Dienstag, 29. September 2015

Draußen

„Es ist Trägheit, was uns an peinliche Zustände kettet.“ (Novalis)
Golden und weiß leuchtete der Birkenwald in der Herbstsonne. Er wäre jetzt gerne dort gewesen. Es war ein Fehler gewesen, der Einladung zu folgen. Viel schöner wäre es, jetzt dort allein durch den Wald zu laufen, die Sonne auf dem Gesicht, das weiche Gras unter den Füßen. Er stellte sich den Gesang der Vögel vor. Stattdessen hörte er irgendein Klassikstück, das er nicht kannte.
„Was gibt es denn dort draußen zu sehen?“ fragte ihn Dolores Streitwieser, die unbemerkt neben ihn ans Fenster getreten war.
Sie lächelte ihn an und er lächelte automatisch zurück.
„Nichts“, sagte er. „Ich habe nur nachgedacht.“
„Ihr jungen Dichter“, sagte sie nachsichtig und lächelte wieder. „Wollen Sie uns nicht etwas Gesellschaft leisten?“
Sie trug ein schwarzes Abendkleid und eine Perlenkette. Dolores Streitwieser war das Zentrum dieses „Salons“, der einmal im Monat in der Villa des Bauunternehmers Streitwieser stattfand. Ihr Mann zog es schon seit Jahren vor, an diesen Tagen mit guten Freunden in seinem Loft in der Innenstadt Whisky zu trinken und über die Kunstbeflissenheit seiner Gattin zu lästern.
Seit seinem Erfolg mit „Die Farben der Enttäuschung“ und seinem Auftritt in der Fernsehtalkshow von Marco Schlanz war er zur literarischen Hoffnung seiner Stadt avanciert. Es war eine Ehre, als Gast in diesen Salon eingeladen zu werden. Sein Verlag hatte ihn ausdrücklich zu dieser Chance beglückwünscht.
Drüben am Konzertflügel sah er Slushy, einen berühmten Komiker, der gerade eine Parodie auf Helene Fischer zum Besten gab. Eine Gruppe von älteren Menschen mit Champagnergläsern umstand ihn und versorgte ihn regelmäßig mit zustimmendem Gelächter.
Frau Streitwieser führte ihn zu ihren beiden besten Freundinnen, Lara Joy Trutschnig und Tiffany Holzgruber, die ebenfalls in eleganter Abendgarderobe erschienen waren, obwohl es noch heller Tag war. Sie ließ ihn mit den beiden Frauen allein und wandte sich der nächsten Gruppe zu.
„Also Ihr Roman ist ja wirklich höchst spannend“, begann Frau Trutschnig. „Wir haben schon überlegt, ob Sie da ein Sittengemälde unserer Stadt gezeichnet haben.“
Frau Holzgruber kicherte. „Also dieser Figur der Ricky Kleinholz, diese Studienabbrecherin, die auch noch schwanger wird – das ist doch die Tochter vom alten Dorfmoser, oder? Das ist doch original die Verena Dorfmoser, die inzwischen in Hamburg lebt, habe ich Recht?“
Während Frau Trutschnig und Frau Holzgruber in wieherndes Gelächter ausbrachen, betrachtete er die Gastgeberin, die wenige Meter weiter mit Mortimer und Violet St. Clair, einem Bankier aus London und seiner Gattin, in feinstem Englisch parlierte.
Dann öffnete sich die Tür des Salons und Lacrosse Günzlinger betrat dem Raum. Er trug eine enge schwarze Hose und ein weißes Hemd, das weit aufgeknöpft war. Blonde Locken umspielten sein lachendes Gesicht. Ein Raunen ging durch die Menge und alle Köpfe wandten sich ihm zu. Lacrosse Günzlinger, der berühmteste Maler der Stadt. Zurück von einer Ausstellung in New York. Sechsstellige Beträge wurden für seine Porträts gezahlt. Es hieß, das MoMA erwäge den Ankauf seiner Werke.
Die beiden Frauen ließen den jungen Dichter einfach stehen und gingen ungeniert auf den Maler zu. Eine Traube von neugierigen Menschen bildete sich um Günzlinger, und Frau Streitwieser eilte herbei, um ihren neuen Gast spielerisch in Schutz zu nehmen.
„Bedrängen Sie unseren lieben Freund doch nicht so, meine Damen! Meine Herren, ich bitte Sie!“
Und alle lachten ganz aufgeregt. Sie waren alle erfolgreich, vermögend. Sie waren ehrgeizig. Sie waren Gewinner. Aber sie wirkten auch unter all dem Gelächter und den wechselseitig gemachten Komplimenten merkwürdig angespannt und freudlos. Sie belauerten einander, sie konkurrierten unaufhörlich.
Er hatte den Eindruck, als seien sie alle Raubtiere. Und die wenigen blutjungen Frauen, die hier mit Tabletts voller Champagnergläser und Häppchen zwischen ihnen von Grüppchen zu Grüppchen liefen, erschienen ihm wie Schafe. Er hätte sich nicht gewundert, wenn irgendeiner dieser Wölfe und Hyänen sich brüllend auf eine der Kellnerinnen gestürzt und ihr die Kehle durchgebissen hätte.
Die Party wäre sicher weiter gegangen.
Kasabian - Club Foot. https://www.youtube.com/watch?v=nOSuObRNBUA

2 Kommentare:

  1. Der ganze Hassel um die Knete
    Macht mich taub und stumm
    Für den halben Luxus
    Leg ich mich nicht krumm
    Nur der Scheich ist wirklich reich

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    1. Ideal ... nächsten Monat fahre ich wieder nach Berlin ;o)))

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