Dienstag, 30. Mai 2017

Cyborg

„Truth is stranger than fiction; fiction has to make sense.“ (Leo Rosten)
Die Woche fängt ja gut an. Montagmorgen, acht Uhr. Ich werde beim Arzt verkabelt, bekomme eine Manschette angelegt und ein piepsendes Kästchen an den Gürtel gebastelt. 24 Stunden wird mein Blutdruck gemessen. Ich stehe mit nacktem Oberkörper im Behandlungszimmer, drei Arzthelferinnen wuseln im mich herum und ich komme mir vor wie bei Baywatch. Allerdings sehe ich nicht wie der junge David Hasselhoff aus, sondern wie der fröhliche Hinkelsteinverkäufer in den Asterix-Heften. Herkules? Genau. Es sieht wie Herkules aus.
Ab jetzt wird sich alle fünfzehn Minuten die Manschette um meinen linken Oberarm zuziehen, als hätte mich ein Berliner Rausschmeißer gepackt. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie ich die Nacht überstehen soll. Auf dem Weg nach Hause piepst es zum ersten Mal und mein Arm wird gewürgt wie von einer Boa constrictor. Die Arzthelferin hat mir gesagt, ich solle den Tag so verleben wie immer. Aber wenn ich dieses Messgerät für den Rest meines Lebens an mir hätte, würde ich es im Halsbereich tragen.
Gut. Der erste Termin eines ganz normalen Tages als Schriftsteller ist das Matratzen Outlet Center von Edgar Fiesemann im Gewerbegebiet von Bad Kreuznach. Heute ist großer Aktionstag, Dutzende von Kunden begrüßen mich mit einem lauwarmen Applaus. „Seid Ihr alle gut drauf?“ rufe ich in die Menge. Als erste Nummer bringe ich „Fiesta Mexicana“, wobei ich Hossa im Wechselgesang mit dem Publikum singe. Das kommt immer an. Als es dann Würstchen mit Kartoffelsalat gibt, schleicht sich sogar etwas wie Zufriedenheit in die gleichgültigen Gesichter.
Danach lese ich aus meinem neuen Werk "Wattenscheid nach der Revolte“. Die ersten Kunden gehen. Der Rest ist irritiert durch das Piepsen und Brummen des Blutdruckmessgeräts und meinen linken Oberarm, der sich regelmäßig hulkartig aufpumpt. Misstrauisch blicken mich Edgar Fiesemann und seine Kunden an. In Zeiten des Terrorismus bist du schneller verdächtig als du denkst. Ich versuche, die Situation aufzulockern, indem ich improvisiere und eine Story erfinde. Ich wäre ein Cyborg und hätte Kontakt zu anderen Sternen. Die Technik an meinem Gürtel und an meinem Oberarm hätte ich von dem Terminator, der mich beschützt, seit ich zehn Jahre alt bin. Ein Kind fängt an zu weinen und wird von seiner entrüsteten Mutter nach draußen gezerrt.
Die fünfzig Euro Honorar investiere ich in ein Mittagessen auf der Autobahnraststätte Waldlaubersheim. Ein Hund kläfft mich an, als das Messgerät piepst und sich die Manschette brummend aufpumpt.
„Ist das eine elektronische Fußfessel?“ fragt mich die Hundehalterin am Nebentisch.
„Nein, ich … äh … mein Blutdruck.“
„Ist es was Ansteckendes?“
Zu Hause checke ich meine Mails. Erwartungsgemäß ist die Ablehnung von der ARD gekommen. Ich hatte dem Sender einen sensationellen Werbespruch angeboten, der mir gestern auf dem Weg zum Golfplatz eingefallen war: „Carolin Kebekus – Lachen bis zum Dammriss“. Vielleicht probiere ich es mal bei RTL: „Mario Barth – Lachen bis zum Dammriss.“ Das ist doch auch eher das Niveau, das in Köln gesucht wird.
Nachmittags haue ich schnell ein paar Zeilen für mein Blog zusammen. An die Arbeit an meiner Autobiographie ist ja gar nicht zu denken. Alle fünfzehn Minuten wirst du aus dem Takt gebracht. Es ist gerade mal 15 Uhr. Noch siebzehn Stunden mit dem Teil! Und nachher ein Interview mit einer Schülerzeitung in Stromberg. Ich kann mir schon denken, was diese Spasemacken der Generation Wisch & Weg wieder fragen werden. Hätten Sie es je erwartet, dass Sie mal als Schriftsteller enden? Oder: Was macht man in diesem Beruf eigentlich den ganzen Tag? Und natürlich: Wie verdienen Sie Geld?
Selbstverständlich werde ich den Rotzgören nichts von meiner Multimillionendollaridee erzählen, an der ich gerade arbeite. Für Endemol habe ich das Projekt „Miss Obdachlos“ entwickelt, das im Vorweihnachtsprogramm laufen soll. Die Siegerin bekommt einen Job beim geplanten Sponsor McDonalds und einen Mietvertrag für ein Appartement in Offenbach.
Extrabreit - Und der Führer schenkt den Klonen eine Stadt. https://www.youtube.com/watch?v=zyd2_sDA0EM

