Samstag, 30. Dezember 2017

Ein kurze Anmerkung zur spätkapitalistischen Postdemokratie

Der Geburtsfehler dieser Republik ist nie behoben worden. Deutschland hat sich nicht selbst befreit und bekam seine Staatsform auf Befehl der Siegermächte: eine parlamentarische Demokratie in den drei westlichen Besatzungszonen, Sozialismus in der östlichen „Zone“ (wie sie vom Westen bis heute hämisch genannt wird). Daher gibt es seit 1945 kein wirkliches Interesse an Politik, d.h. an demokratischer Willensbildung. Es scheint niemanden zu stören, dass die „Volksvertretung“ in Berlin eine Lachnummer ist, die noch nicht mal eine Regierung zustande bringt.
Wie nah die Politiker dem Volk sind, haben wir 2017 am Tag der deutschen Einheit in Mainz erlebt. Anwohner der Jubelmeile durften ihren Balkon nicht betreten und sollten sich auch nicht am Fenster zeigen. Auf den Dächern der Innenstadt waren Scharfschützen postiert.
Es gibt den „familial-beruflichen Privatismus“ (Freizeit, Konsum) und den „staatsbürgerlichen Privatismus“ (Delegation des politischen Willens an sogenannte „Volksparteien“, d.h. Staatsparteien), der Staat zieht sich zugunsten des Marktes aus der Gesellschaft zurück und entpolitisiert die Bevölkerung (Jürgen Habermas: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 1973). Merkel ist der vorläufige Höhepunkt der Entwicklung: soziale Exklusion = politische Exklusion.

Auch eine Art Kindheit

„Die Bauernleut werden sich gewanden wie die Städtischen, und die Städtischen wie die Narren.“ (Weissagung des Mühlhiasl)
Langsam, aber unerbittlich rollte der Wagen die Dorfstraße hinunter, hielt an der Hauptstraße kurz an und bog nach links ab. Ich sah dem Wagen hinterher. Meine Eltern hatten mich zu meinen Großeltern aufs Land gebracht. Eine Woche würde ich mit ihnen alleine sein. Ein tiefes Gefühl von Wehmut, Heimweh und Traurigkeit. Ich konnte ganz deutlich mein Herz spüren.
Meine Großmutter war blind und mein Großvater war stumm. Die Großmutter sprach unaufhörlich, aber nicht mit uns, sondern sie führte ein endloses Selbstgespräch, sodass mein Großvater und ich oft unbemerkt die Küche verließen, wo sie weiter sprach. Der Großvater verzog sich für Stunden in eine nahe gelegene Kneipe, ich saß im Wohnzimmer und las oder ich malte ein Bild.
Es gab nur Illustrierte zu lesen, keine Bücher. „Frau im Spiegel“, „Neue Post“ und „Tina“. Alte Ausgaben, die Nachbarn und Verwandte mitgebracht hatten, um sie der Großmutter vorzulesen. Es war wie im Wartezimmer eines Arztes, ich saß auf dem Sofa und las den ganzen Klatsch über Adlige und Prominente. Damals gab es sicher kein Kind auf der Welt, das die Adelshäuser Europas so gut kannte wie ich.
Manchmal saß ich aber auch nur regungslos da und genoss die Stille des leeren Raums. Ich schaute mich um, ließ den Blick wandern und noch heute kenne ich jeden Gegenstand aus dem Wohnzimmer meiner Großeltern. Der Schrank mit den wenigen Büchern, die in einer Schrift gedruckt waren, die ich nicht lesen konnte. Das Bild mit der Blumenvase, das mein Vater als junger Mann gemalt hatte. Daneben eingerahmt die Urkunde seiner Meisterprüfung.
Gelegentlich ging ich in den Hof hinunter und schoss einen Gummiball gegen das Garagentor. Freunde hatte ich keine. In all den Jahren habe ich in diesem Dorf niemanden kennengelernt. Wenn ich, was selten genug vorkam, auf die Straße hinausging, eine leere Seitengasse, die teilweise von kleinen Häusern, teilweise von Gemüsegärten gesäumt war, ging ich nie weiter als fünfzig Meter nach links oder rechts. Nie wäre ich so weit gegangen, dass ich das Haus nicht mehr gesehen hätte.
So vergingen die Jahre meiner Kindheit.
Genesis – Mama. https://www.youtube.com/watch?v=xeGhazPjhoA

Freitag, 29. Dezember 2017

Ich träume von der FDP

Christian Lindner ist ein Geber, kein Angeber. Er gibt uns wieder das Gefühl, die Opposition ist die Führungsreserve unserer Republik. Ich habe heute Nacht zum ersten Mal von ihm geträumt.
Ich laufe durch Berlin, als direkt vor mir ein Autounfall passiert. Zwei Wagen krachen frontal aufeinander. Ich laufe zu dem völlig zertrümmerten Kleinwagen hinüber und sehe, das Lindner blutüberströmt aus dem Wrack kriecht und liegen bleibt. Den herbeilaufenden Schaulustigen gebe ich fachmännisch die Anweisung, den Notruf zu wählen und einen Krankenwagen an den Unfallort zu beordern. Obwohl ich den Politiker erkenne, frage ich ihn, ob er mich verstehen kann, um festzustellen, ob er überhaupt ansprechbar ist. Er nickt nur und sieht mich mit seinen ewig verschlafenen Bambi-Augen an. Dann frage ich ihn nach seinem Namen. „Nein, nein“, antwortet er, „ich komme alleine zurecht.“ Ich wiederhole die Frage. Er sagt, er hieße Molder. Den Vornamen will er mir nicht sagen. Ich gehe weiter.
Und dann lese ich direkt nach dem Aufwachen diese Meldung. Tödlicher Unfall in der Nähe von Schweppenhausen. Gruselig, oder?
http://www.allgemeine-zeitung.de/lokales/polizei/toedlicher-unfall-auf-der-a61-bei-waldlaubersheim-lange-vollsperrung_18417648.htm

Donnerstag, 28. Dezember 2017

Die Geburt der Literatur aus dem Geiste Bonettis


Baustoff 182
„Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht, als ich angefangen habe zu schreiben: Es bleibt doch im Inneren unermesslich viel mehr als das, was man in Worte fassen kann. Jeder Gedanke, selbst ein flacher, scheint, solange er noch unausgesprochen bleibt, tiefer, und der in Worte gefasste – lächerlicher und gewöhnlicher.“ (Fjodor Dostojewskij: Ein grüner Junge)
Industrie 4.0: Die Russen haben meinen Kühlschrank gehackt und zwanzig Liter Wodka bestellt. Ich weiß nicht, wie ich das finden soll.
Zwischen dem Stuttgarter Hauptbahnhof und dem BER wird jetzt eine Transrapidstrecke gebaut. Eröffnung 2099.
Auf der Verpackung lese ich, dass ein Liter fettarme Milch 49 Gramm Zucker enthält. Wann gibt es endlich auch Leitungswasser mit Zucker?
Die längste Papstwahl gab es im 13. Jahrhundert, sie dauerte zwei Jahre, neun Monate und zwei Tage. Wird Angela I., dieses harte Stück Graubrot in Menschengestalt, den Rekord schlagen?
Der Kriegstreiber Henry Kissinger, vier US-Präsidenten und etliche andere amerikanische Politiker bekommen den Friedensnobelpreis, aber Gandhi nicht. Manne Siegbahn erhält den Nobelpreis für Physik, aber Stephen Hawking nicht. Winston Churchill und Günter Grass wird der Literaturnobelpreis zugesprochen, aber Andy Bonetti nicht.
Kennen Sie eine Religion namens „Diskordianismus“? Eines der fünf Gebote lautet: „Ein Diskordier ist zu Beginn seiner Illumination dazu verpflichtet, an einem Freitag allein nach draußen zu gehen, um fröhlich einen Hot Dog zu genießen; diese Zeremonie ist dazu da, um gegen die beliebten Heidentümer dieser Tage zu demonstrieren: gegen die katholische Christenheit (freitags kein Fleisch), das Judentum und den Islam (kein Fleisch vom Schwein), den Hinduismus (kein Fleisch von der Kuh), den Buddhismus (kein Fleisch von Tieren) und den Diskordianismus (keine Hot-Dog-Brötchen).“ „Im Diskordianischen Kalender besteht das Jahr aus fünf Jahreszeiten (Chaos, Zwietracht, Verwirrung, Bürokratie und die Nachwirkung).“ (Quelle: Wikipedia)
Hätten Sie’s gewusst? Das Jahr 2018 beginnt mit einem Montag. Das ist kein gutes Zeichen. Ein Montagsjahr ist wie ein Montagsauto. Ich hoffe, wir bringen es irgendwie hinter uns, ohne das allzu viel schiefgeht.
Machen wir uns nichts vor. Die Oblate ist kleiner und dünner als ein Bierdeckel, aber sie schmeckt genauso. Kein Wunder, dass das Abendmahl nicht mehr in Mode ist. Warum macht es die Kirche nicht wie die indischen Restaurants? Dort gibt es zum Papadam immer diese drei leckeren Soßen. Auch Guacamole-Dip wäre eine schöne Ergänzung zur Oblate. Einfach mal offen sein für neue Ideen. One World und so.
Pandora Fleischmann, die Grand Dame des pfälzischen Neokubismus, präsentiert ab nächster Woche ihre Werke in der Galerie Feinbier in Berlin-Schalottenburg. Die Wahlfischbacherin, die in Kaiserslautern aufwuchs, ist für ihre gemalten Wortspiele weltbekannt. Berühmt wurde sie mit ihrem Gemälde „Die Fliedermaus“.
Max Raabe - Der perfekte Moment… wird heut verpennt. https://www.youtube.com/watch?v=m_Pvo5veOss

Mittwoch, 27. Dezember 2017

Morbus Bonetti

Unter Morbus Bonetti versteht die Wissenschaft den Glauben, direkt nach dem Tod ein Gigant der Weltliteratur zu werden.
Das Gegenstück ist der Morbus Grass. Man ist Teil der Weltliteratur, hat aber eigentlich nur Scheiße zusammengeschrieben.

Betriebsgeheimnis

„Die Menschen sind keineswegs so wunderbar, dass man sich ihretwegen Sorgen machen müsste.“ (Fjodor Dostojewskij)
Wie entsteht ein typischer Blogstuff-Text? Das ist ganz einfach. Man nehme einen beliebigen Textbaustein aus dem Internet und baue ihn in Sekundenschnelle um. Bei Bonetti Media Unlimited kommt bekanntlich alles in die Wurst. Beispiel: „Mertesacker ist für seine faire Spielweise bekannt, er kommt mit sehr wenigen Fouls aus. Dies verdankt er vor allem seinem guten Stellungsspiel. Er zeigt ein ausgeprägtes Gefühl für den Raum. Mit seiner Spielintelligenz erahnt Mertesacker früh, wohin ein Ball gespielt wird und kann so oft gegnerische Pässe in die Tiefe ablaufen, ohne in schwierige Eins-gegen-Eins-Situationen zu geraten. Zu seinen Stärken gehört auch die Spieleröffnung.“
Daraus wird dann eine drittklassige Persiflage, die sich schnell wegliest und bestenfalls zu einem Schmunzeln anregt. Ziel ist es, den Namen Bonetti positiv in Ihrem Hirn zu verankern, damit Sie beim nächsten Besuch einer Bahnhofsbuchhandlung wieder zu einem Bonetti greifen. Achtung, jetzt wird es latent komisch: „Bonetti ist für seine faire Schreibweise bekannt, er kommt mit sehr wenigen Beleidigungen aus. Dies verdankt er vor allem seinem guten Satzbau. Er zeigt ein ausgeprägtes Gefühl für den Text. Mit seiner Schreibintelligenz erahnt Bonetti früh, wohin sich eine Geschichte entwickelt. Zu seinen Stärken gehört auch die Texteröffnung.“ Und so geht es bei uns den ganzen Tag.
Clutch - The Regulator Lyrics. https://www.youtube.com/watch?v=d4WlqxPzQ28

