aufmerksam macht. Bitte den folgenden Link teilen. Schaut nicht weg!
http://transgenialefantifa.blogsport.de/2014/02/18/stellungnahme-zum-rassismus-bei-my-little-pony/
Zum Schreien schön ist auch die ausführliche Selbstbeschreibung dieses Kollektivs geschlechtsrollenbefreiter Ex-Frauen. Wie man sich von der Antifa zur feministischen Antifa und von dort zur komplett diskriminierungsfreien „trans*genialen F_antifa“ entwickelt hat, ist eine Hommage an die subtile Distinktion von Judäischer Volksfront und Volksfront von Judäa im Monty Python-Film „Das Leben des Brian“. Mein Favorit im unendlichen Kosmos menschlicher Unterdrückung ist das „Fat Shaming“, weil auch übergewichtige Menschen (im Text allerdings etwas lieblos als „dick-Unterstrich-fett“ bezeichnet) aufgrund ihres Aussehens diskriminiert werden.
Wo läuft eigentlich „My little Pony“? Im Kinderkanal? Und ist „Kind“ nicht eigentlich auch ein diskriminierender Ausdruck, der einen Menschen entwicklungspsychologisch auf eine Rolle reduziert und damit irgendwie auch unterdrückt oder so? Warum nicht „junger Mensch“? Aber „jung“ ist eine altersmäßige Reduzierung auf eine Rolle, die uns von der Gesellschaft, ach was: vom System aufgezwungen wird. Also einfach nur „Mensch“. Ach nee, das grenzt jetzt wieder die Ponys aus. Lebewesen? Das ist mir echt zu pflanzenfeindlich. Und wer von euch angepassten Flachwichsern hat den Mut, seine Stimme für unseren Freund, den Stein, zu erheben? Ich finde euch alle total unsensibel und mache meine eigene Gruppe auf. Und zwar ganz alleine! Denkt mal drüber nach, ihr Faschos!!!

Mittwoch, 5. März 2014

Gute Reise!

Wir haben uns ans Fliegen schon so gewöhnt, dass wir eine Reise über den Wolken als eine Selbstverständlichkeit hinnehmen. Aber eigentlich befinden wir uns im Flugzeug in einer ungewöhnlichen Situation: Wir sind knapp zehntausend Meter über der Erde, draußen herrschen Minustemperaturen und wir bewegen uns mit neunhundert Stundenkilometern durch das Nichts. Während wir uns einen Film anschauen und die Kinder ihr Smartphone bearbeiten, vergessen wir völlig, wie künstlich unsere Situation ist. Die Druckkabine schützt unseren Körper, die Klimaanlage wärmt uns, ein Computerprogramm steuert die Maschine und kennt den Weg. Wir vergessen nicht nur, wie zerbrechlich wir in dieser fremden Umgebung eigentlich sind, wir vergessen auch, wie abhängig wir sind. Auf dieser Flughöhe würden wir nicht nur erfrieren und wie ein Stein zur Erde zurückstürzen, wenn wir das Flugzeug verließen, wir würden auch verhungern, denn hier wächst nichts Essbares und es gibt kein Wasser. Wir sind abhängig vom Personal, das uns füttert, wir leben von den Vorräten, die das Flugzeug mitführt. Wir können das Flugzeug während der Reise auch nicht mehr verlassen. Für die Möglichkeit, mit rasender Geschwindigkeit an einen anderen Ort zu gelangen, haben wir uns in die Abhängigkeit einer Organisation begeben, die uns zugleich beschützt und beherrscht.
Auf dem Erdboden angekommen ist die Situation nicht anders. Wir haben uns so an die moderne Zivilisation gewöhnt, dass wir sie als eine Selbstverständlichkeit hinnehmen. Wir vergessen unsere Abhängigkeit und unsere Zerbrechlichkeit. Zuhause ist der Kühlschrank gefüllt, weil die Supermarktregale gefüllt sind. Unsere Autos und die Lastwagen fahren unaufhörlich, weil es genug Benzin an den Tankstellen gibt. Wasser kommt in jeder gewünschten Temperatur aus dem Hahn, elektrisches Licht brennt auf unseren Wunsch in jedem Zimmer. Geld fließt durch unsere Konten und Brieftaschen und erhält den Kreislauf von Bedürfnis und Befriedigung in Bewegung. Wir schauen auf unsere Monitore und Displays, als würden wir aus einem Flugzeugfenster schauen. Was passiert, wenn die dünne Wand der Druckkabine zerbricht? Wenn die Technik zusammenbricht, wenn die Ordnung zerfällt? Wenn das Gehalt nicht mehr überwiesen und das Supermarktregal nicht mehr gefüllt wird? Die Berichte aus Syrien und inzwischen auch aus der Ukraine vermitteln uns ein Bild von dieser Abhängigkeit und Zerbrechlichkeit, in die wir uns hineinbegeben haben. Wir sind nur noch Passagier. Wir haben uns in die Hände einer Organisation begeben, die für unseren Schutz ihren Preis verlangt. Am Flughafen werden wir durchleuchtet, in unseren Häusern werden wir durchleuchtet. Und zum Aussteigen ist es längst zu spät.