Montag, 29. Mai 2017

Nervenkitzel

"Travelling with no destination
No place to go
Nameless towns with faceless people
No place I know"
(Visage - The Damned Don't Cry)
Es ist ein schöner heller Tag und sie spazieren auf einem Feldweg. Meilenweit ist nichts zu sehen. Keine Menschen, keine Gefahren, gar nichts. Was sollte Ihnen hier passieren? Wir sind ja nicht in finsterer Nacht mitten in einer gefährlichen Großstadt, oder?
Es ist hell, es ist ruhig und Sie können ganz unbeschwert weitergehen. Plötzlich hören Sie aus der Ferne ein Flugzeug. Sie denken sich nichts dabei. Sie sind ein unbescholtener Bürger, der nichts zu befürchten hat. Es ist nur ein Geräusch. Sonst gar nichts. Aber es kommt näher.
Sie drehen sich um und sehen ein kleines, ein wirklich klitzekleines Flugzeug am Horizont.
Es hat nichts mit Ihnen zu tun.
Aber es wird lauter. Immer lauter.
Sie werden jetzt doch ein bisschen nervös und drehen sich nochmal um.
Das Flugzeug kommt direkt auf Sie zugeschossen. Was soll das?
Jemand versucht, Sie umzubringen!
Jetzt rennen Sie um ihr Leben und werfen sich auf den Boden.
Es ist nochmal gutgegangen, aber das Flugzeug wendet und attackiert Sie erneut.
Wie durch ein Wunder überleben Sie den Angriff und gehen zurück in Ihr Motelzimmer. Sie schließen die Tür hinter sich. Drehen den Schlüssel zweimal im Schloss. Sie sind nach diesem Abenteuer völlig verschwitzt und brauchen eine Dusche.
Das Badezimmer. Hier sind Sie sicher. Sie sind alleine. Mein Scheißhaus ist meine Burg, wie die Engländer sagen. Endlich können Sie sich entspannen. Sie stehen nackt unter der Dusche. Völlig hilflos. Aber was sollte einem im Bad schon passieren? Wir sind ja nicht in finsterer Nacht mitten in einer gefährlichen Großstadt, oder?
Sie bemerken nicht, dass jemand hineingekommen ist. Das beruhigende Gefühl des warmen Wassers auf Ihrem ungeschützten Körper.
Die Silhouette eines Mannes erscheint auf dem Duschvorhang, der ein riesiges Messer in der Hand hält. Sie bemerken es nicht.
Dann hören Sie plötzlich das nervenzerfetzende Geigen diverser Berufsmusiker.
Sehen Sie. Das ist Nervenkitzel. So arbeitet Andy Bonetti. Dieser Teufelskerl!
Psychedelic Furs - The Ghost In You. https://www.youtube.com/watch?v=uMmA8PsTvPA

Freitag, 26. Mai 2017

Definition: Linker Intellektueller

Der linke Intellektuelle hat im Regelfall studiert und einen soliden Brotberuf in der Hinterhand. Er ist ein verständnisvoller Agnostiker, ahmt in seinem Duktus und Habitus – Erbauungspredigt und schwarze Kleidung – jedoch gerne seine Vorfahren aus dem Klerus nach. Sein Wertekanon ist republikanisch und lässt sich mit dem Dreiklang „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ umschreiben, wobei letzteres gerne geschlechtsneutral durch den Begriff „Solidarität“ ersetzt und auch auf Tiere und Pflanzen ausgedehnt wird. Er verbreitet seine Ansichten vorzugsweise in Kabarettprogrammen und Aufsätzen, die sich großer Beliebtheit und kleiner Wirkung bei seinem Publikum erfreuen. Der Bestand ist, entgegen der landläufigen Wahrnehmung, nicht gefährdet, wächst jedoch auch nicht mehr.
London Grammar - Truth Is a Beautiful Thing. https://www.youtube.com/watch?v=UPcPtd3k-Qg

Dienstag, 23. Mai 2017

Die toten Kinder von Manchester

Die toten Kinder von Manchester sollen Schmerz in unseren Herzen erzeugen. Wut. Rache. Hass. Vielleicht lassen wir uns aber auch nicht manipulieren. Auch wenn es schwer fällt. Vielleicht gehorchen wir nicht den vielen Klavierspielern, die auf unserer Seele ihr Lied spielen wollen.
Aber weil ich ein sentimentales Arschloch bin: https://www.youtube.com/watch?v=izQsgE0L450