2018 – Das Erwachen der Macht

Aus meinem Jahreshoroskop 2018 in „Die Welt“:
„Kein anderes Zeichen beherrscht das Rampenlicht wie ein Löwe. Sie sind bekannt für Ihre wahnsinnige Kreativität. Viele Löwen sind Künstler, Schriftsteller und Musiker.“ Noch Fragen?
2018 ist Jupiter in meinem Haus. Also in meinem astrologischen Haus. Ansonsten haben antike Götter bei mir Hausverbot. Ich sage nur „Enkeltrick“. „Mit dem großherzigen Jupiter in Ihrem heimischen Bereich könnte 2018 das Jahr sein, in dem Sie Wurzeln schlagen. Oder Sie könnten an einen Ort ziehen, an dem Ihr Leben wirklich abhebt.“ Also bleibe ich entweder in Schweppenhausen oder ich ziehe weg. Wahnsinn. Diese Astrologen!
„Saturn betrat Steinbock und damit Ihren Bereich der alltäglichen Arbeit und des Wohlbefinden am 20. Dezember 2017. Er wird dort zweieinhalb Jahre bleiben. Sie werden mehr Verantwortung bekommen und somit erlangen Sie auch mehr Kenntnisse und Erfahrungen.“ Noch mehr Verantwortung? Ich leite seit neun Jahren eines der größten Medienimperien der Blogosphäre. Und wie kann ich noch mehr Kenntnisse erlangen, wenn mir jetzt schon der Kopf vor lauter Wissen platzt?
„Pluto ist auch seit 2008 in diesem Bereich und beide Planeten helfen Ihnen, disziplinierter, konzentrierter und strukturierter zu werden.“ Endlich weiß ich, wer immer den Schreibtisch aufräumt und das Kalenderblatt abreißt. Der Hund von Micky Maus hält mein Arbeitszimmer in Ordnung.
„Single? Eine ganze Parade an interessanten und außergewöhnlichen Menschen wird in Ihr Leben kommen.“ Gab es in Schweppenhausen jemals eine Parade? Und auch noch mir zu Ehren? Das wird ein aufregendes Jahr.
„Am 8. November betritt Jupiter das Zeichen Schütze und damit Ihren Genuss-Bereich und bleibt dort 13 Monate.“ Das klingt nach Übergewicht und Fettleber. Aber da muss ich wohl durch. Hilft ja nix. Das werden die längsten Bacchanalien meines Lebens.
„Seien Sie bereit, Gewohnheiten abzulegen, die Sie schwächen und lösen Sie sich von Menschen, die Sie nicht schätzen.“ Diesen Ratschlag hätte ich dreißig Jahre früher gebraucht. Rotwein und Schokolade haben mich bereits so geschwächt, dass mir die Kraft fehlt, den Aufstand gegen Merkel und Trump anzuführen.
„Warten Sie nur, bis Merkur am 19. August rückläufig wird. Das wird ein neuer Anfang, eine kleine Wiedergeburt. Das kann einen neuen Job bedeuten, eine neue Einkommensquelle oder ein ausgefallenes Kreativ-Projekt. Kreisen Sie den 25. August ein, denn dann tritt die Sonne in ein fantastisches Trigon mit Uranus und Saturn.“ Hoffentlich erinnere ich mich im Sommer noch an dieses Horoskop.
„Der erste Steinbock-Neumond in Ihrem Bereich des gesunden Lebens am 31. Januar ist die ideale Zeit, um eine neue Diät oder ein Wellness–Programm anzufangen.“ Ausgerechnet an diesem Tag bin ich zu einer Party eingeladen. Lohnt sich eine Diät eigentlich, wenn ich mich ab November 13 Monate der Völlerei hingebe?
„Ziehen Sie in Betracht, heilige Orte zu besichtigen, eine Pilgerfahrt zu machen oder ein Meditations-Retreat zu besuchen. Lieber Löwe: 2018 wird eine wilde Tour.“ Heilige Orte? Das Currywurstmuseum in Berlin? Soll ich nach dem Führerschein jetzt auch noch den Heiligenschein machen? Kann ich nicht einfach 2018 ein bisschen chillen? Boah … auf 2018 habe ich jetzt schon keinen Bock mehr.
Interpol - The Undoing. https://www.youtube.com/watch?v=UgNA3VdRdRk

Dienstag, 26. Dezember 2017

Erlösung

Als ich in Berlin den Zug besteige, fühle ich mich noch gut. Nach dem Umsteigen in Frankfurt werde ich schon schwächer. Als würde ich mich auflösen. Station um Station komme ich dir näher. Ich kenne jedes Haus, jeden Hügel, jedes Feld. Als der Zug an der Endstation hält, gehe ich durch die Wand nach draußen. Ich gehe quer durch den Wald, ich brauche keine Wege. Dann stehe ich vor deinem Haus. Ich sehe dich. Du sitzt auf einem Sessel und liest ein Buch. Ich könnte einfach zu dir hinein kommen, aber ich sehe dir nur lange zu. Würdest du mich jetzt überhaupt noch bemerken? Könntest du meine Berührung noch spüren?

Samstag, 23. Dezember 2017

Die Bonetti- Regeln


1. Überfordere die Leser nicht mit deinem Genie.


2. Nicht jeder Satz muss sensationell sein. Es reicht, wenn jeder zweite Satz atemberaubend schön und voll tiefschürfender Erkenntnis ist.


3. Natürlich wird man noch in tausend Jahren Lieder über dein Leben singen. Aber die Weltliteratur gehört dir nicht allein. Lass Shakespeare und Kafka neben dir existieren.

Freitag, 22. Dezember 2017

Weihnachten – Guter Bulle, Schlechter Bulle

Ich erinnere mich noch an die Weihnachtsfeiern der Vereine, in denen meine Familie aktiv war. Damals gab es nicht den netten Coca-Cola-Weihnachtsmann, sondern die knallharte Konfrontation mit dem eigenen Schicksal und der eigenen Seele. Die Eltern hatten uns darauf vorbereitet, dass wir auf dieser Feier mit dem Nikolaus und seinem Gehilfen, dem Knecht Ruprecht, zusammentreffen würden. Wir sollten, so drohte man uns mehrfach, in uns gehen und uns fragen, ob wir das Jahr über „brav“ gewesen seien. Nun ist es als Kind schwierig, ein ganzes Jahr zu überblicken. Es moralisch zu überblicken, ist völlig unmöglich. Es selbstkritisch zu bewerten im Hinblick auf eine Weihnachtsfeier bzw. Bestrafungsorgie – absurd.
Also stand ich, als es endlich soweit war, mit klopfendem Herzen vor dem Tribunal der Erwachsenen. Bin ich „brav“ gewesen? Dann gab es Geschenke vom Nikolaus. Wenn ich nicht „brav“ gewesen bin, würde Knecht Ruprecht mich mit seiner Rute verhauen. Es wurde also offen mit Gewalt gedroht. Jedes Kind wurde einzeln aufgerufen. Vor allen Erwachsenen musste man den endlosen Weg zum Nikolaus und seinem Henker gehen. So müssen sich die letzten Meter vor dem Schafott angefühlt haben.
„Bist du denn auch brav gewesen?“ rollt es donnernd aus dem Mund vom Nikolaus. Habe ich überhaupt geantwortet? Wie durch ein Wunder ging es dennoch gut. Ich bekam eine bunte Tüte mit Walnüssen, Mandarinen und Plätzchen in die Hand gedrückt und war für dieses eine Mal von der Schuld eines Jahres voller Ungehorsam und alberner Streiche befreit. Dazu gab es eine Ermahnung für das weitere Leben, die – wie ich erst als Erwachsener erfuhr – von den Eltern in Auftrag gegeben worden war.

Donnerstag, 21. Dezember 2017

Suchen Sie eine Wohnung?

Ich habe mal im Koalitionsvertrag von Merkel und ihren Vasallen von 2013 nachgeschaut. 2017 müsste also alles paletti sein. Genügend Wohnungen, bezahlbare Mieten. Hier ist zu Ihrer Erheiterung und vorweihnachtlichen Entspannung der Originaltext:
Gutes und bezahlbares Wohnen
Bündnis für Wohnen
Eine hohe Wohn- und Lebensqualität der Menschen in Deutschland sind ein wichtiges Ziel unserer Politik. Dem weiter wachsenden Wohnungsbedarf in den Ballungszentren und vielen Groß- und Hochschulstädten, dem notwendigen energetischen Umbau sowie den demografischen und sozialen Herausforderungen muss entsprochen werden.  (…)
Sozialer Wohnungsbau/Wohngeld
Wir setzen auf eine Wiederbelebung des Sozialen Wohnungsbaus. (…). Um Menschen mit geringeren Einkommen direkt zu helfen und gutes Wohnen zu ermöglichen, wollen wir die Leistungen des Wohngeldes weiter verbessern (…).
Bezahlbare Mieten
Damit Wohnraum insbesondere in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten bezahlbar bleibt, räumen wir den Ländern für die Dauer von fünf Jahren die Möglichkeit ein, in Gebieten mit nachgewiesenen angespannten Wohnungsmärkten bei Wiedervermietung von Wohnraum die Mieterhöhungsmöglichkeiten auf maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu beschränken. (…)
Künftig sollen nur noch höchstens 10 Prozent - längstens bis zur Amortisation der Modernisierungskosten - einer Modernisierung auf die Miete umgelegt werden dürfen. (…)
Bauqualität
Große öffentliche Bauvorhaben müssen in puncto Baukosten und Termintreue wieder verlässlicher werden.“ (S. 114ff.)
Wenigstens die Sache mit den Großprojekten hat ja geklappt. Danke, liebe GroKo.
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile
Dieser Text ist voller zeitlos schöner Perlen, die wir hoffentlich auch im nächsten Koalitionsvertrag finden werden. Ein Beispiel: „Deutschland soll sich zu einem digitalen Kulturland weiterentwickeln.“ (S. 136) Oder auch: „Die Koalition will unabhängige Buchhandlungen in ihrer Funktion als Ort der kulturellen Vermittlung und Begegnung und angesichts der stetigen Zunahme des durch große Marktakteure geprägten Versandbuchhandels stärken.“ (ebenda)
Erinnert sich noch jemand an den NSA-Skandal aus dem Jahr des Vertrags? Ist von Merkel & Co. schon abgehakt.
Konsequenzen aus der NSA-Affäre
Wir drängen auf weitere Aufklärung, wie und in welchem Umfang ausländische Nachrichtendienste die Bürgerinnen und Bürger und die deutsche Regierung ausspähen. Um Vertrauen wieder herzustellen, werden wir ein rechtlich verbindliches Abkommen zum Schutz vor Spionage verhandeln.“ (S. 149)
P.S.: Auf Seite 98 taucht auch das Politikfeld auf, mit dem ich mich als Wissenschaftler zehn Jahre beschäftigt habe. Fortschritte gab es allerdings nicht zu vermelden.
Zeitpolitik: Familien brauchen Zeit füreinander. Deshalb machen wir uns stark für eine moderne lebenslauforientierte Zeitpolitik, die Frauen und Männer dabei unterstützt, Beruf, Familie und Engagement zu vereinbaren. Wir wollen Familien wieder zum Taktgeber des Lebens machen: Arbeitgeber, Betreuungseinrichtungen, Schulen, Ämter und Behörden, Dienstleistungsanbieter und Verkehrsbetriebe sollen die zeitlichen Bedürfnisse von Familien besser berücksichtigen und ihre Öffnungs- und Sprechzeiten aufeinander abstimmen. Zeitpolitik befördert wesentlich Wahlfreiheit und ein partnerschaftliches Zusammenleben in Familien.“

Freunde und sogenannte Freunde

„Gehen Sie zur Hölle. Gehen Sie direkt dorthin. Gehen Sie nicht über Gott.“ (John Sladek: Die stählerne Horde)
2013 – das Unglücksjahr. Im Mai habe ich einen Nervenzusammenbruch. Im Monat zuvor habe ich meinen letzten Roman abgeschlossen. Bis heute habe ich nicht mehr die Kraft zu großen Projekten gefunden und begnüge mich mit den kleinen Fingerübungen, mit denen ich mein Blog fülle.
Die Handlung dieses letzten Romans namens „Rheinkind“ spielt im Jahr 1980, ich gehe gedanklich in meine Kindheit und Jugend zurück. Ich lese die Tagebücher, die ich zwischen 1977 und 1982 geschrieben habe. Ich bestelle mir im Internet meine Lieblingskinderbücher „Ganki im Zauberwald“ von Antonia Arnold (damals habe ich es 5 x gelesen) und „Das Tal der Abenteuer“ von Enid Blyton und lese sie noch einmal. Ich bestelle mir sogar ein paar Spielsachen, die ich in meiner Kindheit mochte. Kurz: Ich versetze mich zum Schreiben in die Vergangenheit zurück.
2013: Ich verbringe fünf Wochen in einer Klinik. Danach ziehe ich von Berlin nach Schweppenhausen. Ein neues Leben beginnt, aber es ist die Hölle. Viele Monate liege ich mit einer schweren Depression im Bett. Ich bekomme Psychopharmaka, ich beginne eine Therapie, die bis Mai 2014 dauert. Es ist eine schreckliche Zeit, aber sie hat einen entscheidenden Vorteil. Ich weiß jetzt, auf wen ich mich verlassen kann. Wenn du ganz unten bist, weißt du genau, wer deine Freunde sind. Und wer die Schönwetterbekanntschaften sind, die dich nur kennen, wenn du dich mit ihnen einmal im Quartal in der Kneipe oder im Café zu oberflächlichem Geplauder triffst.
Auf meine Familie kann ich mich zu einhundert Prozent verlassen. Eine beruhigende Erfahrung. Der Freundeskreis gibt ein gemischtes Bild ab. Einige nehmen lange Reisen auf sich, um mich im Krankenhaus zu besuchen. Dann gibt es wiederum eine „Freundin“, die nur vier Kilometer Luftlinie von meinem damaligen Aufenthaltsort entfernt lebt – es sind zehn Minuten mit der U-Bahn – und dennoch in diesen fünf Wochen nicht die Zeit findet, mich einmal zu besuchen.
Aber eine Nachbarin, die ich vorher nur von kurzen Gesprächen im Hausflur kenne, kümmert sich rührend um mich. Eine Geschäftsfrau, deren Mann zu dieser Zeit schwer krank ist. Drei Monate später stirbt er. Und trotzdem findet diese Frau die Zeit, regelmäßig bei mir vorbei zu kommen. Während ich in der Klinik bin, ist auch noch in meine Wohnung eingebrochen worden. Sie kümmert sich um alles, sie hilft mir. Ein Mensch, der überhaupt nicht unter der Rubrik „Freundeskreis“ auftaucht, wird in dieser Zeit zu einer neuen Freundin.
Als ich monatelang in Schweppenhausen liege und die Decke anstarre, kommt ein „Freund“, der nur dreißig Autominuten entfernt in Mainz lebt, nicht ein einziges Mal vorbei. Jedes Wochenende fährt er zwei Mal an der Autobahnausfahrt von Schweppenhausen (ab da sind es noch zwei Kilometer bis zu mir) vorbei, wenn er seine Freundin in Köln besucht. Jeden Freitag. Jeden Sonntag. Er biegt kein einziges Mal ab, um zu sehen, wie es mir geht. Nach Berlin ist er zuvor natürlich auch nicht gekommen, obwohl er es als Erster in meinem Freundeskreis erfahren hat. Mein Vater hatte ihn angerufen.
Ich habe damals viel über das Thema Freundschaft lernen können. Selbst finstere Zeiten sind am Ende doch für etwas gut.
Dionne Warwick - That's What Friends Are For. https://www.youtube.com/watch?v=HyTpu6BmE88

