Mittwoch, 26. August 2015

Das schwarze Notizbuch 4

Was bisher geschah:
Ein uns völlig unbekannter und scheinbar ahnungsloser Vertreter für chinesische Badezimmerarmaturen flüchtet vor dem amerikanischen Geheimdienst NBA, der irischen Mafia und einem bretonischen Auftragsmörder mit wellenförmig geflochtenen Cornrows. Er ist im Besitz eines äußerst geheimnisvollen Notizbuchs, das möglicherweise von unschätzbarem Wert ist, und sitzt in einem Zug mit unbekanntem Zielort. Es ist Mittwoch, die Temperatur beträgt etwa 7 Grad Celsius. Wir schreiben das Jahr 2015 post Christum natum.

Die Sonne ist längst untergegangen. In der Ferne sehe ich einige Lichter. Es sind nur wenige Menschen im Zug. Es ist still. Nur das monotone Geräusch des Zugs.
Aus dem Notizbuch werde ich nicht schlau. Auf der ersten Seite wird ein Finderlohn von 11.111 € offeriert. Das ist gut. Ich muss nur in eine Bar in Schwedt gehen und dort einen gewissen Carfriday Mousewindle treffen. Die anderen Seiten sind mit bunten Mandalas gefüllt. Ein Code? Oder ist das Ganze eine Falle?
Zufällig fährt dieser Zug nach Schwedt an der Oder. Zufall? Nach allem, was passiert ist? Ich glaube nicht an einen Zufall. Aber ich weiß, dass ich in diesem Zug sitze. Vielleicht schaue ich mir die Bar mal an. Ich muss ja nicht gleich mit dem Notizbuch herumwedeln und nach einem Carfriday Mousewindle fragen.
Am Bahnhof steigen nur zwei Menschen aus: Ich und Giovanni Bartolotti.
Sein magerer Hals ragt faltig aus einem schwarzen Hemdkragen. Wir sehen uns nur kurz in die Augen. Sein Blick ist so seelenlos wie das Lächeln eines Immobilienmaklers. Bartolotti, der uneheliche Sohn eines venezianischen Spiegelmachers, hat mit fünfzehn seinen ersten Mord begangen.
Ich gehe die düstere Bahnhofstraße hinunter und biege nach links ab, in Richtung Fluss. Es sind nur wenige Menschen auf der Straße. Bartolotti arbeitet gerne mit dem Messer. Ich muss ihn auf Distanz halten.
Dann stehe ich vor der Bar. „Hammer und Sichel“. Typisch Osten. Leben in der Vergangenheit. Und die Adresse ist ebenso merkwürdig: Kietz 99. Ich gehe hinein. Welche Wahl habe ich? Die Bar oder Bartolotti.
Der Barkeeper hat einen Rauschebart und trägt eine grüne Uniform wie Fidel Castro. Am Ende der Theke sitzen zwei Frauen, an den Tischen hocken ein paar Kerle mit Lederjacken und Nietenhalsbändern. Ich habe kein gutes Gefühl.
Bartolotti betritt die Bar und setzt sich auf den Platz an der Theke, der dem Eingang am nächsten ist.
Der Barkeeper sieht mich fragend an. Also bestelle ich einen Cuba Libre. Damit macht man in einer Bar mit diesen Namen sicher nichts falsch.
Als er das Glas vor mir auf den Tresen stellt, frage ich ihn nach Carfriday Mousewindle.
„Kenn ich nicht. Wer will das wissen?“
„Das kleine schwarze Notizbuch.“
Er grinst und winkt mich nach hinten durch.
In einem Hinterzimmer wartet eine junge Frau und lächelt mich an. Der Barkeeper schließt die Tür. Sieht alles normal aus. Ein langer Tisch. Stühle. Vermutlich der Raum für Familienfeiern.
Die junge Frau geht zu einem Schrank und öffnet beide Türen. Ein Fahrstuhl. Sie lockt mich mit ihrem Zeigefinger heran. Erst jetzt sehe ich, dass ihre schrägen Katzenaugen gelb sind. Ich steige ein. Sie lächelt und für einen kurzen Augenblick sehe ich ihre gespaltene Schlangenzunge. Dann schließt sich der Fahrstuhl und ich fahre allein nach unten.
Die Tür öffnet sich automatisch. Vor mir ist ein langer Gang, der nur spärlich beleuchtet ist. Ich gehe einfach weiter. Jetzt ist ohnehin alles zu spät.
Der Raum, den ich betrete, ist prachtvoll verziert und riesig. Die Möbel können sich nicht entscheiden, ob sie noch Sofas oder schon Betten sind. Aber das merkwürdigste sind die Frauen. Sie sind flammend rot, haben Vampirzähne und lange dünne Schwänze.
Eine Frau steht auf und kommt auf mich zu. Sie legt die Arme um meinen Hals und sieht mir tief in die Augen. Ich weiß gar nicht, ob ich geil oder ängstlich werden soll.
„Wohin willst du, Süßer?“
„Ich habe hier was für Carfriday Mousewindle.“
„Komm mit.“
Sie nimmt mich an der Hand und führt mich durch einen langen gewundenen Gang in einen anderen Raum.
Er ist schwarz und wird nur von einigen Fackeln erleuchtet. Auf einem Sessel sitzt ein schneeweißer dicker Glatzkopf, flankiert von zwei breitschultrigen Monstern.
„Sind Sie Mister Mousewindle?“
„Ich bin sein Assistent. Du hast das Buch?“
„Ja. Bekomme ich von Ihnen den Finderlohn.“
„Natürlich.“ Der dicke Mann lacht.
Er lacht sehr lange.
Ich gebe ihm das Notizbuch.
„Bringt ihn in die Kammer“, sagt er zu seinen Bodyguards.
Sie packen mich links und rechts.
„Schau in seine Augen“, raunt mir die Vampirlady zu und lächelt mich an. Mit einem Zischen schießt ihre lange gespaltene Zunge heraus. Dann verlässt sie den Raum.
Ich werde in ein kleines Zimmer gebracht. Die Tür wird abgeschlossen. Zwei Sessel und ein kleines Rauchtischchen stehen in der Mitte des Raums. An der Wand hängt ein Lenin-Porträt.
Soll ich hier auf das Geld warten? Kommt Mister Mousewindle zu mir? Warum soll ich in seine Augen schauen? Ich sitze lange herum. Ich sehe mir das Bild an. Und endlich verstehe ich.
Ich folge Lenins Blick. Auf der gegenüberliegenden Wand ist ein roter Stern. Ich drehe ihn nach links und eine Tür öffnet sich.
Durch einen Gang krieche ich ins Freie. Ich bin auf einer Waldlichtung.
Wo bin ich? Ist das schon Polen? Ob die Leute hier Wasserhähne brauchen?
P.S.: Das Drehbuch zu dieser Geschichte ist bereits an die georgische Admiral-Gulashwili-Filmgesellschaft verkauft worden. Arbeitstitel: „From Dusk Till Schwedt.“
P.P.S.: Woher kennt Barley Malt seine Verfolger eigentlich so genau? Er hat sie alle bei einer Betriebsfeier seiner Firma getroffen. Ein kolumbianischer Themenabend. Ich erspare Ihnen die Details.
P.P.P.S.: Als Poeta doctus darf ich hoffentlich voraussetzen, dass nicht nur die vielen Logikfehler der Erzählung als Teil meiner Parodie erkannt wurden, sondern auch die tiefere Bedeutung des Namens „Barley Malt“.
Paul Van Dyk - Nothing But You. https://www.youtube.com/watch?v=y5nLpa6hGi8

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