Mittwoch, 17. Mai 2017

Deal or No Deal

Die Hollywood-Regisseure, die Drogen-Deals filmen, haben nicht unbedingt Ahnung von den echten Verhältnissen, zumindest nicht von den Verhältnissen in Europa. Wozu sollte man sich in Hotelzimmern oder verlassenen Fabrikhallen treffen? Viel einfacher läuft es in Suburbia. Du mietest eine Wohnung am langweiligsten Ort der Welt in der Provinz oder im Vorort einer Großstadt. Garantiert überwachungsfrei, wenn du das Spiel mit den Smartphones kapiert hast. Dort trifft man sich für die Geschäfte. Diese Wohnungen stehen komplett leer. Wozu sollte man sie auch möblieren? Einen Monat später sitzt du sowieso in einer anderen Wohnung. Man sitzt in schönen Ledersesseln, nachdem man an etlichen leeren Zimmern vorbeigegangen ist, im Kühlschrank in der Ecke gibt es Getränke. Kein Alkohol, keine Drogen während des Geschäfts. Es ist zu wichtig. Um dich herum die nackten Wände des Wohnzimmers. Kein Handy klingelt. Absolute Ruhe wie bei einem Schachturnier. Bargeld gegen Ware. Etwas erleichterter Smalltalk zum Abschluss. Ganz kurz. Dann gehst du.

Montag, 15. Mai 2017

Ich will deine Fäuste sehen

„Bis zum heutigen Tag arbeite ich im Bett, mit drei Kissen im Rücken, und habe keine Verwendung für Schreibtisch oder –pult oder ähnlichen Schnickschnack.“ (Gary Shteyngart: Kleiner Versager)
Ich hatte diesen räudigen Job als Kolumnist beim Hunsrück Globe. Einmal in der Woche beantwortete ich öffentlich die Fragen ratloser Hausfrauen und gelangweilter Rentner. Es war so deprimierend, dass ich jeden Tag um elf in die Kneipe gegenüber ging und ein Bier nach dem anderen trank. Dazu aß ich Frikadellen und Krautsalat. Nachmittags schlief ich auf dem Schreibtisch und entließ zischende oder gurgelnde Kraut- und Bierfürze in die Räume der Redaktion.
Eigentlich war ich am Ende. Ich weiß gar nicht, woher ich die Kraft genommen habe, meine kleinen speckigen Kinderfäuste zu ballen. Aber ich habe es gemacht. Ich habe angefangen, mich zu wehren. Man hat mich ein Leben lang herumgeschupst wie einen Vollidioten. Eines Tages war Schluss. Keine Ahnung wieso. Aber es war großartig.
Es fing mit einer Buchbestellung bei einem Versandantiquariat an. Natürlich kam das Buch nicht. Aber das Geld wurde umgehend von meinem Konto abgebucht. Ich schrieb eine Mail an das Antiquariat. Zur Antwort bekam ich: Melden Sie sich in vier Wochen noch einmal. Na klar. Diese Arschkrampen denken, in vier Wochen habe ich die fünf Euro vergessen, die ich für ein Buch bezahlt habe, das nie gekommen ist.
Gut, ich bin es gewohnt, beschissen zu werden. Aber dann kam diese Standard-Mail, in der ich das Geschäft beurteilen sollte. Was wollt Ihr Schweine denn noch? Ihr habt mein Geld, ich habe keine Ware – und jetzt soll ich noch fünf Sterne vergeben oder was!?! Ich schrieb eine gepfefferte Bewertung mit einem Stern, weil null Sterne nicht möglich waren. Was soll ich Ihnen sagen? Zwei Tage später war das bestellte Buch mit dem vielsagenden Titel „Kleiner Versager“ in meinem Briefkasten.
Jetzt wurde ich mutig. Dieses Zeitschriftenabonnement. Seit Jahren möchte ich es loswerden, aber zur Kündigung ist nur eine Telefonnummer angegeben. Ich weiß natürlich, dass ich dieses Telefonat nicht schaffen werde. Mir bricht schon der kalte Schweiß aus, wenn ich nur daran denke. Das sind Profis. Nach dem Anruf habe ich bestimmt ein Abo mehr. Die lachen mich doch aus, wenn ich kündigen will. Warum wollen Sie kündigen, werden sie fragen. Und ich werde ins Stottern kommen, wenn ich es begründen soll. Ich bring’s nicht. Weiß ich doch.
Aber dann bin ich auf „Aboalarm“ gestoßen. Für 2,99 kündigen sie in meinem Namen das Abo. Kein Anruf, nur Anklicken. Hab ich gemacht. Aber dann kam die Mail: Haben Sie die Bestätigung für die Kündigung schon bekommen? Ansonsten bitte selbst eine Mail schreiben. Wie bitte? Als erstes schreibe ich eine böse Mail an Aboalarm. Wenn ich alles selbst machen muss, warum nehme ich Ihre Dienstleistung überhaupt in Anspruch? Ich zahle schließlich Geld – das natürlich schon abgebucht ist -, um nicht selbst in Kontakt mit dem fiesen Medienmoloch namens Burda treten zu müssen.
Wissen Sie, was ich zur Antwort bekam? Da könne man nichts machen, hieß es, das Unternehmen gäbe keine Kundendaten heraus. Ob die Kündigung geklappt habe, wüsste man nicht. Und dann kam gleich eine Mail, wie ich den Kundenkontakt zu Aboalarm bewerten würde. Und wieder gab es eine gepfefferte Bewertung, die im Fernsehen nur mit Pfeiftönen gesendet werden könnte. Jetzt war ich in Fahrt: Gleich darauf schrieb ich eine Mail an den Verlag, der mir die blöde Zeitschrift seit Jahren schickt. Auch wenn man laut Homepage nur am Telefon kündigen kann. Ich nahm mir vor, denselben Text per Einschreiben noch einmal an die Verlagsleitung zu schicken, wenn man mich nochmal ignorieren sollte. Was soll ich sagen? Die Bestätigung kam einen Tag später per Mail und dann noch einmal schriftlich.
Nimm die Fäuste hoch, Loser! Jetzt nehme ich mir sogar die Schmerzen in meinem linken Knie zur Brust. Seit Monaten quäle ich mich, aber jetzt war ich beim Orthopäden. Gicht. Entzündung. Wassereinlagerungen. Natürlich kämpfe ich jetzt gegen alle Elemente: Feuer, Wasser, Krankenkasse. Ich werde Mails an meinen Körper schreiben. Null Sterne für die Performance auf der Treppe. Ich kündige dem Bier, den Frikadellen und dem Hunsrück Globe. Jetzt drehe ich richtig auf. Ich könnte Blumen ausreißen!
Götz Widmann - Zöllner vom Vollzug abhalten auf der A4. https://www.youtube.com/watch?v=HurN3a3sEqc&list=PLCA7F8E5626B9BA39

