Mittwoch, 23. September 2015

Sie haben mich!

Es ist vorbei. Sie haben mich erwischt. Im Grunde habe ich es schon immer gewusst. Das waren meine ersten Gedanken, als mein Name aus dem Lautsprecher schallt. Wir sind im Landeanflug auf Athen. Der Pilot ruft meinen Namen aus. Und den Namen meines Vaters. Wir sollen im Flugzeug bleiben, wenn die anderen Passagiere nach der Landung aussteigen. Wir lassen uns nicht anmerken, dass wir gemeint sind. Terrorismus. Gefängnis. Ich bin zwanzig Jahre alt und habe ständig ein schlechtes Gewissen. Untergrund, Drogenszene – ich kenne jede Menge Leute, vor denen man mich immer gewarnt hat. Ein Freund wird sogar von Eduard Zimmermann in „Aktenzeichen XY … ungelöst“ zur Jagd freigegeben. V-Leute in meiner Stammkneipe. 1987 – kalter Krieg und ich bin ständig im Ostblock unterwegs: UdSSR, DDR, CSSR, Ungarn. Es ist soweit: Sie haben mich. Es soll keine Schwierigkeiten bei meiner Verhaftung geben. Frauen und Kinder zuerst. So geht also alles zu Ende. Alter Finne!
Komisches Gefühl: ein leeres Flugzeug. Hier gehörst du doch gar nicht hin. Die schützende Herde - eigentlich ein Haufen wildfremder Menschen - ist längst weg. Ängstlich schaue ich zur Kabinentür. Werden gleich Männer in Kampfmontur hereinstürmen, unverständliche Kommandos brüllen und eine Rauchgranate zünden? Oder kommt ein lässiger Kommissar im Trenchcoat hereingeschlendert, mit einem Zigarillo im Mundwinkel, der mich angrinst und mir mit einer winzigen Bewegung des Zeigefingers bedeutet, aufzustehen und ihm zu folgen? Zähflüssig verrinnen die Sekunden. Wir wagen es nicht zu sprechen. Es hat keinen Sinn, sich zu wehren. Abwarten, nicht die Nerven verlieren. Wie es wohl in einem griechischen Gefängnis zugehen mag? Von den türkischen Gefängnissen hört man jedenfalls nichts Gutes. Endet alles in Athen?
Eine lächelnde Stewardess kommt auf uns zu. Wir sollen bitte mitkommen. Wir würden erwartet. Sie bringt uns zur Kabinentür und wir gehen die Gangway hinunter. Wir müssen uns erst an das gleißende Sonnenlicht gewöhnen. Auf dem Rollfeld wartet eine Mercedes-Limousine. Ein grauhaariger Mann in einem dunklen Anzug steigt aus. Es ist P., der Freund meines Vaters, der uns zu einem Besuch in Griechenland eingeladen hat. Er leitet die griechische Vertretung des Konzerns, für den mein Vater in Deutschland arbeitet. Er lacht und küsst uns auf beide Wangen. Für ihn ist es ein Zeichen der Gastfreundschaft, die Gäste nicht am Zoll und der Gepäckausgabe warten zu lassen. Freunde werden direkt am Flugzeug abgeholt. Dr. P. hat seine Beziehungen spielen lassen. Und auf dieser Ebene geht es um Beziehungen, um das Geflecht gegenseitiger Gefälligkeiten. Hier gibt es kein Fakelaki mehr, keinen Umschlag mit Geld. Man kennt sich. Zum ersten Mal blicke ich in das Gesicht der Macht. Ich bin nie wieder auf dem Rollfeld von einer Limousine mit Chauffeur abgeholt worden.
The Ink Spots - I Don't Want To Set The World On Fire. https://www.youtube.com/watch?v=6l6vqPUM_FE

2 Kommentare:

  1. Hast Du mal Einsicht in Deine Stasiakten beantragt? Wär' sicher nicht uninteressant.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wer ist denn schon die Stasi, wenn man heutzutage die NSA haben kann ;o)))

      Löschen