Mittwoch, 20. Dezember 2017

Ansichten eines Blinden


Blogstuff 180
„Ich arbeite nicht. Ich esse, ich trinke und wenn ich müde bin, lege ich mich schlafen. Arbeiten die Tiere im Wald? Denken Sie mal darüber nach. Ich kann jederzeit aufstehen und gehen, wohin ich will. Können Sie das auch?“ (aus: Andy Bonettis vielbeachteter Rede an die Weltbevölkerung)
Je älter ich werde, desto stärker verwischt sich für mich die Grenze zwischen Mensch und Tier. Neunzig Prozent der Menschheit ist doch so blöd wie das Vieh in den Ställen – sei es als Kunde, als Wähler oder als Reisender.
Niemand bezahlt mich fürs Bloggen, niemand gibt mir den Befehl, niemand setzt mir einen Termin oder ein Thema. Ohne diese völlige Freiheit wäre Bloggen ja total sinnlos. Kommerzielle Blogs sind daher keine Blogs im eigentlichen Sinne. Man hat ja früher auch nicht am Schreibtisch gesessen und ein kommerzielles Tagebuch geschrieben.
Frauen lästern gerne über Menschen, die sie kennen. Männer lästern gerne über Menschen, die sie nicht kennen.
Wenn ich einmal auf dem Sterbebett liege, werden nicht die Stationen meines Lebens an mir vorüberziehen, sondern die Leute, die mir in diesem Leben auf den Sack gegangen sind. Es wird wie der Einmarsch der Nationen bei den Olympischen Spielen sein, sämtliche Vollidioten aus allen Jahrzehnten, wohlgeordnet in alphabetischer Reihenfolge.
Bonetti – das ist die literarische Strukturierung der gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Mit der stoischen Ruhe einer aztekischen Gottheit sah sich die Kleine, die aufrecht in ihrem Kinderwagen saß, nach allen Seiten um. In diesem Alter können Kinder grausame Götter sein, wenn sie zehn Mal ihren Teddy aus dem Wagen schleudern, wir ihn zehn Mal aufheben und ihnen wiedergeben, um einen Heulkrampf zu verhindern, gleichzeitig aber wissen, dass dieses blöde Plüschteil auch zum elften Mal rausfliegen wird.
Daran erkennt man den deutschen Untertan: Er klatscht eifrig bei den Ausführungen eines Claus von Wagner oder Volker Pispers und dann wählt er doch wieder SPD.
„Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst“, wirbt die Bundeswehr, schwer demokratisch bewegt. Wenn ich aber gegen euch bin und die Ausfahrt einer Panzerkolonne friedlich blockiere, kommt halt doch die Polizei und haut mir mit dem Knüppel auf den Kopf, gelle? Oder habe ich die Demokratie irgendwie falsch verstanden? Schickt mir die Antwort ruhig mit einer Drohne.
„Ich bin als starker Mann im ganzen Ort bekannt. Von weit her ruft man mich, um Gurkengläser zu öffnen. Aber vor diesem Glas Erdbeermarmelade versagten meine titanischen Kräfte – ich war fassungslos. Dann aber fasste ich neuen Mut. „Weib“, rief ich, „hol den Werkzeugkasten!“ Und leise zu meiner Tochter: „Und du holst den Verbandskasten.“ So oder so, bald würde roter Saft durch die Küche spritzen …“ (Heinz Pralinski: Do it yourself – die Wahrheit).
Hätten Sie’s gewusst? „Der Leberwurstbaum (…) ist eine Pflanzenart aus der Familie der Trompetenbaumgewächse (Bignoniaceae). Die Art ist die einzige in der monotypischen Gattung Kigelia. Der Baum stammt ursprünglich aus Westafrika, er ist heute aber in ganz Afrika verbreitet.“ (wikipedia)
Jetzt weiß ich endlich, was mir an Berlin rein äußerlich gefällt. „Innerlich“ ist klar: jede Menge Action und den Leuten ist alles egal. Aber vom optischen Standpunkt ist Berlin ja keine Schönheit. Und die übliche Bemerkung, der Gendarmenmarkt sei doch schön – geschenkt. Bei einem hässlichen fetten Weib rettet die Frisur schließlich auch nichts mehr. Was mich anzieht: Berlin ist gebraucht, Berlin wirkt benutzt. Nicht wie ein neues Spielzeug, das noch nie aus der Originalverpackung genommen wurde, sondern abgegriffen und voller Gebrauchsspuren. Die Stadt wirkt deswegen seit Ewigkeiten so unfertig, weil ja jeder weiß, dass nach ein paar Jahren die schönen neuen Gebäude wieder abgeranzt, kaputt und beschmiert sein werden. Berlin, das ist der „Used Look“, den wir von Jeans kennen und schätzen. Es ist nicht so geleckt wie Baden-Baden oder München.
The Specials – Long Shot Kick De Bucket. https://www.youtube.com/watch?v=R6lbVLny2Jg

Dienstag, 19. Dezember 2017

FDP-Stellenangebot - Ohne Worte

"Wir Freie Demokraten im Deutschen Bundestag sind das aufregendste Start-up-Projekt der deutschen Politik. Wir wollen die Zukunft unseres Landes aktiv gestalten und suchen für das Abgeordnetenbüro des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers Dr. Marco Buschmann MdB einen
wissenschaftlichen Mitarbeiter (m/w)
in Berlin.
Sie erwartet
ein Arbeitgeber in einer Aufbruchssituation jenseits aller eingeschliffenen Routine,
eine abwechslungsreiche und interessante Tätigkeit in einem Team aus Überzeugungstätern,
mit Arbeitsplatz im Herzen Berlins sowie eine leistungsgerechte Vergütung."
(Quelle: FAZ Stellenmarkt)

Montag, 18. Dezember 2017

Nachts auf dem Fahrrad

„Ohne Wein und ohne Weiber / Hol der Teufel unsre Leiber“ (Konrad Stanko)
Ich war eigentlich schon achtzehn, aber ich hatte immer noch keinen Führerschein. Also fuhr ich mit dem Klapprad zu ihr, das mir meine Mutter gekauft hatte, als ich noch in die Grundschule ging. Für mich war es Understatement, mit meinen einsneunzig, dem Stone-Washed-Jeansanzug und der Verbrechervisage auf so einer Affenschaukel unterwegs zu sein, während die anderen Jungs schon mit ihrem ersten Auto angaben. Na und?
Ich klingelte. Der seriöse Big-Ben-mäßige Klingelton passte zur Villa. Ein Mercedes parkte vor der Garage. Der Rest der Straße sah auch nach Geld aus. Zum Glück machte sie gleich auf, bevor ich es mir nochmal anders überlegen konnte. Wenn ihre Mutter oder ihr Vater aufgemacht hätten – ich weiß nicht. Ich folgte ihr ins Haus und merkte zu spät, dass ich mir die Füße nicht abgetreten hatte und auch nicht gefragt hatte, ob ich die Schuhe ausziehen soll.
Von links kam ihre Mutter dazwischen gegrätscht wie ein Verteidiger. Ich spielte zu dieser Zeit Linksaußen, ich kannte die Tricks. Dieses Scheißlächeln werde ich nie vergessen. Und dann kamen die Fragen. Während ich routinemäßig antwortete, was ich denn eigentlich sei – Herkunft, Hobbies, Lebensplanung bis 65 -, fragte ich mich, was mir bevorstehen würde, wenn ich dieses Level endlich geknackt hätte.
Es war der Konzertflügel im Wohnzimmer, der extra für das verwöhnte Einzelkind mit den langen blonden Haaren, Prinzessin Lillifee auf ihrem rosaroten Einhorn, angeschafft worden war. Was sollte ich dazu sagen? Ich konnte noch nicht mal Noten lesen und das einzige Instrument in unserer Mietwohnung war die Blockflöte von meiner Schwester. Mit meinem Plädoyer für Punk und Heavy Metal – ein BASF-Chromdioxid-Band mit entsprechendem Material lauerte in der Innentasche meiner Jeansjacke – erntete ich nur ein fassungsloses Kopfschütteln der Mutter und klammheimlich zugeblinzeltes Einverständnis der Tochter.
Wir verzogen uns in ihr Zimmer ein Stockwerk tiefer und ich legte meine Musik auf. Erst tranken wir Wein, dann kamen Spirituosen ins Spiel. Diese Familie, Vater Zahnarzt, Mutter Studienrätin, war mindestens so gut sortiert wie meine Stammkneipe am Ingelheimer Bahnhof. Davon konnte ich nur träumen. Bei mir zu Hause musste ich aufpassen, dass meine Mutter, eine Putzfrau mit einem Faible für eine Flasche Billigsekt schon in der Mittagspause, mir nicht den Bierkasten leertrank, wenn ich abends um die Häuser zog.
Alsbald knutschten wir hemmungslos und meine Hand wanderte ungehindert unter ihr T-Shirt, wo ich zu meiner Überraschung eine knappe Handvoll warmes Glück zu fassen bekam, das nicht durch einen BH blockiert war. Es war ein schönes Besäufnis bei guter Musik, aber ich habe sie nach diesem Abend nie mehr wiedergesehen.
Es heißt, sie hätte einen Akademiker aus gutem Hause geheiratet, Karriere gemacht, ein Reihenhaus gekauft, Kinder bekommen und überhaupt den ganzen bürgerlichen Kanon abgearbeitet. Und ich? Ich habe noch nicht einmal ein Klapprad. In meiner Hosentasche klimpern ein paar Münzen und ich habe keine Ahnung, was morgen sein wird.
Depeche Mode – Blue Dress. https://www.youtube.com/watch?v=vamnlQ45P7E

Samstag, 16. Dezember 2017

Digitalisierung Rulez II

„Was ist die Welt und ihr berühmtes gläntzen?
Was ist die Welt und ihre gantze Pracht?
Ein schnöder Schein in kurtzgefasten Gräntzen
Ein schneller Blitz bey schwartzgewölckter Nacht.
Ein bundtes Feld da Kummerdisteln grünen;
Ein schön Spital so voller Kranckheit steckt.
Ein Sclavenhauß da alle Menschen dienen.“
(Christian Hofmann von Hofmannswaldau: Die Welt)
Im Sommer machte der FDP-Politiker Alexander Sebastian Léonce Freiherr von der Wenge Graf Lambsdorff (so viel Zeit muss sein) den grandiosen Vorschlag, alleinerziehende Mütter sollten doch in Immobilien investieren. Sehr gut, man spart die Miete und hat auch etwas für seine Altersvorsorge getan. Aber denken wir doch mal weiter: Wie wäre es, wenn man zwei oder drei Wohnungen kauft? Dann könnte man von der Vermietung der anderen Wohnungen leben. Oder gleich ein ganzes Mietshaus? Dann wäre es ein Leben in Saus und Braus. Die alleinerziehende Mutter könnte die Geschäfte von der Finca auf La Gomera leiten und ein Kindermädchen würde sich um den Nachwuchs kümmern, während der Nagellack trocknet. Muss man den Frauen eigentlich alles erklären?
Aber jetzt kommt’s. Im Zuge der Digitalisierung und der sogenannten Künstlerischen Intelligenz (oder so ähnlich) machen bald Roboter unsere Arbeit. Warum kaufen Sie sich nicht einen Roboter, der für Sie arbeitet? Er geht morgens aus dem Haus, ach was, er kommt erst gar nicht nach Hause, weil er nicht schlafen oder fernsehen muss. Er kann drei Schichten pro Tag arbeiten und für Sie drei Gehälter erwirtschaften, während Sie in Unterhosen vor dem Computer sitzen und diesen Text lesen. Und jetzt denken Sie mal weiter: zwei Roboter. Können Sie mir folgen? Diese Zeilen hat übrigens der neue Apple Spartacus geschrieben. Ich rufe ihm nur noch vom Sofa die Themen zu. Menschen ohne Geld sind so blöd, ich fasse es manchmal gar nicht.
Tres – Operator. https://www.youtube.com/watch?v=sgjZzK7c0Sc

Der hundertste Geburtstag von Arthur C. Clarke

Dieser Mann war eine Inspiration. Danke. Andere haben Lobeshymnen geschrieben, die ich nicht übertreffen kann.

https://www.derstandard.de/story/2000070275689/der-star-und-die-sterne-100-geburtstag-von-arthur-c

Freitag, 15. Dezember 2017

+++ breaking news +++ Dschungel-Koalition steht

Martin Schulz verkündet die Mitglieder für das Dschungelcamp 2018:
Tina York - Kultur
Sydney Youngblood - Integration
Natascha Ochsenknecht - Frauen & Familie
Ansgar Brinkmann - Sport
Tatjana Gsell - Sex, Crime & Punishment
Sensation! Nicht dabei: Angela Merkel, Flinten-Uschi und Grummel-Gabriel.