Dienstag, 9. Mai 2017

Ein geheimer Wunsch


Blogstuff 127
„Wir glauben, das Schöne in der Natur zu sehen, aber in Wirklichkeit sehen wir nur die Überlebenden.” (Johnny Malta)
Es sollte sich niemand einreden lassen, er sei nutzlos. Jede Schraube eines Flugzeugs hat ihre Bedeutung. Das Triebwerk allein oder der Flügel können nicht fliegen. Jedes einzelne Teil eines Schiffes würde untergehen, wenn es nicht mit den anderen verbunden wäre.
Andy Bonettis Eitelkeit ist legendär. Als einmal in verschiedenen Bahnhofsbuchhandlungen gefälschte Bonettis in den Regalen auftauchten, ließ er sämtliche Vorstandsmitglieder von Bonetti Business Solutions antanzen – in seiner Sauna. Während die Manager in ihren teuren Anzug Blut und Wasser schwitzten, hielt er ihnen splitternackt einen langen Vortrag über seine Vorstellungen von Management. Einmal ließ er sich in einer Luxuslimousine zur Mercedes-Benz-Arena bringen, wo das Festival der Trivialliteratur stattfand. Dort sollte er seinen weltberühmten Text über ein Hot Dog-Wettessen vorlesen. Er bestand darauf, in seiner Garderobe drei Schalen mit gelben M&Ms und einen Leguan mit rotlackierten Krallen vorzufinden. Diese exzentrischen Sonderwünsche dienten seiner Meinung nach dazu, die Seriosität des Veranstalters zu prüfen. Wer diese Wünsche erfüllt, hat auch sonst alles im Griff, so Bonetti. Er trat gerne in leberwurstfarbenen Sportsakkos und Leggins auf, gegenüber Kritik war er so taub wie ein Gebrauchtwagenhändler nach Vertragsabschluss.
Politik: Wie viele Schafe frisst der Wolf? Wie viele Schafe frisst der Hirte?
„Ich weiß genau, dass der SPIEGEL das verlogenste Blatt Deutschlands ist.“ (CSU - Bundestagsabgeordneter Freiherr von und zu Guttenberg auf einer Wahlversammlung in Tübingen 1961)
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43366437.html
Neues aus der Wissenschaft: Wenn Ihre Wohnung oder wenigstens Ihr Schreibtisch unaufgeräumt und chaotisch ist, fördert das Ihre Kreativität. Liebhaber strenger Ordnung sind Freunde der Tradition, Chaoten sind offener für das Neue. Allerdings muss man den Ordnungsliebhabern zu Gute halten, dass sie sich häufiger für gesunde Snacks entscheiden. Deutschland braucht mehr Chaos – habe ich doch immer gesagt. (Kathleen D. Vohs, Joseph P. Redden, Ryan Rahinel: Physical Order Produces Healthy Choices, Generosity, and Conventionality, Whereas Disorder Produces Creativity)
http://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0956797613480186
Ist es Ihnen auch mal aufgefallen? Im Frühling, wenn die Singvögel den ganzen Tag wilden und hemmungslosen Sex gehabt haben und wenn die Küken noch nicht geschlüpft sind, erfreuen sie uns mit den schönsten Melodien. Jetzt sitze ich am Abend auf der Terrasse und höre mir das Konzert zufriedener Erdbewohner an.
Ich sehe gerne „My Name Is Earl“, eine amüsante Serie über Menschen in Trailer Parks und Motels. Früher hatten wir auch mal eine Wohnwagensiedlung in Schweppenhausen, sie gehörte zum einzigen Puff im Ort. Heute ist das Gelände ein adretter und sauberer Campingplatz, der von einer holländischen Familie betrieben wird. In der „guten alten Zeit“ lebte dort zum Beispiel ein Kumpel von mir, der sich von seiner Frau getrennt hatte und ihr das Haus (wg. Kind und so) überlassen hatte. Er konnte sich die Miete für eine normale Wohnung nicht leisten (wg. Unterhalt, Spielsucht, Alkoholismus und so) und zog in einen Wohnwagen, er hat damals für einen dieser beschissenen Schlüsseldienste in Kaufhäusern gearbeitet. Eine andere Freundin hat in Guldental zwei Jahre lang auf einem Campingplatz gewohnt, viele Leute kennen diese Welt zwischen Mietwohnung und Obdachlosigkeit gar nicht.
Kindgerechte Ernährung: Fangen Sie ab dem zweiten Lebensjahr mit Minipizzas und ganz kleinen Hamburgern an, um den Nachwuchs an die Ernährung der Erwachsenen heranzuführen. Zwingen Sie Ihre Kinder nicht, T-Bone-Steaks zu essen! Alkoholfreies Bier in der Kita, Light-Bier in der Grundschule, Bockbier erst ab der Oberstufe.
Die tiefe Zufriedenheit selbstbestimmter Arbeit finden viele Menschen nur noch in Haus und Garten. Daher sind Baumärkte und Garten-Center eigentlich sozialtherapeutische Einrichtungen.
„Leitkultur“ – der totalitäre Wachtraum rechter Politiker. Der Bürger soll sich nicht nur an die eine Million Gesetze halten, die „im Namen des Volkes“ beschlossen wurden, und brav die vielen Steuern und Abgaben zahlen, nein, er soll sich auch noch vorschreiben lassen, wie sein Privatleben auszusehen hat. Aber noch schützt das Grundgesetz die Irokesenfrisur des Punkers. Mein Leben geht den Staat nichts an.
Shalamar - A Night To Remember. https://www.youtube.com/watch?v=x9IimLb3b2U