Dienstag, 4. März 2014

Das Spiel heißt Geopolitik

„Jeder Mensch hat seinen Preis. Man kann ihn entweder mit Geld oder mit Angst kaufen.“ (aus „Die Hunde des Krieges“ von Frederick Forsyth)
Es ist ein Gefühl der Erleichterung, das die deutschen Medien dieser Tage überwältigt. Endlich zeigt „der Russe“ sein wahres Gesicht und rasselt wie in der guten alten Zeit mit dem Säbel. Wenige Tage nach Ende des olympischen Friedens von Sotschi überfällt Wladimir Putin, der fieseste Nicht-Österreicher der Weltgeschichte, ein friedliches und unschuldiges Nachbarland. Panzer, Flugzeuge, Soldaten – eigentlich fehlen nur noch Hammer und Sichel, damit man sein altes Weltbild aus der Zeit des Kalten Krieges wieder aus dem Keller hervorkramen kann. Die Welt ist wieder in den Farben Schwarz und Weiß gemalt.
Weiß: Der Westen, angeführt von einem sympathischen Friedensnobelpreisträger, dessen Armee auf anderen Kontinenten wirklich nur dann einmarschiert, wenn es nicht mehr anders geht und man irgendwelchen Kuffnucken das Thema Menschenrechte und Demokratie auf die harte Tour beibringen muss, in der Ukraine vertreten durch einen ehemaligen Kirmesboxer, eine merkwürdig frisierte Millionärin, die im Knast einen auf blonden Mandela macht, und einen neuen Staatschef, der umgehend zwei Milliardäre zu Gouverneuren ernennt.
Schwarz: Der Osten, angeführt von einem durchgeknallten Diktator mit homoerotischer Ausstrahlung (mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd sitzend!), der was gegen Homosexuelle und illegale Punk-Konzerte in Kirchen hat (Pussy Riot), in der Ukraine vertreten durch einen korrupten Ex-Präsidenten, gegen den Christian Wulff im direkten Vergleich der Immobilien und Bankkonten wie der Dalai Lama wirkt.
Wir haben die weißen Figuren, wir sind der Westen, wir sind die Guten. Die Leute in der Ukraine sind die Bauern auf dem Schachbrett, ob sie nun Ukrainer, Russen oder Tartaren sind (für uns sehen die doch sowieso alle gleich aus), und müssen sich entscheiden, zu wem sie gehören wollen. Sie haben die Wahl zwischen dem Geld, mit dem der Westen lockt, und der Angst, mit der der Osten droht. Die Botschaft für die Menschen in diesem Land ist klar: Ihr müsst euch entscheiden, wer über euch herrschen soll. Selbstbestimmung ist in diesem Machtpoker nicht vorgesehen. So spielen die Großen mit den Kleinen.