Mittwoch, 13. Dezember 2017

Vier Jahre

Es ist vier Jahre her, dass ich von den Toten wiederauferstanden bin. Am 28. September 2013 hatte ich mich von meinen Lesern verabschiedet und mein Blog geschlossen. Der einzige Leser, der das damals im Kommentarbereich bedauerte, war übrigens der Kiezneurotiker.
Am 1. Oktober geschah etwas, dass ich selbst aufgrund eines Filmrisses nicht einordnen kann. Die Ärzte auf der Intensivstation, in der ich einen Tag später, an diverse Schläuche angeschlossen, wieder aufwachte, sprachen von einem Selbstmordversuch. Ich neige dazu, von einem Besäufnis zu sprechen. Die Tanknadel zeigte jedenfalls 3,5 Promille. Man beschloss, mich in die geschlossene Anstalt in Simmern zu verfrachten, das übliche Verfahren bei Selbstmördern in unserem Landkreis. Nach fünf Tagen wurde ich auf eigenen Wunsch entlassen und ließ einen Haufen netter Junkies auf Entzug, depressive Zombies (zu denen ich damals auch zählte) und echte Bekloppte zurück.
Am 8. Dezember 2013 wurden meine Leser Zeuge des spektakulärsten Comebacks seit Lazarus. Ich war wieder online! Ich bezeichnete mich in meinem ersten Text als „Dorfschreiber von Schweppenhausen“. Seit einigen Monaten lebte ich wieder in der alten Heimat. Der Lachs hatte den Weg zurück zu seiner Quelle gefunden. Dort ist er auch heute noch. Seit diesem Tag sind 1925 Postings in die Welt hinausgegangen. Und es ist noch nicht das Ende. In meinem zweiten Leben bin ich noch ein kleines Kind. Vier Jahre sind nichts im Vergleich zu den 47 Jahren meiner ersten Karussellfahrt.

Dienstag, 12. Dezember 2017

Digitalisierung Rulez!

Kennen Sie das European Train Control System (ETCS)? Es wird auf der neuen Bahnstrecke zwischen Berlin und München erstmals eingesetzt und soll bald bundesweit verwendet werden. Dann ist der Zugverkehr endlich komplett automatisiert.
Die Lokführer, die in den vergangenen Jahren immer gestreikt haben, werden alle arbeitslos werden. Ha! Digitalisierung strikes back, elendes Gewerkschaftspack. You're fired, Claus Weselsky!
„Nach der Ausbildung rangiert die tarifliche Bruttogrundvergütung von Lokführern zwischen 2.430 und 2.709 Euro brutto monatlich“ (www.karrieresprung.de). Das sind netto immerhin zwischen 1.593 und 1.737 Euro. Da ist man gleich im ersten Monat der Arbeitslosigkeit auf Hartz IV-Niveau.
So läuft die Arbeitswelt der Zukunft. Nur die Abstimmungsroboter in Menschengestalt, die im Bundestag sitzen, werden bis zum Ende nicht durch Maschinen ersetzt werden.

Was wurde eigentlich aus …?

„Geld verdienen, sagte ich, kann man nur auf einen Haps. Ein Pferd, ein Bankraub, ein Buch; mehr braucht man nicht. Einmal im Leben muss genügen. (…) Darauf diente ich ihm spontan und unaufgefordert mit einer Erklärung, welche mein Werk betraf und Einblick gewährte in seine Ästhetik, seinen Dämon, seine Aussage, seinen Kummer und seine Freude, seine Dunkelheit, seine sonnenfunkelnde Klarheit.“ (Flann O’Brien: In Schwimmen-Zwei-Vögel)
„Nennt mich Ismael“, sagte der alte Mann mit brüchiger Stimme.
Sie saßen zu dritt auf einer Bank vor dem Seniorenzentrum Unkenpfuhl in Wichtelbach. Die Sonne schien auf ihre leberfleckigen, pergamenthäutigen und spindeldürren Finger, die Gehstöcke aus Nussbaum umklammert hielten.
„Einst befuhr ich die sieben Weltmeere auf einem Walfänger unter dem Kommando von Käpt’n Ahab. Aber das Glück war uns nicht lange hold und das Schiff sank. Als Schiffbrüchiger wurde ich vor dem sicheren Tod gerettet.“
„Du bist sicher nie wieder zur See gefahren“, sagte Oliver, der links neben ihm saß.
„Ich war traumatisiert und habe in Boston eine Therapie gemacht. Danach habe ich als Kellner, Automechaniker und Verkäufer gearbeitet. Aber später zog es mich doch wieder zurück aufs Meer. Ich habe eine Umschulung in der Tourismusbranche gemacht und arbeitete auf einem Schiff, das mit Touristen aus aller Welt vor Nantucket rumgeschippert ist. Whale Watching war ein Riesending und ich war jeden Abend wieder zu Hause.“
„Ich habe auch eine Umschulung gemacht“, sagte K, der rechts von Ismael saß. „Ursprünglich war ich Landvermesser. Aber als ich in das Dorf kam, musste ich feststellen, dass gar kein Landvermesser gebraucht wurde.“
„Was hast du dann gemacht?“ fragte Ismael.
„Ich bin natürlich zur Schlossbehörde, um mich zu beschweren. Das war gar nicht so einfach. Ständig kam irgendwas dazwischen. Frauen, Alkohol, merkwürdige Öffnungszeiten. Aber schließlich habe ich es doch noch geschafft. Ich wurde zum Versicherungsangestellten umgeschult und habe den Arbeitern im Dorf Unfallversicherungen verkauft. Das lief ganz gut.“
„Ihr habt ja ganz schön viel gearbeitet“, sagte der alte Oliver Twist und lächelte. „Nach meiner Zeit im Waisenhaus und der Adoption durch Mr. Brownlow habe ich als junger Mann eine schöne Frau kennengelernt. Eine junge Witwe mit Vermögen. Meine Story ist ja damals durch alle Zeitungen gegangen. Da gab es so viele Frauen, die mich trösten wollten, das glaubt ihr gar nicht. Zeitweise war ich mit zwei Frauen gleichzeitig verheiratet.“
„Alter Bigamist“, kicherte K.
„Ach was, ich bin doch gar nichts gegen den Mann da drüben“, sagte Oliver und deutete mit seinem Gehstock auf einen Mann, der über einen Weg im Park spazierte. „Das ist Felix Krull, der größte Betrüger im ganzen Altersheim. Nehmt euch bloß vor dem in Acht.“
„Neulich hat er Hank Chinaski, den alten Säufer, beim Kartenspiel ausgenommen“, pflichtete Ismael ihm bei. „Du kannst heute keinem mehr trauen.“
Die drei Männer nickten und schwiegen.
Martha and The Muffins - Echo Beach. https://www.youtube.com/watch?v=WNy8ePVkPVk

Sonntag, 10. Dezember 2017

Deutschland 2018

In den frühen Morgenstunden halten drei Jeeps vor dem Reichstag. Junge Frauen und Männer mit schwarzen Flaggen, auf denen ein weißes A in einem Kreis zu sehen ist, betreten das Gebäude. Niemand hält sie auf. Es gibt seit Monaten keine Regierung mehr, keine Sitzungen des Bundestags – und die Polizisten streiken, weil ihre Gehälter nicht mehr reichen, um die Miete zu bezahlen.
Wenig später sind auch die staatstragenden Fernseh- und Radiostationen friedlich besetzt. Die Bevölkerung wird darauf hingewiesen, dass eine Revolutionsregierung die Macht übernommen hat. Erste Beschlüsse der neuen Regierung betreffen die Beschlagnahmung sämtlicher Bankguthaben über fünfzigtausend Euro. Die Bürger dürfen sich bei den Banken tausend Euro in bar als Begrüßungsgeld abholen. Bald bilden sich lange Schlangen von Bedürftigen vor den Filialen.
Das Programm ist einfach: Verstaatlichung von Schlüsselindustrien wie Energie und Immobilienwirtschaft, aber auch von Krankenhäusern und Pflegeheimen. Erhöhung des Spitzensteuersatzes und der Grundsteuer für Immobilienbesitzer. Ehemalige Milliardäre und Multimillionäre arbeiten zwanzig Stunden pro Woche für das Allgemeinwohl, ob als Straßenkehrer oder Altenpfleger. Angela Merkel wird nach Helgoland ins Exil geschickt, zusammen mit den Spitzenpolitikern aller Parteien, die im Bundestag waren.

Samstag, 9. Dezember 2017

Adventszeit, Zeit des Mitgefühls

Ich sitze in einer Kneipe in Stromberg, im „??? Bistro“*, und helfe einem Freund, eine Weihnachtskarte an seinen krebskranken Cousin zu schreiben. Jetzt rächt es sich, dass ich in meiner Kindheit nur Mad und Titanic gelesen habe. Wir lachen uns kaputt, denn uns fallen laufend Formulierungen ein, die man unmöglich bringen kann. „Das Wetter hier ist trübe und ich muss gerade an dich denken“ oder „In meinem Herzen ist November. Wie geht es dir?“ Sollen wir dem bereits halbseitig gelähmten Mann schreiben, dass wir am helllichten Tag beim dritten Schoppen sind? „Wir machen gerade eine mehrstündige Kur im Hunsrück“ oder so? Der Wirt, der seine Stammgäste an der Tür mit dem Spruch „Ach du Scheiße, da kommt die nächste Schwuchtel“ begrüßt, macht es uns auch nicht einfach, in eine vorweihnachtlich-empathische Stimmung zu kommen. Wir brauchen eine halbe Stunde, um einen nichtssagenden und unverfänglichen Text zu produzieren.
„Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen Dir und Deiner Frau ^%§“ (unleserliches Gekrakel, weil der Kollege natürlich den Namen vergessen hat), schreiben wir am Ende. Dann klatschen wir uns ab und stoßen mit einem Ouzo an. Uns werden an Weihnachten böse Dickens-Geister heimsuchen und wir werden in der Hölle brennen, soviel ist schon mal klar.
*Kein Witz, es heißt wirklich so, gegenüber ist die „Sparkasse im deutschen Michel“, weil sich dieses Kaff fälschlicherweise zur Heimat des deutschen Michels erklärt hat – aber das ist eine andere Geschichte. Und warum heißt es nicht „zum deutschen Michel“. Hat er in dem Haus gewohnt? Oder habe ich mich verlesen? Sie merken schon: Dieser Text hat keine Struktur.