Samstag, 6. Mai 2017

Schraubenzieher-Man - Bonusmaterial

„Dieses Büchlein habe ich gelesen und kann sagen: Wenn Büchern wirklich ein erzieherischer Wert zukommt, dann ist dieses Werk vortrefflich geeignet, Knaben zu Idioten zu erziehen.“ (Egon Erwin Kisch: Wat koofe ick mir for een Groschen?)
https://www.youtube.com/watch?v=wKp2t7kW70E
Das chinesische Teehaus „Zur goldenen Pagode“ machte seinem Namen keine Ehre. Das heruntergekommene Haus an den Docks von Bad Gotham, aus dessen Dach eine Birke wuchs, machte einen recht zwielichtigen Eindruck. Die Treppe in den ersten Stock war so steil, dass sie eher einer Leiter glich. Der Gastraum war mit Rauchschwaden gefüllt, so dass er kaum etwas sehen konnte. Gleichzeitig folgten ihm tausend Augen, denn er war der einzige Europäer im ganzen Teehaus.
Überall lagen Chinesen auf Matratzen und rauchten lange Pfeifen. Ausgemergelte und zerlumpte Gestalten kauerten im Halbdunkel. Er sah Männer, die Opium über Kerzen erwärmten und zu kleinen Kugeln formten, die sie dann in ihren Pfeifenköpfen anzündeten. Der Schraubenzieher-Man setzte sich an einen Tisch am Fenster. Der Wirt, der ein bodenlanges Brokatgewand und einen Zopf trug, kam näher.
„Eine Tasse Tee“, sagte der Schraubenzieher-Man.
„Hiel gibt es nul Kännchen, weltel Hell“. antwortete der Wirt und entblößte bei seinem Lächeln riesige Schneidezähne. Hase nix dagegen.
Er war der einzige Mensch, der Tee in diesem Teehaus trank. Hier würde er nichts über Dr. Fu Mann Schuh herauskriegen, das war unserem Superhelden sonnenklar.
***
Jedes Jahr am 14. August werden zwei aus kostbarem Ebenholz geschnitzte Heiligenfiguren durch Bad Gotham getragen. Eine große Figur zeigt Schraubenzieher-Man, eine kleine Figur zeigt den Kreuzschlitz-Boy. Begegnen sich beide Prozessionen, so verneigen sich die Figuren voreinander, indem die Träger die Plattformen an einer Seite etwas anheben. Wenn ein solcher Prozessionszug an einem Bürger vorüberkommt, so muss er sein linkes Ohrläppchen anfassen und es solange mit der linken Hand berühren, bis er einen Schraubenzieher sieht. Ansonsten hat man sieben Tage Pech, so wissen es die Alten, die diesen Aberglauben erfunden haben. Am 14. August läuft das Geschäft mit Schraubenziehern und kleinen, schraubenzieherförmigen Schlüsselanhängern ganz hervorragend.
***
Wenn ein Handelsschiff sinkt, wird bei Lloyd’s in London eine alte Schiffsglocke geläutet. Wenn Ferrari ein Formel 1-Rennen gewinnt, läutet der Pfarrer in Maranello die Kirchenglocken. Und wenn der Schraubenzieher-Man einen weiteren Erzschurken zur Strecke gebracht hat, läutet über dem Rathaus von Bad Gotham eine mächtige Glocke, um den Bürgern der Stadt die frohe Kunde zu bringen.
***
Andy Bonetti hat sich bereits zu Lebzeiten einen Platz auf dem Prominentenfriedhof seiner Stadt gesichert, wo derzeit an einem Mausoleum in Kathedralenformat gearbeitet wird. Über dem Eingangstor des Friedhofs steht in geschmiedetem Eisen das Wort „Resurrecturis“ – „Denen, die auferstehen werden.“ Der Zutritt ist natürlich nur ausgewählten Personen gestattet.
***
„Schraubenzieher-Man. Dramatisch. Praktisch. Gut.“
„Wenn’s mal wieder länger dauert: Schraubenzieher-Man.“
„Woischd Karle, du sollschd emol e Schraubenzieher-Müsli esse. Na hädschd auch net immer die Probleme mit deiner Verdauung. Schraubenzieher-Müsli. Lecker, lecker, lecker, lecker, lecker, lecker.“
Hawkwind - Spirit Of The Age. https://www.youtube.com/watch?v=Lbq0EjSt7XY

