Freitag, 25. Dezember 2015

Berliner Asche, Kapitel 1, Szene 1

Tagelang hatte es geregnet. Sturm, Gewitter, Wolkenbruch. Er beobachtete die Regentropfen, die an der Fensterscheibe herunter liefen. Manchmal lieferten sich zwei Tropfen ein Rennen und ein Tropfen floss in einen anderen und wurde plötzlich schneller. Aber nach einer Weile war es doch bloß Regen. Wasser. Wasser, das ihn von seiner Mission abhielt. Es war nichts zu machen, er war zur Untätigkeit verdammt. Unruhig schlich er durch die große Altbauwohnung. Aber nun schien endlich wieder die Sonne – was ihn allerdings auch nicht interessierte.
Drei Tage lang hatte der Regen die Stadt geschützt, aber heute Nacht würde er durch ihre Straßen fahren und Feuer legen. Berlin soll brennen, dachte er, als er den schwarzen Kapuzenpullover überstreifte. Er hätte am liebsten die ganze Stadt niedergebrannt. Das Feuer sollte alles auslöschen und Platz schaffen für das Neue, für das Richtige, das Gute und Wahre.
Es war tiefe Nacht, als er das Haus verließ. Den Dynamo seines Fahrrads ließ er ausgeschaltet. Lautlos glitt er durch die Straßen auf den großen Park zu. Ein echtes Paradies, aber die Idioten von der Verwaltung schließen jeden Abend die Tore zu und es soll an eine Immobilienfirma verkauft werden. Aber das sollte niemanden wundern, der in diesem Scheißland wohnt, dachte er. Berlin bei Nacht war eine verdammte Metapher: du musst den Blick nicht zum Himmel heben, in dieser Stadt siehst du niemals die Sterne.
Die Nacht, die Fahrt, die Einsamkeit – alles tat ihm gut. Die Bewegung machte ihn lebendig und er fühlte die Aggressionen in sich aufsteigen. Er war wütend auf die Professoren an der Uni, die ihn nicht verstanden und nur erwarteten, dass er ihre alten Formeln auswendig lernte. Er hasste seine Eltern und die Lehrer, die er hinter sich gelassen hatte und deren alberne Ermahnungen noch immer in seinem Kopf herum spukten. Und in seinem Zorn schloss er all die unbekannten Spießer, Kriegstreiber und CDU-Wähler mit ein, deren auf Hochglanz polierte Statussymbole – dieser sinnlose Reichtum, der aus den edlen Villen bis auf die Straße quoll – ihn bis aufs Blut provozierten. Ich sage überall meine Meinung und wenn ich dabei eine Blutspur hinterlasse, dachte er. So vieles ist einfach nur albern, was den Menschen wichtig erscheint: der Beruf, das Geld, der Besitz.
Wo war er? Wie lange war er so in Gedanken durch die leeren Straßen gefahren? Ein brennender Geländewagen. War ich das? Er betrachtete die Flammen, die aus den Fenster des Porsche Cayenne schlugen. Ein seltsamer, unwirklicher Anblick. Das Feuer war ganz leise, so als ob es gar nicht stören wollte. Habe ich das gemacht, fragte er sich wieder. Diese schwachsinnigen Statussymbole, mit denen man seiner Umwelt den Krieg erklärt. Erinnert an die Trekking-Jacken und die Rucksäcke, mit denen man auch den Nanga Parbat besteigen könnte, aber es geht nur zum hundertmillionsten Starbucks um die Ecke.
Er fuhr weiter. Gab es noch andere wie ihn? Hatte sein Beispiel, das seit Wochen in den Zeitungen verhandelt wurde, endlich Schule gemacht? Folgten ihm andere auf dem Weg der Reinigung? Feuer und Flamme für diesen Staat. Die ganzen Scheißkisten werden brennen und wir besetzen die Stadt! Er lächelte. Und jetzt hatte sich auch noch die Möglichkeit mit diesem Journalisten ergeben. Er wollte eine Nacht mitfahren und eine Reportage machen – für fünfhundert Euro bar auf die Kralle. Da taten sich ganz neue Möglichkeiten auf. Plötzlich war er jemand und er kam an Geld ran. Die Connection zu den Presseleuten konnte noch Gold wert sein, jedenfalls alles besser als Graffiti und Endlosdiskussionen. Fünfhundert Euro, vielleicht mehr. Das könnte ein neues Fahrrad sein. Oder er könnte mal mit einem Mädel einen drauf machen, zum Beispiel die neue aus der Gruppe. Mal mit dem Taxi durch die Clubwelt segeln und überall ein paar Drinks einpfeifen.
Hey, dieser verschissene SUV kommt mir genau richtig, dachte er und hielt an. Eine dieser sinnlosen Riesenkisten, mit der die Autofahrer die Innenstädte aufrüsten. Haben nur ein einziges Kind und brauchen jetzt natürlich einen Lastwagen, ist klar. Wahrscheinlich ist ein Kindersitz mit Drachenmotiven auf dem Rücksitz befestigt. Ich will es gar nicht wissen, dachte er. Dann nahm er ein Stück Grillkohleanzünder und legte ihn auf den vorderen rechten Autoreifen.
Ein Blick noch die Straße rauf und runter. Nichts zu sehen und nichts zu hören.
Er zündete das Stück an, das nicht größer als ein Würfelzucker war. Es zischte ganz leise und die Flammen begannen, sich in den Autoreifen zu fressen.
Er stieg auf sein Fahrrad und fuhr in die Dunkelheit davon.

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