Freitag, 1. Juli 2016

Martyna

„Mach dir keine Sorgen – alles wird vergebens gewesen sein – wie bei allen Menschen vor dir. Eine völlig normale Geschichte.“ (Marlen Haushofer)
Es ist Samstagnacht. Ich war bei einem netten schwulen Pärchen, das mit etlichen alten DDR-Kadern, darunter einem Stasi-General, in einem Hochhaus in Mitte wohnt, nur ein paar hundert Meter vom Alex entfernt.
Ich steige hinab in die Katakomben des BVG-Universums. Neben dem geschlossenen Kiosk sehe ich eine junge Frau, die von drei Männern in schwarzen Lederjacken umgeben ist.
Die Jungs sind betrunken und sie belästigen die Frau.
Ich schlendere seelenruhig weiter. Die Männer bemerken mich nicht.
Als ich nur noch zehn Meter von der bedrückenden Szenerie entfernt bin, wirft mir die Frau einen ängstlichen Blick zu.
Ich habe etliche Gläser Wein betrunken und beginne zu improvisieren. In solchen Momenten laufe ich zu großer Form auf.
„Hey, Tanja!“ rufe ich überschwänglich. Ich strahle wie ein Lotteriegewinner und breite die Arme aus. „Was machst du denn hier?“
Sie braucht nur Bruchteile einer Sekunde, um alles zu verstehen. „Mensch, Frank. Wir haben uns ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.“
Sie lacht erleichtert und schon habe ich sie im Arm. Küsschen links, Küsschen rechts. In die Luft. Wie echte Freunde.
Die Jungs sind erstmal irritiert. Ihre Rechner laufen mit der Geschwindigkeit eines Commodore 64. Sie werden noch einige Augenblicke brauchen, um die Veränderung einzusortieren. Ich bin wild entschlossen, diese Zeit zu nutzen.
„Menschenskind, Tina, du willst doch jetzt nicht nach Hause gehen? Ich kenne eine extrem entspannte Cocktailbar hier in der Nähe. Was hälst du davon, wenn wir noch einen Absacker nehmen? Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen.“
„Du hast recht. Einer geht noch. Bist du immer noch an der Uni?“
Als wir wieder an der Erdoberfläche sind, gehen wir zu Taxistand.
Wir steigen in den Wagen und ich frage sie nach ihrer Adresse.
„Brunnenstraße 164“.
Der Taxifahrer fährt los. Wir schweigen eine Weile. Mir geht die Szene durch den Kopf, ihr wird es nicht anders gehen.
„Danke.“ Eins der schönsten Wörter, wenn ein Mensch es aufrichtig meint. Eins der hässlichsten Wörter, wenn man angelogen wird. Dieser Dank landet in meinen Top Ten.
„Keine Ursache. Aber irgendwas musste ich ja machen – und Kampfsport gehört nicht zu meinen Stärken. Mehr als eine Siegerurkunde bei den Bundesjugendspielen habe ich nicht vorzuweisen.“
„Kann ich dich noch auf ein Bier einladen?“
„Das ist nett von dir. Aber ich bin müde. Werde die Biege machen Richtung Heimat.“
„Sagst du mir noch deinen richtigen Namen?“
„Elvis. Mein Name ist ganz einfach Elvis. Und wie heißt du?“
Sie lacht so laut, dass sie sich verschluckt und husten muss. „Marylin. Ich bin aus Krakau.“
„Schöne Stadt. Ich bin mal dagewesen.“
Sie sieht mir lange in die Augen.
„Georg.“
„Martyna.“
Das Taxi hält.
Wir haben uns angelächelt und nie mehr wieder gesehen.
Ich hoffe, es geht ihr gut.
Joy Division – Ceremony. https://www.youtube.com/watch?v=2zPIod2wjYE

2 Kommentare:

  1. Erfunden? Zu schön um wahr zu sein. Du Held! :)
    Also, meiner wärst du gewesen.

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  2. Leider bin ich nur in meiner Phantasie ein Held. Aber für dich macht das hoffentlich keinen Unterschied :o)

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