Donnerstag, 4. Mai 2017

About Glumm

Oliver Driesen interviewt Andreas Glumm. http://www.zeilensturm.de/?p=6923 
Die Literatur ist, wie alle Künste, eine Hure – und der Verleger ist ihr Zuhälter. Du kannst gut sein, du kannst sogar wissen, dass du gut bist, es hilft dir nichts, wenn es darum geht, Geld mit Literatur zu verdienen. Man muss sich nur die Bestsellerlisten zu Kafkas Lebzeiten ansehen: Schund läuft, Kunst läuft nicht. Jede Generation bringt nur eine Handvoll Autoren hervor, die vom Schreiben – und damit meine ich nicht Liebes- oder Kriminalromane – leben kann. Wer nicht als schnöder Worthandwerker in den Medien enden will, sondern große Werke schaffen will, sollte sich also davor hüten, sein Haus auf dem Sand zukünftigen Ruhms als Literat zu bauen.
Kafka wollte nie etwas anderes als schreiben – er studierte Jura, wohnte ewig in seinem Kinderzimmer und wurde Versicherungsangestellter. Wie uncool. Bukowski war genauso – er hat endlose Jahre als kleiner Angestellter bei der Post verbracht, Briefe sortiert und ausgetragen. Das ist die Message der Literaturgeschichte, in der die Ausnahmen die Regel bestätigen: Mach dich nicht zur Nutte, vertrau nicht auf die Zuhälter in den Verlagen. Mach dich nicht abhängig, lass dich nicht auf Kompromisse ein, wenn es um deinen Text geht.
Kommen wir zum geschätzten Kollegen Glumm. Ich möchte eine steile These vertreten, für die mich der Kollege und seine Fans gerne steinigen können. Aber ich halte sie für plausibel und werde die kommenden Härten aushalten können. Der frühe Literaturpreis in den achtziger Jahren hat ihm geschadet, denn er hat auf diesem Weg die falsche Botschaft bekommen: Werde Schriftsteller, verdiene in Zukunft dein Geld mit der Kunst. Was ist passiert? Wenn ich das Blog und die Biographie richtig verstanden habe, sind in den folgenden Jahren – um nicht zu sagen: Jahrzehnten – keine Erzählungen mehr entstanden, geschweige denn ein Roman. Der Gedanke, Künstler zu sein, ohne ihm mit ernsthaften Arbeitsergebnissen gerecht zu werden, hat jeden Impuls, sich einen Brotberuf wie Kafka oder Bukowski zu suchen, im Keim erstickt.
Wenn man mit Anfang vierzig dann noch einmal versucht, einen späten Einstieg ins erbarmungslose System der Lohnarbeit zu schaffen, fühlt man sich zu Recht, wie Glumm sagt, als Zuschauer und als Besucher einer Welt, die so fremd ist wie ein Kuriositätenkabinett auf dem Jahrmarkt. Ein weiterer Aspekt: Der Kollege Glumm hat sich der autobiographischen Literatur verschrieben, wofür ich ihm auch dankbar bin, denn es sind wunderbare Geschichten, die er zu erzählen hat – aber mit zwanzig oder dreißig hat man noch nicht genug zu erzählen, um ganze Bücher zu füllen, wenn man nicht gerade einen neuen Kontinent entdeckt oder eine Revolution angeführt hat.
Der Literaturpreis, ausgezeichnet mit dreitausend Mark – damals eine Menge Geld für einen jungen Mann –, war in meinen Augen der falsche Anreiz. Das ist meine These. Wie viele Bands hatten in den achtziger Jahren einen einzigen Hit und tingeln jetzt noch über Bierfeste und treten bei Autohauseröffnungen oder Hochzeiten auf, weil sie dem trügerischen Lockruf des Ruhms erlegen sind? Die Drogenkarriere – geschenkt. Gehört in Künstlerkreisen und in den Medien generell zum guten Ton und schmückt jede Vita. Armut – macht in Künstlerkreisen sympathisch.