Deutsche Literatur – eine Betriebsanleitung

„Niemand wird lesen, was ich hier schreibe, niemand wird kommen, mir zu helfen; wäre als Aufgabe gesetzt mir zu helfen, so blieben alle Türen aller Häuser geschlossen, alle Fenster geschlossen, alle liegen in den Betten, die Decken über den Kopf geschlagen, eine nächtliche Herberge die ganze Erde. (…) Der Gedanke, mir helfen zu wollen, ist eine Krankheit und muss im Bett geheilt werden.“ (Franz Kafka: Der Jäger Gracchus)
Im Grunde genommen ist die Arbeit eines Schriftstellers ganz einfach. Eigentlich muss man nur die Regeln kennen. Nehmen wir also für einen Augenblick an, sie wären als Schriftsteller tätig. Es ist acht Uhr morgens und Sie sitzen in Ihrem Büro. Es geht los.
Sie haben eine Idee für eine Kurzgeschichte. Füllen Sie bitte das Eingangsformular aus. Datum, Uhrzeit, eine kurze Skizze der Idee und einen guten Grund, sie schreiben zu wollen.
Versehen Sie die Idee mit einer Kennziffer, die sie in das Verzeichnis für eingegangene Ideen eintragen.
Füllen Sie nun das Bearbeitungsformular aus. Notwendig sind Angaben über den Umfang der Kurzgeschichte, Ort und Zeitpunkt des Geschehens, handelnde Personen und eine grobe Skizze des Handlungsverlaufs.
Das Bearbeitungsformular heften Sie bitte im blauen Ordner ab.
Schreiben Sie anschließend die Geschichte. Bitte fassen Sie sich kurz, da es sich um eine Kurzgeschichte handelt.
Eine Kopie der Geschichte heften Sie bitte im roten Ordner ab.
Schicken Sie die Geschichte an Ihr Lektorat. Dazu füllen Sie ein Ausgangsformular aus.
Abgelehnte Manuskripte heften Sie bitte im schwarzen Ordner ab, angenommene Manuskripte kommen zur Wiedervorlage in den Eingangskorb rechts auf Ihrem Schreibtisch.
Den rosafarbenen Durchschlag des Kontaktformulars Ihres Verlags heften Sie bitte im braunen Ordner ab.
Im Regelfall bittet Sie das Lektorat, das Manuskript noch einmal zu überarbeiten. Dazu füllen Sie ein Überarbeitungsformular aus.
Wenn Sie das Manuskript überarbeitet haben, schicken Sie es erneut an den Verlag. Vergessen Sie nicht, ein weiteres Ausgangsformular auszufüllen.
Den gelben Durchschlag schicken Sie an das Statistische Bundesamt in Wiesbaden, den grünen Durchschlag schicken Sie an die VG Wort, die Ihre Rechte als Schriftsteller wahrnimmt.
Veröffentlichte Manuskripte werden kopiert und im weißen Ordner abgeheftet.
Dieses Verfahren wurde vom BAKU (Bundesamt für kategorische Umständlichkeit) entwickelt und hat sich seit vielen Jahren im deutschen Literaturbetrieb bewährt.
Sollten Sie Fragen zur deutschen Literatur haben, benutzen Sie bitte Formular X79. Senden Sie die Durchschläge an Ihre örtliche Kulturverwaltung und an den Bundesverband deutscher Schriftsteller. Heften Sie die Eingangsbestätigungen der zuständigen Behörden bitte im grauen Ordner ab.
Prince – I Wish U Heaven. https://www.youtube.com/watch?v=nomKVJTla6g

Donnerstag, 7. Dezember 2017

Gleichheit

Warum ist Gleichheit aus der Mode gekommen? Ich finde die Augenblicke großartig, in denen die Gleichheit zu spüren ist. Als neulich der erste Schnee in unserem Dorf fiel, gingen am nächsten Morgen alle Männer hinaus, um den Gehweg frei zu schaufeln. In meiner unmittelbaren Nachbarschaft: ein Rechtsanwalt, ein Gebrauchtwagenhändler, ein Polizist, ein Rentner und der größte Schriftsteller der Verbandsgemeinde Stromberg. Es war ein gutes Gefühl, dass alle die gleiche Arbeit machten. Wir hielten ein Schwätzchen, wir waren in diesem Augenblick eine zufriedene Gemeinschaft. Es kann so einfach sein.

Schreiben

Als Schriftsteller werde ich natürlich oft gefragt, wie ich schreibe. Damit meine ich den rein technischen Aspekt, nicht die Inspiration, den Aufbau eines Textes, die Recherche, das Überarbeiten, die Suche nach einem Verlag, den Umgang mit Nobelpreisen usw. Meistens schreibe ich – leider – am Computer. Wir alle tippen mittlerweile auf einer Tastatur herum, sei es auf dem Smartphone, dem Tablet oder dem PC, und fabrizieren fortwährend Druckbuchstaben. Es gibt sogar schon Diskussionen, den Kindern in der Schule nur noch diese Buchstaben beizubringen und die Schreibschrift sterben zu lassen.
Ich finde das schrecklich. Grausam. Ich bin so deprimiert, dass mir die Worte fehlen. Die Schreibschrift. Die schönste Form des Schreibens. Die individuelle Form des Ausdrucks. Jeder hat eine andere Schrift, wenn er auf diese Weise schreibt. Sie gehört zu uns wie der Fingerabdruck, wie das Gesicht oder die Stimme. Die Schreibschrift gehört zu den Dingen, die uns ausmachen. Die uns einzigartig machen und uns von anderen unterscheiden.
Natürlich schreibe ich auch immer noch mit einem Stift auf Papier. In der Schreibschrift bildet ein Wort einen Zusammenhang, es ist keine militärische Kolonne von einzelnen Buchstaben wie die Druckschrift. Ich erkenne am nächsten Tag an meiner Schrift, ob ich übermütig oder kleinlaut war, ob ich betrunken oder nüchtern war. Ob es in reiner Form aus mir geflossen ist oder ob das Schreiben mühsam war. Das sieht man an den durchgestrichenen Worten und Sätzen. Ich sehe Sternchen und die dazugehörenden Ergänzungen am unteren Rand des Blatts. Das alles geht mit dem Computer und der Druckschrift für immer verloren.
Wie schreibe ich? Zunächst ist es wichtig, dass der Stift weich über das Papier gleitet. Die Schrift muss den Gedanken folgen können. Wenn ich fest aufdrücken muss oder die Tinte nicht schnell genug fließt, behindert mich das Schreibwerkzeug. Dann ist es wichtig, dass der Stift gut in der Hand liegt. Er muss passen wie ein alter Schuh. Auch die Farbe der Schrift ist wichtig. Normalerweise schreiben wir mit Dunkelblau oder Schwarz. Ich hatte vor langer Zeit eine hellblaue Phase, das Schriftbild hat mir sehr gut gefallen. Es gab aber auch grüne, rote und lila Epochen in meinem Leben. Schreiben hat nicht nur einen inhaltlichen, sondern auch einen haptischen und einen ästhetischen Aspekt.
Ich hoffe, Sie haben jetzt Lust auf das Schreiben bekommen. Zögern Sie nicht, schreiben Sie!
DAF - Verschwende Deine Jugend. https://www.youtube.com/watch?v=Vwyx8_5Dko0

Mittwoch, 6. Dezember 2017

Kein Vergleich!

Nein. Das wird jetzt kein Vergleich zwischen Adolf Hitler und Angela Merkel. Unterschiedlicher können zwei Menschen nicht sein – auch wenn sie nur ein einziges Ei trennt.
Aber eine winzige Gemeinsamkeit haben sie doch: Beide machen bzw. machten sich nichts aus Geld und materiellen Dingen. Hier der Führer, ein Asket, Vegetarier und Abstinenzler, der sich nicht persönlich bereichert hat. Der sich selbstlos in den Dienst des Volkes gestellt hat. Da die Königin der Herzen, die in ihrer Freizeit bescheiden am häuslichen Herd in der Kartoffelsuppe rührt, die Pomp und Pathos scheut, der man ihre Unbestechlichkeit – im Gegensatz zu ihrem Ziehvater Kohl – in jeder Sekunde abnimmt.
So liebt der idealistische und treue Deutsche sein Führungspersonal. Es hat niemals Interesse an materiellen Dingen (wie tief verachten wir darum den „gefallenen Kanzler“ Schröder und seine Rubelmillionen), sondern es versteht sein Amt als Opfergang für die höhere Sache des unsterblichen germanischen Bluts. Folgerichtig kann nur der Untergang - das ewige und heroische Nibelungenschicksal dieses Volkes in der Mitte Europas, das edle Wild, das in seiner Geschichte immer von Hunden umstellt war - unsere Herrscherin von ihrer heiligen Pflicht erlösen, wie weiland den Führer.
Jetzt müssen es nur noch diese bescheuerten Spezialdemokraten einsehen!

Job-Center-Satire - Teil 2

Vorgestern war ein Mitarbeiter von Bonetti Media Unlimited, verkleidet als Wikinger, in meiner alten Heimatstadt Ingelheim unterwegs und drohte, er werde eine Bombe hochgehen lassen. Zeitgleich platzierte ein weiterer Mitarbeiter einen Rucksack im Job-Center. Ergebnis: Räumung des Job-Centers und eine Story, die es garantiert in die Tagesschau geschafft hätte, wenn Berlin der Schauplatz der Handlung gewesen wäre.
2:0 für Bonetti. Fortsetzung folgt.
"Weil er gegen 16 Uhr mit Schottenrock, Wikingerhelm und bemaltem Gesicht in der Stadt unterwegs war, hatte er schon auf den Weg vom Bahnhof zum Jobcenter Mainz-Bingen mit Sitz in der Konrad-Adenauer-Straße in Ingelheim die Aufmerksamkeit einiger Passanten erregt. Zudem soll der Mann noch „wirres Zeug“ gerufen haben, teilt die Polizei mit. Unter anderem hatte er wohl angedroht, dass in Ingelheim eine Bombe hochgehen werde. Gleich mehrere Notrufe wegen eines Mannes, der mit schwarzem Mantel und Helm wie ein Kämpfer aus dem Mittelalter aussehe, gingen daraufhin bei der Dienststelle in Ingelheim ein, die Beamten machten sich sofort auf den Weg in die Innenstadt. Mehrere Männer habe man kontrolliert, so die Polizei-Pressesprecherin, bis man sich sicher war, den Richtigen gefunden zu haben."
http://www.allgemeine-zeitung.de/lokales/ingelheim/ingelheim/wegen-rucksack-in-jobcenter-behoerde-in-ingelheim-geraeumt_18366699.htm

Dienstag, 5. Dezember 2017

Satire - Die Bonetti-Offensive läuft

Seit heute läuft die neue Kampagne von Bonetti Media Unlimited. Wenden Sie sich mit Ihren Fragen an meine Mitarbeiterin Paula Rosenholz. Bitte verbreiten! Hartz 4 - we love it.
http://mein-jobcenter.com/
P.S.: Die Personen, die hinter der Kampagne stehen, sind: Andy Bonetti, Johnny Malta, Heinz Pralinski, Lupo Laminetti, Antonella Freudenschuss, Cheyenne Zwiebelgarten, Zacharias van Gnom, Robert Klumpf, Wanja Nothgroschen, Wilma Wolkenblume, Pandora Fleischmann, Rüdiger Schmorkohl, Mr. Shlingdingaling, Edgar Hufnagel, Elvis Presley und der Dalai Lama.

Begegnung mit einem Weltstar

„Die Fenster sind noch geöffnet, die frühen Aromen des Tages strömen herein, ich nippe an dem leicht cremigen Schaum, der den Caffé beinahe ganz verdeckt, ich nippe ein zweites Mal und nehme durch den porösen, lauwarmen Schnee einen kleinen Schluck des schwarzen Caffés, sofort bin ich hellwach und gespannt wie ein kleines Kind, das sich auf ein lange ersehntes Geschenk freut. Mein Geschenk ist die Schrift, ich setze mich an den Schreibtisch, ich trinke weiter in kleinen Schlucken, ich schreibe.“ (Hanns- Josef Ortheil: Die Erfindung des Lebens)
Es war ein milder Herbstmorgen. Ich saß an der Piazza Nuvolari, nicht weit vom Tiber entfernt. Auf dem Platz standen einige uralte Kastanienbäume, unter denen Rentner, Raucher und andere Müßiggänger im Schatten saßen. Ich genoss die Stille der Piazza bei einem Cappuccino und las den Corriere della Sera. Dieses Viertel wurde glücklicherweise nicht von Romtouristen frequentiert, sodass dem beginnenden Tag die Möglichkeit gegeben war, Kraft für alles weitere zu sammeln.
Ich hätte ihn vermutlich nie kennengelernt, wenn nicht in diesem Augenblick mein Handy geklingelt hätte. Ein Freund aus Wermelskirchen rief an und fragte, wie lange ich noch in Rom bleiben wolle. Es ging um seine Geburtstagsfeier. Wir plauderten eine Weile, dann verabschiedeten wir uns voneinander.
Da sprach er mich an. Er saß am Nachbartisch und lächelte zu mir hinüber. „Offensichtlich sind Sie aus Deutschland“, sagte er auf Deutsch.
„Ja“, antwortete ich. „Ich verbringe nur den November und die Adventszeit in Rom.“
„Daher können Sie so gut Italienisch“, sagte er und deutete auf meine Zeitung.
„Ich komme schon seit zwanzig Jahren hierher. Immer in dasselbe Hotel. Im Laufe der Zeit habe ich mir die Sprache angeeignet. Sind Sie zum ersten Mal hier?“
„Ja, ich habe mir für drei Monate eine kleine Wohnung gemietet. Ich möchte hier in Ruhe an einem Manuskript arbeiten. Leider kann ich nur ein paar Worte Italienisch. Fremdsprachen waren noch nie meine Stärke. Es muss schön sein, sich in anderen Sprachen ausdrücken zu können. Vermutlich gibt es Themen oder Situationen, zu denen die italienische oder eine andere Sprache viel besser passt als die deutsche.“
Ich nickte ihm zu. „Sind Sie Schriftsteller?“
„Ja. Mein Name ist Andy Bonetti. Aber vermutlich haben Sie noch nie von mir gehört“, antwortete er bescheiden.
Ich war wie vom Blitz getroffen. Der berühmte Andy Bonetti. Hier in Rom. Am Nachbartisch. Was für ein Wunder. Das würde mir kein Mensch glauben.
„Doch, doch“, stotterte ich mühsam und spürte, wie die Röte in mein Gesicht stieg.
„Darf ich mich ein Weilchen zu Ihnen setzen?“ fragte er.
Ich stimmte natürlich hocherfreut zu und alsbald plauderten wir angeregt über Literatur und Politik. Bonetti schrieb gerade an einem Roman über den Untergang der Maldini-Dynastie, die im 18. Jahrhundert die Käseherstellung revolutioniert hatte.
Nach einer Stunde verabschiedeten wir uns voneinander.
„Wollen wir uns vielleicht morgen zum Abendessen treffen und ein Glas Wein trinken?“ fragte ich, mutig geworden durch die Freundlichkeit und Bescheidenheit dieses Weltstars aus Bad Nauheim.
„Ich möchte ungern einen Termin machen. Vielleicht habe ich gerade zu diesem Zeitpunkt ein paar gute Einfälle und sitze an meinem Schreibtisch. Daher möchte ich nichts festlegen, um den ganzen Tag offen für meine Arbeit zu sein. Deswegen bin ich auch gerade in Rom. Hier habe ich keine Verpflichtungen, sondern die absolute Ruhe für meine Arbeit. Kein Internet, kein Telefon. Mein Sekretariat ist angewiesen, mich nur in absoluten Notfällen zu kontaktieren.“
„Das verstehe ich, Herr Bonetti“, antwortete ich. „Der Zufall wird uns wieder zusammen führen. Und die Nähe unserer Unterkünfte wird den Zufall begünstigen.“
Tatsächlich trafen wir uns in diesem Herbst noch einige Male an der Piazza Nuvolari. Ein ganz famoser Bursche, dieser Bonetti. Im darauffolgenden Jahr erschien dann sein Roman „Der Käse meiner Großmutter“ und wurde natürlich ein Welterfolg.
Slade - Coz I Luv You. https://www.youtube.com/watch?v=VxFHTxI_dzs