Meine nächste steile These: Demnächst muss der späte Erfolg her. Glumm muss groß raus kommen. Weil er der beste unentdeckte Schriftsteller ist (ich kenne sie alle). Aber bitte noch nicht mit 56. Das würde ihn völlig aus der Bahn werfen. Dann flippt er ja die nächsten zwanzig Jahre lang komplett aus und schreibt nur noch Scheiße. Aber mit sechzig, siebzig oder so. Das wäre gut. Bis dahin wird er mit der sturen Beharrlichkeit, die wir von ihm kennen und schätzen, das Material produzieren, über das man noch in fünfzig Jahren Doktorarbeiten schreiben wird.
P.S.: Im Interview wird immer wieder das Thema Geld angesprochen. Ich halte das für irrelevant, wenn es um Literatur geht. Da werden Rechnungen angestellt, wie viel Geld der Kollege für Alkohol und Drogen ausgegeben hat. Ist das wichtig? Ich kenne diese absurde Mathematik: Hättest du nie geraucht, würdest du heute einen Ferrari von dem gesparten Geld fahren. Ich kenne viele Menschen, die das Rauchen aufgegeben haben. Keiner fährt Ferrari. Zeit ist der entscheidende Faktor. Man braucht Zeit, um Erzählungen und Romane zu schreiben. Kein Geld. Talent, Lebenserfahrung, Geduld und Menschen, die dich unterstützen. Aber Geld schießt keine Tore und Geld gibt uns auch nicht die Texte, die Menschen wie Kafka oder Bukowski hinterlassen haben. Glumm funktioniert auch ohne Geld. Und für mich auch ohne Ruhm.
P.P.S.: Ich hätte einem Autoren ja ganz andere Fragen gestellt.
Wann schreibst du? Morgens, mittags, abends, nachts?
Wie lange schreibst du am Stück? Wie viele Seiten?
Inspirieren dich die Lektüre anderer Autoren, die eigene Erinnerungen, alltägliche Erlebnisse oder andere Dinge?
Schreibst du nüchtern, angetrunken oder im Rausch? Kaffee und Zigaretten? Benutzt du Drogen als Hilfsmittel? Wie war das in deiner Vergangenheit?
Wieviel von dir ist über der Wasseroberfläche, wieviel darunter? Konkret: Wieviel deiner Arbeit am Text veröffentlichst du, wieviel bleibt im Notizbuch?
Wie schreibst du? Erst mit der Hand, dann am PC?
Wie oft überarbeitest du einen Text, bevor du ihn freigibst?
Von welchen anderen Autoren hast du etwas lernen können – und was?
Gibt es eine Person, die deine Texte gegenliest, bevor du sie veröffentlichst? Wie groß ist der Einfluss dieser Person - oder dieser Personen?
Welchen Einfluss hat das Feedback der Blog-Leser im Kommentarbereich, der Leserzahlen im Blog oder der Absagen durch Verlage?
Warum arbeitest du nicht an fiktionalen Texten?
Du konzentrierst dich auf nicht-fiktionale, autobiographische Texte. Inwiefern hindert es dich an der Arbeit, dass Personen, die in deinen Texten vorkommen, deine Texte lesen? Bekommst du Feedback von diesen Personen – deine Freundin ausgenommen? Fällt es dir leichter, über Menschen zu schreiben, von denen du weißt, dass sie deine Texte nicht lesen oder nicht mehr lesen können?
Hast du Angst davor, dass deine Erinnerungen einmal auserzählt sein können?
Fürchtest du dich vor dem Tag, an dem du das Gefühl hast, deine Rolle als Erzähler nicht mehr spielen zu können?
Was vermisst du an deinem Leben? Gibt es etwas, dass du gerne gemacht oder erlebt hättest?
Welchen Tag möchtest du gerne noch einmal erleben?
John Watts – One Voice. https://www.youtube.com/watch?v=QAlnZK8zGMk

Mittwoch, 3. Mai 2017

Das Beste

„Nur was wir am Ende lächerlich finden, beherrschen wir auch, nur wenn wir die Welt und das Leben auf ihr lächerlich finden, kommen wir weiter, es gibt keine andere, keine bessere Methode, sagte er.“ (Thomas Bernhard: Alter Meister. Komödie)
Was gab es früher in diesem Hause für Erzeugnisse der Printmedien! Wir hatten die Mainzer Allgemeine Zeitung, die Welt am Sonntag, die Hörzu und Das Beste aus Reader’s Digest im Abonnement. Dazu brachte ich Mad, Zack und die Titanic vom Kiosk mit. Meine Schwester die Bravo. Die Großmütter hatten Frau im Spiegel und Neue Post, gelegentlich kam auch ein Stern oder der Spiegel dazu. Damals konnte man mit gedrucktem Zeugs vermutlich reich werden. Heute benutzt man nur noch das kostenlose Internet – oder man hat das Lesen einfach komplett eingestellt.
Glücklicherweise habe ich die Mad- und Titanic-Hefte sowie „Das Beste“ für Sie, liebe Lesende, aufgehoben. Aber ich will Sie natürlich nicht mit Geschichten vom schönen Fröhn und dem öden Stöhn langweilen. Kommen wir zum Besten aus Reader’s Digest vom Dezember 1981. Der Aufmacher ist ein sympathischer Text mit der Überschrift „ Gefährdet die Friedensbewegung unsere Sicherheit?“ Glücklicherweise bekomme ich in diesem Artikel erklärt, dass Moskau die Friedensbewegung steuert und man den Kommunismus unterstützt, wenn man gegen die neuen Pershing 2-Raketen und Marschflugkörper der US-Regierung ist.
Laut einer Meinungsumfrage wollen 48 Prozent der Bundesbürger „lieber unter einem kommunistischen Regime leben als durch Verteidigung der demokratischen Freiheit einen Atomkrieg riskieren“. Fidel Castros „Socialismo o Muerte“ ist wahr geworden – und es steht fifty-fifty. Aber wir sollten Ron trauen, dem neuen US-Präsidenten (dessen „dramatischer Kampf“ ums Überleben nach dem Attentat im März 1981 ein weiteres Thema im Heft ist). So wie wir ja auch heute „The unpredictable Don“ in der Rolle des US-Präsidenten unser Vertrauen schenken. Denn die Pershing 2, so lese ich weiter, erreicht in sechs Minuten ihr Ziel und kann nicht mehr abgefangen werden. Und die Cruise missile fliegt so niedrig, dass die Russen sie nicht orten können. Schon wird die Welt wieder ein Stück sicherer.
Bereits der „Feldzug gegen die Neutronenbombe“ 1977 war „Teil eines von Moskau gesteuerten Propagandablitzkriegs“. Richtig gefährlich wurde es aber mit dem Krefelder Appell, den über eine Million Friedenswinsler unterzeichnet hatten. Initiator war die Deutsche Friedensunion, eine kommunistische Tarnorganisation, die von der DDR finanziert wurde. Gründungsmitglied war die Top-Terroristin Ulrike Meinhof. Mehr muss man eigentlich gar nicht sagen. Man kann ja nur dankbar sein, dass einem „Das Beste“ die Augen öffnet.
Schön ist auch die Werbung. Im neuen 7er BMW gibt es „Digitale Motor-Elektronik“. Wie weit die Welt 1981 schon war. Und in Japan planen sie eine Magnetschwebebahn. Das würde unserem Bundesverkehrsminister der Herzen, Alois Dobrindt, sicher gefallen.
In der Ausgabe vom September 1981 lese ich mit großem Interesse einen umfangreichen Artikel, in dem es um den baldigen Bankrott der Bundesrepublik geht. Die Horrorzahlen: 1,2 Millionen Arbeitslose, eine negative Leistungsbilanz (nach 13 positiven Jahren in Folge) und 500 Milliarden DM Schulden. Die Ursachen der „Misere im Wirtschaftswunderland“ sind schnell gefunden. „Die einst für ihren Fleiß berühmten – und im Ausland berüchtigten – Erfinder der ‚Arbeitsethik‘ entwickeln sich zusehends zu internationalen Meistern im Müßiggang.“ Nur noch vierzig Stunden die Woche arbeiten, sechs Wochen Urlaub, zahllose Feiertage, häufige Krankmeldungen, Kuraufenthalte – so geht es mit dem deutschen Michel nicht mehr weiter. Wie wir wissen, ist es ja dann auch 36 Jahre bis heute nur noch abwärts gegangen.
Bundesbankpräsident Pöhl klagt: „Der soziale Wohlfahrtsstaat gefährdet die eigene materielle Grundlage: den wirtschaftlichen Fortschritt.“ Die Steuern und die Kosten der „sozialen Hängematte“ sind zu hoch, das „Geld versickert in einem Wohlfahrtsstaat von phantastischen Ausmaßen“. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages assistiert: „Was unsere Wettbewerbsfähigkeit betrifft, so stehen wir mit dem Rücken zur Wand.“ Der amerikanische Autor des Textes ergänzt: „Zum Beispiel fehlt eine wirklich starke Rüstungsindustrie, die der übrigen Wirtschaft Impulse geben könnte.“ Zum Glück läutete ein Jahr später Gottkanzler Helmut Kohl die neoliberale, vulgo: die „geistig-moralische Wende“ ein – und Gerhard Schröder war sein Prophet.
Herzlichst, Ihr
Zentralkomitee für Boulevardliteratur
The Whispers - And The Beat Goes On. https://www.youtube.com/watch?v=fOaxEa5ONJw