Sonntag, 3. Dezember 2017

Michel’s Leitkultur

Deutsche Lieder, deutscher Reim
Deutsches Bier und deutscher Wein

Deutscher Diener, deutscher Boss
Deutsche Technik, deutsches Ross

Deutsche Frauen, deutsche Männer
Deutsche Bullen, deutsche Penner

Deutsches Schwein und deutscher Fraß
Deutscher Diesel, deutsches Gas

Bambi und der Wolf

„Sie hatte große schwarze Augen – wie das Universum.“ (Johnny Malta)
Ein Bekannter von mir hatte über einige Jahre eine Beziehung mit einer jüngeren alleinerziehenden Mutter, die sich mit einem Halbtagsjob und ohne Unterhaltszahlungen durchs Leben schlug.
Sie träumte von einem gemeinsamen Haus und hoffte, er würde sich um ihre beiden Kinder kümmern. Mir hat sie gesagt, sie würde ihn lieben und wollte mit ihm alt werden.
Er hat mir gegenüber die Beziehung als Fickfreundschaft bezeichnet. Für ihn als VWL-Professor ein gutes Geschäft: eine Einladung zum Abendessen pro Woche, dann eine gemeinsame Nacht. Pizza gegen Sex.
Es hat lange gedauert, bis sie begriffen hat, dass es ihr wie ihren vielen Vorgängerinnen ergangen war – trotz meiner ausdrücklichen Warnung. Der Typ ist schon immer so gewesen, habe ich ihr erklärt. Ich kenne ihn seit der Schule. Er interessiert sich nicht für den Menschen hinter der Möse. Sie ließ es noch eine Weile zu, dass er seine sexuelle Notdurft in ihr verrichtete. Jetzt hat sie ihn endlich verlassen.
Ultra Nate – Free. https://www.youtube.com/watch?v=utddSTvRvrg

Samstag, 2. Dezember 2017

Die drei Phasen des Bloggerzorns


Das gibt’s doch gar nicht. Ein kritischer Kommentar?

Kritik an meinem Text? Und auch noch mit Fakten, Argumenten und in einem sachlichen Tonfall?

Den Typ mache ich fertig! Ach was, den sperre ich, der hat lebenslanges Kommentarverbot in diesem Blog.

Freitag, 1. Dezember 2017

Kampfbegriff „Weimar“

Mit dem Warnruf „Weimar“ wird auch im 21. Jahrhundert noch die angeblich notorische Unzuverlässigkeit der deutschen Bevölkerung in politischen Fragen erklärt. Dabei haben damals die politischen Institutionen versagt, allen voran das Staatsoberhaupt Hindenburg, aber auch Reichsregierung und Reichstag. Justiz und Polizei sowieso, weil sie dem Treiben der Nazis ab 1933 tatenlos zugeschaut haben.
Es ist natürlich einfacher, für dieses Staatsversagen dem Pöbel die Schuld zu geben. Und so schützt sich auch 2017 noch die Elite – mit Parteienstaat und Massenmedien als Burgwall und Graben – vor dem Volk und verhindert bundesweite Plebiszite, die Direktwahl des Bundespräsidenten usw. Kaum verzögert sich, wie aktuell, die Regierungsbildung um ein paar Wochen, droht der Klassenlehrer den Kindern wieder mit dem Rohrstock: „Weimarer Verhältnisse“. Pfui! Mach das weg! Da gab es Minderheitsregierungen - und keine Betonkanzlerin.
Wo ist fundamentale Kritik am Staat erlaubt? Im Kabarett, denken wir z.B. an Sendungen wie „Die Anstalt“ oder an Menschen wie Pispers und Schramm. Das Publikum applaudiert begeistert – wählt beim nächsten Mal aber doch wieder die staatstragenden Parteien SchwarzRotGelbGrün. Das Kabarett hat daher eine Ventilfunktion, es ist kein Instrument der Aufklärung. Sollte ein Kabarettist wirklich frech werden, geben ihm die Massenmedien keine Plattform mehr. Notfalls jubelt man ihm ein paar Dateien mit Kinderpornographie unter oder macht ihn auf andere Weise öffentlich fertig.
Dann gibt es noch kleinere Publikationen und politische Gruppen, denen eine kritische Auseinandersetzung mit den „herrschenden Verhältnissen“ zugestanden wird. Überschreiten sie eine gewisse Schwelle der Massenwirksamkeit, richten sich die Augen des Verfassungsschutzes und der Justiz auf ihre Aktivitäten. Selbst Abgeordnete der harmlosen „Linken“ im Bundestag wurden schon observiert. Alles natürlich offiziell zum Schutz der Demokratie, in Wirklichkeit zum Schutz der Herrschaft, die mit dem Demos nichts zu tun haben will.
https://www.youtube.com/watch?v=EX2prYi2SQI

Die Macht der Autonomen

„Die Erkenntnis, dass das Ziel emanzipatorischer Gesellschaftsveränderung, von Befreiung und Menschlichkeit verfehlt wird, wenn man dabei auf irgendwelche Formen der ‚Machteroberung‘ im Staatsapparat setzt, bleibt bestehen.“ (Joachim Hirsch: Faszination des Staates, in: „links“, März 1985)
Wer sich in den Herrschaftsapparat des Staates begibt, kommt darin um. Inhaltlich, nicht physisch. Die Teilhabe am System der Herrschaft verändert die Politiker - je stärker, desto länger sie Teil dieses Systems sind und desto tiefer sie in dieses System eindringen.
Das mussten alle linken Bewegungen in Deutschland erfahren. Schon im Kaiserreich gab es eine linke Partei, die das Parlament zur Tribüne des Klassenkampfs machen wollte und als Vertreter der Arbeiterklasse dann doch kleinlaut an eben jenem Ort, wo auch heute noch der Deutsche Bundestag seinen Sitz hat, den Kriegskrediten eines Feudalherren zustimmte, der offensichtlich einem imperialistischen Größenwahn verfallen war. 1918/19 stellte sich dieselbe SPD auf die Seite des Bürgertums und des Militärs und verriet die proletarische Revolution, die zum Sturz des Massenmörders Willem Zwo geführt hatte. 1932 ermöglichte sie aus parteitaktischen Erwägungen die Wahl des erklärten Demokratiefeinds Hindenburg zum Reichskanzler, der wiederum Adolf Hitler den Weg ebnete.
Und so ging es in der Bundesrepublik weiter. Die APO rieb sich beim „Marsch durch die Institutionen“ innerhalb des Apparats auf. Je höher ihre Vertreter in den Institutionen aufstiegen, desto geringer wurde ihr Interesse, diese Institutionen zu verändern. Wie lange bleibt man renitent, wenn man „dazu gehört“, wenn man üppige Abgeordnetendiäten oder ein Professorengehalt kassieren und allerlei Privilegien wie Fahrdienst oder Reisen erster Klassen genießen darf? Da ist der Schritt vom Volksvertreter zum Volksverräter nicht weit. Die größten Kritiker der Elche werden später selber welche. Früher wurden die Rädelsführer der Opposition erschossen, heute scheißt man sie mit Geld zu. So trug auch die APO-Generation, wie alle Generationen vor und nach ihr, - wenn auch ungewollt – zur Stärkung des politischen Systems bei, indem sie ihre gesamte Energie innerhalb des Apparats verbrauchte.
Als sich die sozialen Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre zur Partei der Grünen formierten und den Gang in die Parlamente wagten, gingen sie unter. Anfangs wollten sie noch ein wenig an den Spielregeln herumbasteln (Rotation der Abgeordneten, imperatives Mandat usw.), aber bald hatten sie sich an die formalisierten Abläufe des „Hohen Hauses“ mit präzisen Redezeiten und vorgedruckten Tagesordnungen gewöhnt. Bekanntlich geht es im Bundestag nicht um Meinungsbildung in offenen Diskussionen – das haben die Grünen irgendwann gelernt und damit erlosch zugleich ihr Versuch, eine Alternative zum Establishment der Altparteien zu sein.
„Die Präsenz der Grünen im Parlament wirkt nicht destabilisierend, bringt umgekehrt etliche dissidente Gruppen der Gesellschaft wieder heim ins Verfassungssystem. Wie weiland die Sozialdemokraten (…) betätigen sich die Grünen heute – obzwar ungewollt – als Stützen der sonst kritisierten Ordnung. (…) Die Utopie der ‚Gesellschaft der Freien und Gleichen‘ (Marx) kann nicht als Gesetzesvorlage (…) in den Bundestag eingebracht werden.“ (Johannes Agnoli: Zwanzig Jahre danach – Kommemorativabhandlung zur Transformation der Demokratie, in: Prokla 62, März 1986) Ergänzend muss man konstatieren, dass die Grünen auch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse stabilisiert haben, indem sie auf „umweltfreundliche“ Produkte und Herstellungsverfahren gepocht haben – sonst wären die Industriestaaten längst in ihrem Dreck erstickt.
Später ging es den Linken so und auch den Piraten. Es gilt die alte Regel: Wer tatsächlich Opposition betreiben will, der halte sich von den Institutionen des Staates fern. Wer den Sumpf austrocknen will, darf nicht selbst zum Frosch werden. Das hat in den letzten 150 Jahren keine einzige linke Partei in diesem Land begriffen. So blöd waren die Nazis nicht. Sie haben nicht nur bei der ersten sich bietenden Gelegenheit die Demokratie abgeschafft, sie hatten mit SA und SS auch eine eigene Polizei und ein eigenes Militär, mit deren Hilfe sie ihre Gegner in Konzentrationslager steckten oder gleich ermorden ließen. Sie haben sich an keine einzige Regel gehalten, sondern einfach die Verfassung ignoriert.
Von den Faschisten wollen wir natürlich nichts lernen. Wer war erfolgreich? Da fällt mir als erstes Beispiel die polnische Gewerkschaftsbewegung „Solidarnosc“ ein. Man begab sich nicht ins Getriebe der Macht und gründete eine Partei oder trat einer Partei bei, sondern entwickelte eine eigene autonome Organisation, die am Ende den Staat besiegt hat. Oder die Hausbesetzer in Berlin und anderswo, zumindest in den Anfängen. Die fragten nicht nach Eigentumsrecht und Mietverträgen, die wohnten einfach, wo sie wollten. Gandhis Aufrufe zum Boykott von Waren und Steuerzahlungen – glatter Rechtsbruch eines gelernten Juristen in den Augen der britischen Kolonialherren. Na und?
Wer sich geistig vom Staat unabhängig macht und sich nicht selbst als Teil des Staates begreift, kann seine Autonomie verwirklichen. Vielleicht geht man sogar den letzten Schritt und verabschiedet sich vom ehernen Gehäuse des Nationalstaats? Der Weg hinaus ist weit, das Labyrinth unserer wachsenden Ansprüche und angeblichen Bedürfnisse ist unüberschaubar geworden. Dieser Weg ist auch auf keiner Karte eingezeichnet, es gibt keinen Fahrplan für ein selbstbestimmtes Leben mit festen Haltepunkten und Terminen.
So wünscht es sich der deutsche Michel, aber so funktioniert es natürlich nicht. Freiheit + Planungssicherheit + Vollkaskomentalität kann es niemals geben. Die meisten Deutschen haben sich ohnehin längst bequem in ihrer Abhängigkeit, in dieser Mischung aus rein materiellem Wohlstand und ständiger Bevormundung, eingerichtet. Schon einige Wochen ohne Regierung empfinden sie als Krise – oder, wie die Boulevardpresse getitelt hat, als „Stunde Null“. Als ob es wirklich eine Zeit ohne Herrschaft wäre und als ob man vor herrschaftsfreien Zeiten Angst haben müsste.
„Aus der Erkenntnis, dass der Kapitalismus das Leben zerstört und sein Staat die Zerstörung institutionalisiert, kann der Schritt ins Emanzipatorische nicht unmittelbar vollzogen (…) werden. (…) Dazu gehört auch Aufklärung, als Teil der Maulwurfs-Arbeit. (…) Denn der alte Weg, von Plato über Fichte bis zu Lenin: man müsse die Massen zu ihrem Glück und zur Freiheit zwingen, ist nicht nur theoretisch brüchig und intellektuell eine Legitimationsideologie der Macht. Viel schlimmer: er lässt alles bei den alten Verhältnissen (mit ausgewechseltem politischen oder gesellschaftlichen Personal).“ (Agnoli, ebenda)

Montag, 27. November 2017

Warum wir Terroristen brauchen

Jetzt finden „sie“ also raus, dass der Terrorist vom Weihnachtsmarktanschlag vor einem Jahr Bilder mit einer Knarre auf dem Handy hatte, das die Bullen ausgewertet haben. Scheiß doch die Wand an! Haste schnell mal übersehen, aber dafür in Düsseldorf einen Opa abkassieren, der an der Bushaltestelle sitzt, ohne auf den Bus zu warten. Wegen #shitstorm musste er die 35 € nicht zahlen.
Keiner will die Terroristen fangen, jeder will sie einfach nur haben, um sie für seine miesen Zwecke zu benutzen. Ohne eine Mindestanzahl an Terroranschlägen oder verhinderten Aktionen kann der Staat nicht existieren. Ein Lob den Pressekonferenzen, die unsere Angst füttern. „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“ Es leben die V-Männer!

Sonntag, 26. November 2017

Der absolute Geschmack

Es gibt Menschen, die ein absolutes Gehör besitzen. Bonetti hat den absoluten Geschmack.
Um das Essen wirklich genießen zu können, braucht er natürlich auch die entsprechende Atmosphäre. Schmeckt es unter freiem Himmel nicht am besten? Also lässt er den Tisch auf einer Lichtung im Wald decken.
Nach den gebratenen Garnelen an grünem Salat werden Fettuccine al tartufo nero e funghi porcini serviert. Es folgt ein kleines Filetsteak mit einer roten Thai-Currysoße und danach Skrei auf schwarzen Linsen mit einer Salzkartoffel. Zum Nachtisch gibt es Mandeleis und eine kleine Auswahl Käse mit Trauben.
Es kann so einfach sein. Zur Weinbegleitung werde ich mich ein anderes Mal äußern.

Donnerstag, 23. November 2017

$o £äuft‘$ Bu$in€$$

„Warum wurde der Mensch erst am letzten Tag erschaffen? Damit er, wenn er zu eitel wird, ermahnt werden kann: ‚Die Mücke ist älter als du‘.“ (Talmud)
Wichtelbach ist nicht sonderlich groß. Selbst wenn Sie sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten, sind Sie in einer Minute durch den kompletten Ort gefahren. Es gibt eine Kirche, eine Kneipe – und am Ortsrand eine verwitterte lehmfarbene Halle, auf deren Dach „Höhle & Sohn“ steht. Der größte Arbeitgeber des Dorfs beschäftigt ein Dutzend Arbeiter, ein halbes Dutzend Näherinnen, einen Vertriebsleiter und einen Buchhalter.
Mit eben jenem Buchhalter, einem dürren windschiefen Greis, an dessen langer roter Nase ein Tropfen Nasenwasser schillert, sitzt Ferdinand Höhle, der Firmenbesitzer, im Besprechungszimmer, als sein Sohn Alexander, den alle immer nur Axel nennen, den Raum betritt. Trotz seiner fünfzig Jahre trägt er Chucks, ein AC/DC-Shirt und eine Jeansjacke. Hingebungsvoll kratzt sich der Chef den Grind vom Kopf, während er seinen Sohn beobachtet, der sich unbeholfen auf einen Stuhl plumpsen lässt, ohne den Blick von seinem Smartphone zu lassen.
„Da wir nun vollständig versammelt sind, können wir ja mit der Sitzung beginnen“, sagt der alte Höhle. Er hat silbergraues Haar, das glatt an seinem Kopf anliegt wie Gusseisen, und die Kerbe in seinem Kinn wirkt, als habe man sie hinein gemeißelt.
Der Greis bleibt regungslos, vor ihm ein weißes Blatt Papier und ein Bleistift.
„Wenn wir weiterhin rote Zahlen schreiben, werde ich die Firma zum Jahresende schließen.“
„Aber, Papa“, der Junior löst zum ersten Mal den Blick vom Display, „das kannst du doch nicht machen. Ich wollte doch das Geschäft übernehmen. Ich habe auch schon Super-Ideen.“
„Ich weiß, aber für Helene Fischer und Justin Bieber haben wir nicht genug Geld. Weißt du, wieviel Geld die Manager dieser Leute für die Lizenzgebühren haben wollen?“
„Wir könnten sie am Gewinn beteiligen, ohne vorher Gebühren zahlen zu müssen. Wir müssen mit der Zeit gehen, Papa. Wer will denn heute noch mit Puppen spielen, die Napoleon oder Goethe heißen?“
Im sanften Licht der Herbstsonne ist der Buchhalter eingeschlafen. Vielleicht ist er auch gerade gestorben, es ist nur schwer zu erkennen. In den fünfziger Jahren hatte Ferdinand Höhle mit der Produktion von Peter Alexander- und Heinz Rühmann-Puppen begonnen, die weniger bei Kindern als bei älteren Damen beliebt waren. Er weigerte sich, Elvis- oder Beatles-Puppen herzustellen. Er setzte auf Heintje und Heino. Damit hielt man sich auch in den siebziger Jahren über Wasser. Er verpasste grundsätzlich jeden Trend. ABBA, Kohl, Obama – nicht zu vergessen: Harald Juhnke, Captain Future und Ronald Pofalla. Später stellte Höhle & Sohn Puppen nach historischen Vorbildern her: Napoleon, Julius Cäsar und Goethe.
„Du weißt, dass mir diese ganzen neumodischen Dinge nicht liegen. Du mit deinen Rappern und Fußballern. Was ist, wenn wir zehntausend Messi-Puppen produzieren und der Typ bricht sich das Bein, weil er zu blöd ist, aus seinem Ferrari auszusteigen, und wir bleiben auf den Puppen sitzen? Historische Puppen ziehen immer.“ Er entblößt eine Reihe stockfleckiger gelber Zähne und mindestens einen Daumen breit entzündetes Zahnfleisch.
„Offenbar inzwischen nicht mehr. Dann lass uns wenigstens Hitler-Puppen machen, Papa. Das wird ein Renner, ich schwör’s dir. Hitler ist die wichtigste historische Figur, die es überhaupt gibt.“
Beim Wort „Hitler“ öffnet der Buchhalter die Augen und sieht sich vorsichtig um.
„Ich hab dir schon hundertmal gesagt, ich mache keine Hitler-Puppen. Ich sitze hier im Gemeinderat. Das kann ich dem Dorf nicht antun.“ Wütend mahlen die Kiefer des Seniors. Eine fingerdicke Vene beginnt, an seiner Schläfe zu pulsieren.
„Aber mir kannst du es antun, die Fabrik zu schließen. Was wird dann aus mir? Was wird aus den ganzen Leuten? Die haben ihr Leben lang nichts anderes gemacht als Puppen.“ Zum ersten Mal kommt auch der Junior in Fahrt.
Der alte Höhle entrunzelt seine Stirn und kommt ins Grübeln. Geschäft ist nun mal Geschäft. Hitler. Das wäre ein Verkaufsschlager wie damals Peter Alexander. ¥ € $ !
Verträumt malt der greise Buchhalter ein Hakenkreuz auf das Blatt Papier, das vor ihm auf dem Tisch liegt.
The Vibrators - Nazi Baby. https://www.youtube.com/watch?v=zlBuSl2eD_g

Dienstag, 21. November 2017

Die pure Boshaftigkeit

Jetzt salbadern die Pfaffen in den Redaktionsstuben wieder von Staatswohl und Bürgerwillen. Als ob es darum je gegangen wäre.
Sehen wir den Politiker als Menschen. Er ist, wenn er lange genug im Geschäft ist und an der Spitze der Nahrungskette, vulgo: ganz vorne am Trog, angekommen ist, nicht nur täglich dem Geschleime seiner Untergebenen und den misstrauischen Blicken seiner Konkurrenten ausgesetzt – häufig in Personalunion als sogenannter Parteifreund -, sondern auch dem Hass und der Häme der Öffentlichkeit und der Medien.
Ist es also verwunderlich, wenn der Politiker selbst Hass verspürt? Auf den Urnenpöbel, auf die Journaille, auf den ganzen politischen Betrieb? Warum sollten Hass oder ganz einfach die pure Boshaftigkeit nicht die wahren Antriebsmomente eines Politikers sein? Nicht immer, aber doch wenigstens gelegentlich?
Nehmen wir die Union als Beispiel, die gerade mit der psychologischen Finesse eines Bulldozers um die Fortsetzung einer GroKo bittet. Wie im Augenblick auf die Sozialdemokraten eingedroschen wird, die an den Gesprächen über Gespräche zu einer möglichen Regierungszusammenarbeit – kurz als „Jamaika“ verniedlicht – gar nicht teilgenommen hatten und jetzt als Feiglinge und Drückeberger verhöhnt werden, die sich „vom Acker gemacht hätten“ (wie die Guldentaler Bauerntochter Klöckner es formuliert hat) und keine Verantwortung für den Staat tragen wollten – ja, so stelle ich mir die Brautwerbung des Tasmanischen Teufels vor.
Nehmen wir die FDP, die in diebischer Freude „sondiert“, bis der Arzt kommt, um dann plötzlich den Stecker zu ziehen und „Ätsch, reingelegt“ zu rufen. Das war nicht nur boshaft, das hat sicher auch Spaß gemacht. Schon in den Tagen zuvor saß man mit den Spin Doctors zusammen und heckte eine Social Media-Kampagne aus. Später lachte man sich ins Fäustchen, als man den Werbeslogan zur Gesprächsverweigerung veröffentlicht hat: „Lieber nicht regieren als falsch.“
Nehmen wir Frau Merkel, die aus reiner Boshaftigkeit verkündet, auch zu möglichen Neuwahlen wieder als Kanzlerkandidatin anzutreten. Sie hat die letzte Wahl verloren, sitzt vor einem Scherbenhaufen statt in Koalitionsverhandlungen, sie hat keine Ideen und kein Programm für die Zukunft dieses Landes – und ruft uns hämisch grinsend zu: „Ihr werdet mich nicht los.“
Und aus diesem Friedhof der Kuscheltiere dürfen wir in ein paar Monaten erneut einen Zombie wählen. Nochmal derselbe Wahlkampf, nochmal dieselben Verhandlungen von Leuten, die nur die Boshaftigkeit einigt. Wir werden sie nicht los, sie werden uns nicht los. Spüren Sie auch den Hass in sich aufsteigen? Das Leben ist ein Traum der Hölle.
Meine Vorstellung von Politik: Charles Chaplin: König von New York - Ruperts Rede. https://www.youtube.com/watch?v=PGMsTnqsJNU&feature=share

Sonntag, 19. November 2017

Nein!

Ja und dreimal Ja. Ich werde alt. Mir gehen Sachen auf den Senkel, die mir früher egal waren. Und jetzt möchte ich Ihnen etwas über Gewalt in den Medien erzählen.
Ich sitze bei Freunden im Wohnzimmer. Vater, Mutter, Kind. Das Mädchen ist zwölf Jahre alt. Der Fernseher läuft, ein Info-Kanal. Wir unterhalten uns.
Im Fernsehen laufen alte Dokumentaraufnahmen aus dem vergangenen Jahrhundert, es geht um Russland. Wir sehen ein paar Bauern, deren Hände auf dem Rücken gefesselt sind. Man zwingt sie in die Knie, dann werden sie von Menschen erschossen, die wir nicht sehen können.
Das Mädchen neben mir auf der Couch zuckt kurz, wir andern unterhalten uns routiniert weiter. Ich finde das nicht in Ordnung. Lachen Sie mich ruhig aus. Ich finde die ganze Gewalt in den Medien nicht gut. Ich habe mich daran gewöhnt. Aber was ist mit den Kindern? Werden sie abstumpfen wie Vieh?

Samstag, 18. November 2017

Malcolm Young

Lebende 0
Tote 1
https://www.youtube.com/watch?v=qFJFonWfBBM&feature=share
Ich hätte gedacht, ich würde es gefasster aufnehmen. Aber die "Highway To Hell" war - zusammen mit der "Wish You Were Here" von Pink Floyd - nun mal die erste Platte meines Lebens.

Die Erzählmaschine

Er hatte ein faustgroßes, knallrotes Geschwulst auf der Stirn, das permanent pulsierte und von lilafarbenen Adern durchzogen war. Eines Tages begann es zu singen:
Einem Hai namens Kai
Ging das Moped entzwei
So muss er bis Meppen
Auf Flossen sich Schleppen
Was ist schon dabei?

Die Erfinder von „Jamaika“

Die Taino sind längst vergessen. Dieses arme Volk hatte das Pech, als erstes mit Kolumbus und seinen Leuten in Kontakt zu kommen. Es ging den Europäern bekanntlich um neue Handelswege, um Gold und wertvolle Rohstoffe – wie heute. Die Ureinwohner waren ihnen herzlich egal. Nur wenige Jahrzehnte nach ihrer „Entdeckung“ waren die Taino ausgestorben.
Kolumbus schilderte diese Menschen als „unschuldig und von einer solchen Freigiebigkeit mit dem, was sie haben, dass niemand es glauben würde, der es nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Was immer man von ihnen erbittet, sie sagen nie nein, sondern fordern einen ausdrücklich auf, es anzunehmen und zeigen dabei so viel Liebenswürdigkeit, als würden sie einem ihr Herz schenken.“ Schön blöd.
Allein auf der Insel Hispaniola lebten je nach Schätzung zwischen 300.000 und einer Million Taino. 1517 gab es noch 11.000, 1533 noch fünfhundert von ihnen. Das Land wurde unter den Spaniern aufgeteilt, die Ureinwohner galten als Teil des Grundbesitzes und hatten keine Rechte.
Von den Taino ist aber ein Teil ihres kulturelles Erbe unsterblich geworden: die Hängematte. Wir nutzen sie bis heute. Auch einige Wörter der Taino sind in die europäischen Sprachen eingewandert: huracán (Hurrikan, Wirbelsturm), manatí (Seekuh), tobaco (Tabak), maíz (Mais), papaya (Papaya), caimán (Kaiman, Krokodil), canoa (Kanu).
Sogar einige ihrer geographischen Bezeichnungen haben die Zeit überdauert: Jamaica, Cuba, Aíti (Haiti – ein Staat auf der Insel Hispaniola). Über die deutschen Sondierungsgespräche 2017 unter der Überschrift „Jamaika“ hätten sie vermutlich nur gelacht.

Donnerstag, 16. November 2017

Reichtum für alle!

Nachdem Lambsdorff von der FDP schon im Sommer den alleinerziehenden Müttern nahegelegt hatte, Immobilien zum Zwecke der Vermögensbildung zu erwerben, legt die FAZ jetzt nach. Die Armen sollen ihre Anlagestrategie ändern und ihr Aktienportfolio optimieren.
"Sie müssen Ihr Aktienportfolio optimieren", rufe ich heute der Kassiererin bei Aldi zu.
Dann treffe ich meinen alten Kumpel Jürgen, der gerade seinen Job verloren hat. "Du musst dein Aktienportfolio optimieren, Jürgen. Dein Aktienportfolio, verstanden?"
Am Bahnhof steht ein rumänischer Bettler. Ich gebe ihm kein Geld, aber einen wertvollen Rat: "Du optimiere Aktienportfolio."
Wir werden alle so schweinereich, es wird kaum auszuhalten sein.
http://www.faz.net/aktuell/finanzen/kommentar-reichtum-fuer-alle-15292399.html
"Hier liegt eine Chance für die Jamaika-Koalition. Mit FDP und Grünen sind zwei aktienfreundlichere Parteien beteiligt, als die SPD es ist."

Rätselhafte Performance - Medienberichte überschlagen sich

Die Medien berichten von einem Unbekannten, der mit schöner Regelmäßigkeit Hackfleisch auf die Bahngleise bei Pfinztal legt.
http://www.infranken.de/ueberregional/deutschland/unbekannter-legt-woechentlich-ein-pfund-hackfleisch-auf-bahngleise;art55462,3022651
Bonetti Media gibt dazu folgende Stellungnahme ab. Es handelt sich hierbei um eine Performance von Andy Bonetti, der damit gegen die Aufhebung der Buchpreisbindung protestiert, die von Amazon und anderen Unternehmen gefordert wird. Eine solche Aufhebung würde Hackfleisch aus seinen Einnahmen als Autor machen - und das zu einem Zeitpunkt, da der Bonetti-Zug gerade schulzmäßig Fahrt aufgenommen hätte.
Lesen Sie dazu auch: "Hut in Jauche getaucht und angezündet - Bruderstreit eskaliert".
http://www.infranken.de/regional/lichtenfels/weismain-hut-in-jauche-getaucht-und-angezuendet-bruderstreit-eskaliert;art220,3016257

Mittwoch, 15. November 2017

Berufen & Abberufen

Ich ging im Wald so für mich hin
Weil ich nun mal ein Wand’rer bin

Da sehe ich – so meine Meinung -
Auf einer Lichtung die Erscheinung

Gevatter Tod auf seinem Rappen
Soll’s heute mit dem Jenseits klappen?

(aus „Joe“ Goethes Flagellantenoperette „Billy Master“)

Neulich im Berliner Untergrund

- Wo haben Sie eigentlich Ihre Frau kennengelernt?
- Im Speisewagen der U 7.
- Die U 7 hat einen Speisewagen? Das wusste ich gar nicht.
- Aber ja. Das ist natürlich nicht allen Reisenden bekannt, sonst säßen dort ja Krethi und Plethi.
- Donnerwetter!
- Es gibt auch eine Erste Klasse, einen Rauchsalon, einen Liegewagen und ein kleines Kino. Hat man Sie nie in diese Geheimnisse eingeweiht?
***
Die vier Sargträger steigen im angemessen langsamen Gleichschritt die Treppe hinunter. Am Bahnsteig setzten sie den Eichensarg kurz ab. Zum Glück ist die U9 nicht voll. Fünf Stationen bis St. Mathilde. Die Fahrgäste zeigen keine Reaktion, Berlin eben. Pietät-Malotzke geht neue Wege.

Dienstag, 14. November 2017

Wenn ich einmal reich wär

„Ewiger Sonnenschein schafft eine Wüste.“ (Arabisches Sprichwort)
Was macht man mit einhundert Millionen Euro? Ich hatte vor etlichen Jahren einmal tausend Euro in Bitcoins investiert und hatte nun ein Vermögen auf dem Konto. Ich fasste also, gestärkt durch einige Flaschen Riesling, den Beschluss, das Depot aufzulösen und mich daran zu machen, das Geld auszugeben. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer werden würde.
Es begann mit der Überweisung dieser riesigen Summe Geld auf mein Girokonto der hiesigen Sparkasse. Es folgte der Anruf eines aufgeregten Sparkassendirektors. Ich müsse sofort vorbeikommen und alles mit ihm besprechen. Ob es sich denn um einen Bankirrtum zu meinen Gunsten handele, fragte er mich ernsthaft, als würden wir hier Monopoly spielen.
Eine Stunde später betrat ich die Bank, wie immer in löchrigen Jeans und mit einem alten Supertramp-Shirt. Alle Angestellten staunten mich schweigend an, während ich zum Büro ihres Chefs ging. Er erzählte mir etwas von aufgeblähten Bankbilanzen und Einlagensicherung. Also verteilte ich das Geld auf neu eingerichtete Konten bei zwei Banken in Zürich und zwei Banken in New York. Auf der Sparkasse beließ ich zwanzig Millionen auf einem Tagesgeldkonto. Das heißt: fünf Banken mit jeweils einem Fünftel meines Vermögens.
Was macht man mit dem ganzen Geld? Ich kaufte mir eine Villa im Grunewald für fünf Millionen Euro. Ich rechnete mir aus, dass ich für meinen gewünschten Lebensstandard – jeden Tag gut essen gehen, gelegentliche Reisen, eine Haushälterin – nicht mehr als zweihunderttausend Euro im Jahr ausgeben würde. Ich bin jetzt fünfzig Jahre alt. Das wären bis zu meinem hundertsten Geburtstag also weitere fünf Millionen Euro. Macht zusammen zehn Millionen Euro.
Was macht man mit neunzig Millionen Euro? Ich beschloss, das Geld zu verschenken. Vielleicht nicht die ganzen neunzig Millionen. Ein bisschen Reserve für verrückte Ideen würde ich womöglich noch brauchen. Aber auf achtzig Millionen konnte ich locker verzichten und mein Karma auf Hochglanz polieren. Das heißt konkret: Ich würde nach meinem Tod als Reicher wiedergeboren werden. Aber wem schenkt man so viel Geld?
Ich habe keine Kinder, nur eine Nichte und einen Neffen. Soll ich sie mit meinen Millionen zu Faulpelzen machen? Mein Bruder ist Unternehmer, die Kinder müssen sich keine Sorgen machen. Da beide gerade volljährig geworden waren, schenkte ich ihnen ein Auto ihrer Wahl. Sophie bekam einen schneeweißen Audi mit allen Schikanen und Max einen knallroten Alfa Romeo mit dreihundert PS. Damit waren hunderttausend Euro weg. Peanuts.
Welche Sache sollte ich mit meinem Geld unterstützen? Tiere und Kinder, Gerechtigkeit und Frieden. Es gibt zahllose Möglichkeiten. Da ich in den letzten Jahren immer die Linken gewählt hatte, überwies ich der Partei 1,848 Million Euro. 1848 – das Jahr des kommunistischen Manifests und der Revolutionen in Frankreich und Deutschland.
Damit ging der Ärger los. Parteispenden über zwanzigtausend Euro müssen veröffentlicht werden. So kam mein Name in die Zeitungen. Es war die höchste Parteispende aller Zeiten. Und so wurde aus einem anonymen Reichen ein landesweit bekannter Mogul.
Seit einigen Jahren betrieb ich unter meinem echten Namen ein Blog. Wer im Internet meinen Namen in eine Suchmaschine eingab, wurde sofort auf meine Seite verwiesen. Dort stand auch meine E-Mail-Adresse und im Impressum meine Anschrift. Noch war meine neue Villa nicht renoviert und eingerichtet, ich lebte in meiner alten Wohnung. Ich wurde mit E-Mails bombardiert, es klingelte an meiner Wohnungstür, der Kommentarbereich meines Blogs explodierte.
Der geheimnisvolle Spender – ausgerechnet bei den Linken und nicht den bürgerlichen Parteien, die sonst immer die fette Marie absahnen. Mein Name in der Tagesschau, im „Spiegel“, in der „Bild“. Zum Glück war auf meiner Seite nur ein uraltes Foto abgebildet, das mich mit fünfzig Kilo weniger zeigte. Ich musste untertauchen, so viel stand fest. In tiefer Nacht verließ ich das Haus und fuhr mit dem Taxi zum Flughafen.
Mit der ersten Maschine flog ich nach London. Ich buchte die Buckingham Suite im The Lanesborough am Hyde Park Corner. Hier wusste man, wie man das Inkognito des Geldadels schützte. Ich beschloss, keine Interviews zu geben. Nur beim „Neuen Deutschland“ wollte ich eine Ausnahme machen, schließlich sollten die Linken auch erfahren, wer ich bin und was meine Beweggründe für die Spende waren. Ich rief den Chefredakteur an und vereinbarte mit ihm einen Gesprächstermin in meiner Londoner Suite.
Inzwischen wurden die Texte in meinem Blog einer intensiven Rezeption seitens der Medien unterzogen. Ich hatte eine Menge politischer Texte geschrieben, die Regierung auf das Übelste beschimpft und eine Umverteilung von Reichtum gefordert. Die Kommentare in den Zeitungen und Fernsehsendungen waren zum Teil voller Häme, andere Journalisten zeigten sich verwirrt, einer verglich mich sogar mit Bruce Wayne alias Batman. Meine Spende war das große Thema bei Maybrit Illner, in ihrer Talkshow bezeichnete Wolfgang Bosbach mich als sozialistischen Scharlatan.
Im Interview mit dem „Neuen Deutschland“ erklärte ich, dass ich mit meiner Spende keinen Einfluss auf das Programm oder die Personen der Linken nehmen wolle. Es sei einfach eine Unterstützung der einzigen Partei im Bundestag, die man halbwegs als Opposition bezeichnen könne. Auch wenn ich in meinem Blog eine Transaktionssteuer auf Bankgeschäfte, eine Erhöhung der Erbschaftssteuer und viele andere konkrete Dinge gefordert habe, wolle ich mich nicht ins Tagesgeschäft der Partei einmischen. Auch wären mir die innerparteilichen Streitigkeiten egal, ich würde keine einzelne Person bevorzugen. Gysi fände ich allerdings sehr nett, seine rhetorischen Qualitäten seien unbestritten. So wurde es am nächsten Tag auch gedruckt. Damit hatte ich mir natürlich bei den anderen Medien keine Freunde gemacht, die sich übergangen fühlten. Vor allem im „Spiegel“ und der „Bild“ wurde ich offen verhöhnt.
Von London reiste ich nach New York. Es folgten Hawaii und Tokio. Als sich der Rummel wieder gelegt hatte, kehrte ich nach Berlin zurück und bezog meine neue Villa. Die alte Wohnung und das Blog gab ich auf. Seitdem lebe ich in Ruhe und mache den ganzen Tag, was mir gefällt. Was macht man mit einem riesigen Haufen Geld? Am besten gar nichts. Zuviel Geld kann einem auch auf die Nerven gehen. Ich habe ein Testament gemacht. Von meinem Vermögen soll ein Wald gekauft werden, der nicht bewirtschaftet werden darf. Soll Mutter Natur mit dem ganzen Zaster machen, was sie will.
Steely Dan – Peg. https://www.youtube.com/watch?v=LI7NDDQLvbo